Damit wir nicht blind werden – Das Wort zum Wort zum Sonntag zur Bergpredigt

Lesezeit: ~ 11 Min.

Damit wir nicht blind werden – Das Wort zum Wort zum Sonntag zur Bergpredigt, verkündigt von Lissy Eichert, veröffentlicht am 11.09.2021 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Frau Eichert versucht diesmal, die so genannte Bergpredigt als geeignete Moralquelle in Bezug auf den Umgang mit religiös motiviertem Terror darzustellen.

[…] „Wir werden Euch jagen. Ihr werdet dafür bezahlen“, rief jüngst der amerikanische Präsident, immerhin mein katholischer Glaubensbruder.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Damit wir nicht blind werden – Wort zum Sonntag, verkündigt von Lissy Eichert, veröffentlicht am 11.09.2021 von ARD/daserste.de)

Katholisch oder allgemein christlich oder noch allgemeiner religiös geprägt zu sein bewahrt Menschen nicht davor, sich ethisch fragwürdig oder auch grundlegend falsch zu verhalten.

Im Gegenteil: Besonders (aber nicht nur) die monotheistischen Religionen liefern Ideologien, die sich bestens zur göttlichen „Legitimierung“ von unmenschlichem Verhalten in allen nur erdenklichen Ausprägungen eignen.

Katholischer Glaubensbruder

Ihre heutige Verbreitung haben zum Beispiel das Christentum und auch der Katholizismus nicht etwa einer moralischen Überlegenheit oder übergeordneten Wahrheit ihrer Glaubenskonstrukte zu verdanken. Sondern lediglich dem gerade genannten Zusammenhang.

  • „Religion ist eine Beleidigung der Menschenwürde. Mit ihr oder ohne sie würden gute Menschen Gutes tun und böse Menschen Böses. Aber damit gute Menschen Böses tun, bedarf es der Religion.“
    (Steven Weinberg)

Die Kriminalgeschichte des Christentums füllt, trotz Bergpredigt, rund 10.000 Buchseiten. Und da ist die jüngere Vergangenheit noch nicht enthalten.

Nun könnte man als friedliebender Christ (der halt noch irgendwie sein archaisches Glaubensgebilde in seinem ansonsten humanistisch-liberalen Weltbild unterbringen muss) freilich einwenden: Was kann ich dazu, wenn jemand das angeblich göttlich geoffenbarte „Wort Gottes“ falsch interpretiert? Wo ich selbst doch auf der selben biblischen Grundlage zu ganz anderen Schlüssen komme?

Das Problem ist das Fundament

Wenn Fundamentalisten ein Problem sind, dann ist die Ursache beim Fundament zu suchen. Das gilt auch für das biblisch-christliche Glaubenskonstrukt:

Wollen wir diese Botschaft – und Praxis – von Rache und Vergeltung wirklich weitergeben an unsere Kinder und Kindeskinder? „Auge um Auge – und die ganze Welt wird erblinden“, hat Mahatma Gandhi gesagt. Wenn auf Gewalt immer Gegengewalt folgt, steigt nur die Opferspirale.

Diese Botschaft von Rache und Vergeltung stammt aus der „Heiligen Schrift.“ Also aus dem vom lieben Gott persönlich geoffenbarten/inspirierten „Wort Gottes.“

Sie ist nach wie vor Bestandteil der Bibel. Die von vielen Christen auch heute noch als unverzichtbarer, ewig gültiger und vor allem unveränderlicher Leitfaden für moralisches Handeln angesehen/ausgegeben wird.

Das legt die Vermutung nahe, dass viele Christen ihre Bibel gar nicht selbst gelesen haben.

Wenn sich Frau Eichert nun fragt, ob man diese Botschaft wirklich weitergeben solle an unsere Kinder und Kindeskinder, dann spricht das freilich für sie. Allerdings trägt ja gerade sie als Berufschristin dazu bei, dass neben einer zurechtgebogenen und -gestutzten „Bergpredigt“ eben auch diese Botschaften weitergegeben werden.

Dass sie dabei lieber unverfängliche oder, ohne Kontext harmlos erscheinende Stellen herauspickt, ändert nichts daran, dass sie damit der Bibel in ihrer Gesamtheit eine Relevanz andichtet, von der auch die Leute profitieren, die sich ebenfalls auf die Bibel berufen, um ihre Verbrechen aller Art damit zu legitimieren.

Wer gibt denn diese Botschaft weiter?

Das gesamte Alte Testament beschreibt einen kriegslüsternen, eifer-, rach- streit- und zerstörungssüchtigen Himmelsdiktator. Dessen vorrangiges Anliegen aus Rache und Vergeltung zu bestehen scheint.

Und im Neuen Testament lassen die Bibelschreiber ihren literarischen Jesus diese göttlichen Drohungen nicht etwa aufheben, sondern sogar noch verstärken (Mt 5, 17-19).

Oberflächlich betrachtet erscheint das Neue Testament nur deshalb friedlicher, weil Gott hier erst mal nicht mehr aktiv seine Rache- und Vergeltungsphantsien auf Erden auslebt.

Nicht etwa, weil er endlich mal zur Besinnung gekommen wäre. Sondern weil die göttliche Rache und Vergeltung für Un- und Andersglaube (und im Grunde geht es ihm nur darum) jetzt ins Jenseits verlegt und durch die Erfindung von zeitlich unbegrenzter physischer und psychischer Dauerfolter mit Höllenqualen bei vollem Bewusstsein bis ins Unendliche gesteigert worden war.

Hier wird die Problematik deutlich, die es mit sich bringt, wenn man versucht (oder berufsbedingt dazu verpflichtet ist), im 21. Jahrhundert noch eine „Heilige Schrift“ als Fundament der eigenen Wertevorstellungen zu verwenden.

Die Bergpredigt: Vermeintliches Filetstück aus der Bibel

Um jetzt die Bibel doch noch als irgendwie relevant zu retten, pickt sich Frau Eichert, wie kaum anders zu erwarten, die Passage heraus, die von Christen gerne als das „Filetstück“ ihres biblisch-christlichen Glaubensfundamentes angesehen wird: Die so genannte Bergpredigt.

Gandhi, der Hindu und gewaltfreie Friedenskämpfer, trug die Bergpredigt Jesu bei sich, ist überliefert. Betete auch im Gefängnis damit. Die Seligpreisungen. Kann das funktionieren: mit den Seligpreisungen zum Frieden?

Offensichtlich kann das, wenn überhaupt, nur sehr bedingt funktionieren.

Der Wert einer „Seligpreisung“ besteht ja darin, dass ein Gott ein bestimmtes Verhalten gut heißt. Und als Belohnung eine Verschonung vor dem in Aussicht stellt, was er selbst denen androht, die sich nicht so verhalten haben, was Priester als gottgefällig definiert hatten. Wer sich stattdessen zeitlebens besonders unterwürfig verhalten hatte, dem stellt dieser Gott als Bonus eine ewige Gottesnähe in Aussicht.

Für jemanden, der nicht an diesen Gott glaubt, ist eine Seligpreisung deshalb wertlos.

Denn wer nicht an diesen Gott glaubt, der hat auch kein Bedürfnis, dereinst in dessen „Reich“ „einzugehen.“ Genausowenig lässt er sich von absurden und brutalen Höllendrohungen beeindrucken.

Damit scheidet eine Seligpreisung als guter und vor allem als universeller, also für alle Menschen erstrebenswerter Grund für friedliches Verhalten aus.

Die „Bergpredigt“ bei Licht betrachtet

Möchte man die „Bergpredigt“ (die nach Auffassung der Bibelforschung niemals als solche stattgefunden hat, sondern vielmehr eine von Matthäus ergänzte Sammlung verschiedener überlieferter Jesus-Worte enthält) als ethischen Leitfaden verwenden, kommt man außerdem nicht umhin, weite Teile dieses Textes zu ignorieren oder zumindest umzuinterpretieren.

Weil zu praktisch allem, was christliche Berufsverkündiger den lieben langen Samstagabend so verkünden schon viel geschrieben wurde, gibts heute drei Buchtipps. Hier ein Auszug aus dem ersten:

  • In ihrer jetzigen Form sind die Seligpreisungen ein Werk des Evanelisten Matthäus. Er gruppiert sie in zwei mal vier Seligpreisungen plus ein abschließendes Wort, das die Gemeinde direkt anspricht. Das für ihn wichtige Wort „Gerechtigkeit“ kommt in Nummer vier und acht vor. Nur die Seligpreisungen, die mit einem* gekennzeichet sind [1,2,4 und 8, Anm. v. mir], werden in der Forschung als echte Jesusworte gehalten, die anderen gelten meist als Erfindungen des Evangelisten, der nicht nur Einzelworte Jesu zu einer langen Predigt zusammenstellt (eben der Bergpredigt), sondern mit den von ihm erweiterten Seligpreisungen auch einen markanten Anfangspunkt setzt. Wie wir schon hörten, hat Matthäus eine Tendenz zur Spiritualisierung. Aus den wirklich Armen werden „Arme im Geiste“, aus den wirklich Hungernden werden Hungernde „nach der Gerechtigkeit“. Jesus preist also die Armen, die Trauernden und die Hungernden selig. Was bedeutet das? Offenbar verspricht er diesen Menschen, die sich der Evangelist als die Predigthörer Jeus vorzustellen scheint, dass ihr Leid ein Ende haben wird.Wiedereinmal hängt dies mit der Gottesherrschaft zusammen. Sie bricht ja in Jesu Phantasie bald an, realisiert sich bereits. Also steht auch die Hilfe für die Armen und Hungernden unmittelbar bevor.
    (Quelle: Heinz-Werner Kubitza: Jesus ohne Kitsch – Irrtümer und Widersprüche eines Gottessohns, S. 181)

Die Seligpreisungen sind religiöser Kitsch

Und weiter kommt Kubitza zu dieser Einschätzung der „Bergpredigt“ (Hervorhebungen von mir):

  • Jesus hat sich mit solchen Versprechungen weit aus dem Fenster gelehnt. Die Armen und Hungernden werden diese Botschaft Jesu sicher mit Freude gehört haben, denn wer wird nicht gerne im Leid getröstet. Und es ist auch keine Frage, dass Jesus selbst fest davon überzeugt war, dass den Armen und Hungernden nun bald geholfen würde. Allein das Reich Gottes ist nicht gekommen, und die Seligpreisungen haben sich als leere Worte entpuppt, als falscher Trost. Kein Gott hat sich der Armen und Hungernden angenommen, die Welt drehte sich weiter und nahm von den vollmundigen Ankündigungen dieses Jesus einfach keine Notiz. Wenn Jesus meinte, in prophetischer Rede zu sprechen, dann war es wohl Falschprophetie. Die Seligpreisungen sind religiöser Kitsch, kein wirklicher Trost sondern bestenfalls eine Vertröstung. Das Erstaunliche ist, dass sie als Vertröstung bis heute weiterleben. Arme und Hungernde halten sich weiter an ihnen fest. Es Sind nur leere Worte, aber Arme fühlen sich mit ihnen dennoch besser. Sie wirken als Placebo. Zu schön sind sie formuliert (Matthäus hat sich hier wirklich Mühe gegeben), zu narkotisierend die Vorstellungen, die mit ihnen verbunden sind, und zu bestimmt wirkt derjenige, der sie so gelassen ausspricht. Dann muss doch etwas Wahres dran sein! Doch die Gläubigen kennen die konkrete Situation nicht, in die die Seligpreisungen hineingesprochen wurden. Wie immer meinen sie, die Worte seien direkt an sie gerichtet.
    (Quelle: ebenda, S. 182-183)

Zum tatsächlichen Gehalt der „Bergpredigt“ gäbe es noch einiges mehr kritisch anzumerken.

Zum Beispiel zur völligen Unverhältnismäßigkeit bei der Bestrafung von Fehlverhalten (Mt 5,22, Mt 5,27-32). Oder bei der zwar irgendwie romantischen, aber leider wirklichkeitsfremden Aufforderung, sich auch auf die andere Wange schlagen zu lassen (Mt 5,39-42).

Religion: Als Moralquelle unbrauchbar

Bei all dem, also speziell auch in der „Bergpredigt“ geht es primär um die Frage, wie sich menschliches Verhalten auf das Verhältnis zu Gott auswirkt.

Diese Frage ist allerdings wenn überhaupt nur für Menschen relevant, die an diesen Gott glauben.

Moderne ethische Standards und auch Gesetze von offenen und freien Gesellschaften müssen allerdings besser begründet werden als mit dem erfundenen Willen eines erfundenen magischen Phantasiewesens. Sie dürfen nicht abhängig sein von dem, was in „Heiligen Schriften“ als göttliche Offenbarung niedergeschrieben worden war.

Vielmehr müssen sie für alle Menschen unabhängig von deren jeweiligen Glaubensüberzeugungen gelten und somit auch eingefordert werden können. Deshalb können sie auch nicht auf dem basieren, was zeitgenössische Religionsanhänger aus ihren Heiligen Schriften heraus- oder genauer: in sie hineininterpretieren. Selbst dann nicht, wenn dies im Grunde (zumindest dem Anschein nach) modernen ethischen Standards entsprechen sollte.

Frau Eichert sollte oder müsste sich fragen, woher die Maßstäbe kommen, anhand derer sie entscheidet, dass heute ein archaisches „Auge um Auge…“ eben nicht mehr gelten soll, ein Aufruf zum sanftmütigen Verhalten wie in der Bergpredigt aber doch. Aus der Bibel selbst jedenfalls nicht. Da steht beides drin. Göttlich geoffenbart oder zumindest inspiriert.

Indem der literarische Jesus die Doktrine „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ als ungültig erklärt (Mt 5,38), hebt er nicht etwa das Konzept der Rache an sich auf. Er macht es damit nur zur göttlichen Chefsache, wie wir gleich noch sehen werden.

Beten für Demokratie?

„Selig sind die Sanftmütigen; sie werden das Land erben.“ Die Sanftmütigen, die Böses nicht mit Bösem vergelten. Ich denke an Soldaten und Soldatinnen, die helfen, schützen und nicht als Besatzer empfunden werden. Ich denke an die Hilfswerke, die viele in ihrer Not erreichen. An Frauen und Männer von Belarus bis Hongkong, die für die Freiheit, wie Gandhi, ins Gefängnis gehen. Ich hoffe und bete, dass demokratiebewegten Frauen und Männer das Land erben.

Erben sanftmütige Soldaten Länder? Die Soldaten und Soldatinnen, von denen Sie hier schreiben, waren nötig, um religiös motivierte Soldaten (ohne -innen) daran zu hindern, die Macht zu ergreifen und das Land einzunehmen, um dort ihren Gottesstaat zu errichten.

Frau Eichert, wenn Sie sich als eine Verfechterin der Demokratie zu erkennen geben, wieso sind Sie dann ausgerechnet in der katholischen Kirche? Ein Machtkonstrukt, das von einer klerikal-patriarchialisch-theokratischen, un- bzw. antidemokratischen Wahlmonarchie von oben nach unten, also unzweifelhaft antidemokratisch regiert wird?

Fast schon drollig finde ich ja, dass Sie für demokratiebewegte Frauen und Männer beten. Sind Sie ernsthaft der Auffassung, den, den Sie ja vermutlich für den allmächtigen und allgütigen Schöpfer des Himmels und der Erde, für den gerechten Richter halten davon überzeugen zu können, auf Ihre Bitte hin seine politischen Ansichten mal kritsch zu hinterfragen und ggf. auf den aktuellen Stand upzudaten? Also auf den Stand, den die Menschheit gegen den erbitterten Widerstand seiner Kirche inzwischen erreichen konnte?

Ausgerechnet den, der die Inszenierung eines innerfamiliären Menschenopfers nötig hatte, um sich mit den Menschen zu versöhnen, die er so fehlerhaft geschöpft hatte? Oder wie stellen Sie sich die Wirkungsweise eines solchen Gebetes konkret vor?

Rächt euch nicht selbst, meine Lieben!

Den eigentlichen Clou der Geschichte verschweigen Sie Ihrem Publikum, Frau Eichert:

Sämtliche Friedensappelle des biblischen Jesus basieren auf dem irrigen, aber festen Vertrauen darauf, dass sich sein Gott dereinst, oder, nach Jesus‘ irriger Auffasung innerhalb der ganz nahen Zukunft persönlich um die ausgleichende Gerechtigkeit kümmern wird, die sich seine Anhänger so sehnlich wünschen:

  • Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5. Mose 32,35): »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.«
    (Röm 12,19 LUT)

Auch hier haben wir einmal mehr ein Beispiel für einen bestätigenden Rückgriff auf das Alte Testament.

Worum geht es hier konkret?

„Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden gesättigt werden.“ Frieden ohne gerechte Verteilung der Güter? Den gibt es nicht. Ich denke an junge Menschen, die ihre Privilegien, ihren Lebensstil, überdenken und sich für eine solidarische Verteilung von Ressourcen auf der Welt einsetzen.

Geht es hier denn nun tatsächlich um Hunger und Durst? Um eine gerechte Verteilung von Gütern? Oder ist das als Metapher für die Sehnsucht nach Gerechtigkeit allgemein zu verstehen?

Wie so oft lautet auch hier die Antwort: Wie es einem gerade in den Kram passt.

Eine tiefergehende Betrachtung erübrigt sich allerdings. Weil „Seligkeit“, wie gerade schon beschrieben, kein überzeugendes Argument für oder gegen ein bestimmtes Verhalten darstellt.

Richtig heftig?

Und richtig heftig: „Selig seid ihr, wenn man euch schmäht und verfolgt und alles Böse über euch redet um meinetwillen.“

Jesu verherrlicht hier nicht die Verfolgung, das wäre zynisch. Die unselige Spirale der Rache soll gestoppt werden, darum geht es.

BergpredigtBibelstellen wie diese liefern bis heute die Grundlage für katholisches Mimimi:

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Christen gerne auch mal konstruktive Kritik an ihrem Glauben als (selig machende) Schmähung abtun. Um sich nicht inhaltlich damit auseinanderzusetzen zu müssen.

Schließlich lautet die Aussage ja nicht: Prüft eueren Glauben immer gründlich mit den Argumenten eurer Kritiker. Sondern sinngemäß: Als meine Anhänger liegt ihr immer richtig und ich mag es, wenn man euch meinetwillen verfolgt.

Dieses Phänomen ist übrigens auch bei Anhängern anderer als religiöser Verschwörungstheorien anzutreffen: Die fühlen sich auch in ihren Ansichten dadurch bestärkt, dass sie sich ständig verfolgt und von allen missverstanden fühlen, die ihre kruden Vorstellungen nicht teilen.

Dass es hier nicht um eine zynische Verherrlichung der Verfolgung, sondern um ein Stoppen der unseligen Spirale der Rache gehen soll, ist Frau Eicherts persönliche Interpretation.

In der Bibel wird diese Spirale jedenfalls nicht gestoppt. Vielmehr wird, wie oben schon beschrieben, die Rache nur zur göttlichen Chefsache gemacht. Und die göttliche Vergeltung ins „Jenseits“ verlegt.

Die göttlichen Rachephantasien lassen die anonymen Bibelschreiber ihren Jesus detailliert beschreiben: Da werden Menschen wie Unkraut ausgerissen und in den Feuerofen oder in den ewig brennenden Schwefelsee geworfen. Da wird Heulen und Zähneklappern sein… Richtig heftig.

Wer spricht das letzte Wort?

Ich fürchte gerade um Frauen in Afghanistan, um Lehrerinnen, Journalistinnen, Richterinnen. Die Seligpreisungen wollen allen Mut machen, die wegen ihrer Überzeugungen bedrängt werden, Hass und Hetze ausgesetzt sind: Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.

Geht es nach biblisch-christlichen Maßstäben, dann ist es Gott, der das letzte Wort spricht. Und geht es um die irdische Wirklichkeit, dann liegt es an der Menschheit selbst, wie sie ihr Zusammenleben gestaltet.

Wie Kubitza schreibt: Allein das Reich Gottes ist nicht gekommen, und die Seligpreisungen haben sich als leere Worte entpuppt, als falscher Trost.

A propos Frauen: Dass speziell Frauen in Afghanistan um ihre Rechte, ihre Freiheit und auch um ihr Leben bangen und kämpfen müssen, hat – einmal mehr – religiöse Gründe. Hier scheint auch der innerreligiöse Dialog noch nicht wirklich viel erreicht zu haben…

„Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.“ Kinder Gottes – nicht Gotteskrieger, oder wie früher Kreuzritter.

Was war dann über die vielen Jahrhunderte schief gelaufen, in denen Christen in erster Linie als Gotteskrieger aufgetreten waren? Mit der unerschütterlichen Überzeugung, dass es gerade das sei, was ihr Gott von ihnen verlangen würde? Und was hatte schließlich dazu geführt, dass sie heute nicht mehr alle ermorden, die ihren Glauben nicht teilen?

Ist die Bergpredigt alltagstauglich?

Frieden stiften, im Großen wie im Kleinen. Mit wie vielen in Ihrer Verwandtschaft reden Sie nicht mehr? Ja, die Bergpredigt ist alltagstauglich, auch in der Politik.

Dass sie das nicht oder wenn doch, dann nur äußerst bedingt ist, hoffe ich mit meinem Beitrag klar gestellt zu haben.

Mit Waffen gewinne ich keine Menschen, baue ich keine Demokratie auf und finde auch keinen Frieden im eigenen Herzen. Die Seligpreisungen sind wie ein Kompass für Entscheidungen, die Frieden bringen. Damit Rache und Vergeltung nicht das letzte Wort haben. Und die Menschheit nicht erblindet.

Bei näherem Hinsehen sind die biblischen Seligpreisungen eben kein brauchbarer Kompass für Entscheidungen, die Frieden bringen.

Das zeigt einerseits ein Blick in die Geschichte. Religiöse, speziell monotheistische Glaubenskonstrukte zählen sicher zu den Ideologien, die mehr Unfrieden auf die Welt gebracht haben als irgendetwas sonst.

Und andererseits haben in der biblischen Mythologie selbstverständlich Rache und Vergeltung das letzte Wort. Nur eben göttliche Rache und Vergeltung.

Was macht die Welt tatsächlich friedlicher?

Jetzt stellt sich freilich die Frage, was denn dann nun tatsächlich dazu beiträgt, dass die Welt eine friedlichere und fairere wird. In diesem Zusammenhang noch ein weiterer Buchtipp:

  • Michael Shermer vertritt [in seinem Buch: Der moralische Fortschritt – Wie die Wissenschaft uns zu besseren Menschen macht“, Anm. v. mir] die These, dass wir in der „moralischsten“ Zeit der Menschheitsgeschichte leben. Sein Buch über den moralischen Fortschritt zeigt anhand umfangreichen Datenmaterials und zahlreicher Beispiele, dass die geschichtliche Entwicklung trotz mancher Rückschläge letztlich in die richtige Richtung geht: Immer mehr Menschen können ein Leben führen, das von Werten wie Wahrheit, Gerechtigkeit oder Freiheit geprägt ist. Von den Faktoren, die über die Jahrhunderte dazu beigetragen haben, sind die Wissenschaft und die Vernunft sicherlich die wichtigsten.
  • Der Fortschritt der Wissenschaft, angestoßen von Galionsfiguren wie Kopernikus, Galileo und Newton, hatte zur Folge, dass sich die soziale, politische und ökonomische Realität nachhaltig veränderte. Dies führte zum Zeitalter der Vernunft und der Aufklärung, aus dem die moderne säkulare Welt mit den liberalen Demokratien hervorging, in denen Bürgerrechte und die Gleichheit vor dem Gesetz existieren. Zugleich wurde der Geltungsbereich moralischer Standards schrittweise ausgeweitet, so dass immer mehr Menschen – und mittlerweile auch Tiere – in deren Genuss kommen.
  • In seinem erhellenden Werk stellt Shermer heraus, wie Wissenschaft, Rationalismus, Skeptizismus und abstraktes Denken die Art und Weise, wie wir Menschen Moral definieren, grundlegend verändert haben und uns somit einer gerechten Welt näherbringen.
    (Quelle: Buchbeschreibung auf alibri-buecher.de zu Michael Shermer: Der moralische Fortschritt – Wie die Wissenschaft uns zu besseren Menschen macht)

Dieses, mit 564 Seiten recht umfangreiche Buch wird der Realität und Komplexität, in der wir heute leben auf jeden Fall besser gerecht als archaische Seligpreisungen, die auf einem absurden Götterglauben beruhen.

Und die nur dann überhaupt einen Sinn ergeben können, wenn man von der Existenz dieses Rachegottes ausgeht, den sich ein halbnomadischer Wüstenstamm in der Bronzezeit aus früheren Gottesbildern zweckmäßig zusammengebaut hatte.

Bergpredigt: Die Legende von der christlichen Moral

Die Probleme, vor denen die Weltbevölkerung heute steht, sind real. Seligpreisungen und stellvertretende göttliche Rache sind fiktiv. Die biblischen Aussagen und Appelle basieren auf einem magisch-mythologischen Weltbild und setzen den Glauben an dieses Weltbild voraus.

Religionen sind aus mehreren Gründen als Moralquelle ungeeignet. Warum das so ist, erklärt Andreas Edmüller ausführlich im dritten und letzten Buchtipp für heute: Die Legende von der christlichen Moral – Warum das Christentum moralisch orientierungslos ist.

Die heutigen Buchtipps sollen und können dazu beitragen, dass wir nicht blind werden. Oder blind bleiben.

Deine Gedanken dazu?

Fragen, Lob, Kritik, Ergänzungen, Korrekturen: Trage mit deinen Gedanken zu diesem Artikel mit einem Kommentar bei!

Wenn dir der Artikel gefallen hat, freuen wir uns über eine kleine Spende in die Kaffeekasse.

Bitte beachte beim Kommentieren:

  • Vermeide bitte vulgäre Ausdrücke und persönliche Beleidigungen (auch wenns manchmal schwer fällt...).
  • Kennzeichne Zitate bitte als solche und gib die Quelle/n an.
  • Wir behalten uns vor, rechtlich bedenkliche oder anstößige Kommentare nicht zu veröffentlichen.

3 Gedanken zu „Damit wir nicht blind werden – Das Wort zum Wort zum Sonntag zur Bergpredigt“

  1. Mit Waffen gewinne ich keine Menschen, baue ich keine Demokratie auf und finde auch keinen Frieden im eigenen Herzen.

    Diese Worte sind sind besonders peinlich für eine Deutsche. Durch die Allierten wurden im Zweiten Weltkrieg die Nazis besiegt, eine Demokratie in Deutschland aufgebaut und Europa befriedet.

    Antworten
  2. Vor allem wurde das Christentum mit Feuer und Schwert über die
    Welt verbreitet und der Vatikan ist ja bekanntlich eine perfekte Demokratie…
    Wie soll ich Frieden in mir finden, wenn mir von Geburt an eingeredet wird, dass ich defekt, sündhaft und falls weiblich Schuld am „Fall“ der gesamten Menscheit bin…

    -Seelig die Geistig Armen, denn ihrer ist das Himmelreich-
    (Der einzige Satz der Bibel dem ich voll zustimme!)

    Wie dumm/verblendet kann man sein, um nicht sehen zu können, dass einem hier die vermeintliche Krankheit zusammen mit dem Placebo verkauft wird?!

    Antworten
  3. Die plausibelste Erklärung für das Phänomen, dass die allermeisten Christen die Bergpredigt für sinn- und gehaltvoll halten ist diese: Sie wissen nicht, was drinsteht. Wahrscheinlich wollen sie es auch gar nicht wissen …

    Antworten

Schreibe einen Kommentar