Von den Toten zum Wir – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 7 Min.

Das Wort zum Wort zum Sonntag: Von den Toten zum Wir mit Pfarrer Benedikt Welter aus Trier, veröffentlicht am 12.11.2022 von ARD/daserste.de und von rundfunk.evangelisch.de.

Darum geht es

Biblisch-christliche Jenseitsmythologie oder katholische Dogmen zum Thema Tod sind im katholischen Mainstream heute offenbar bedeutungslos geworden.

Tote, die den Lebenden zur Seite stehen

Obwohl das „Ewige Leben“ ja quasi das Ziel des christlichen Heilsversprechens ist, geht Pfarrer Welter bei seinen Überlegungen zum Umgang mit Verstorbenen (wohlweislich?) mit keinem Wort auf die wahrlich absonderlichen katholische Jenseitsvortellungen ein.

Und obwohl er den Jenseits-Aspekt komplett verschweigt, wählt er für seine Fernsehpredigt trotzdem ganz selbstverständlich Formulierungen, die suggerieren, Verstorbene seien Menschen, die nicht nur mit bestimmten Absichten ins irdische Diesseits aktiv eingreifen, sondern die auch noch über eine Art überlegene Moral verfügen würden.

nach dem WIR – nach dem Zusammenhalt in unserer Gesellschaft hat die ARD Themenwoche gesucht. Heute geht sie zu Ende. Ich denke das Thema einmal von der anderen Seite des Lebens her: vom Tod also – auf der Suche nach dem WIR. Ich stelle die Frage nach den Toten und wie sie uns Lebenden zur Seite stehen damit wir zu einem WIR finden; oder, besser: damit wir mehr WIR leben können.

(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Wort zum Sonntag: Von den Toten zum Wir mit Pfarrer Benedikt Welter aus Trier, veröffentlicht am 12.11.2022 von ARD/daserste.de, Zit. n. rundfunk.evangelisch.de)

Statt sich – und rhetorisch auch dem Publikum – die Frage zu stellen, ob und wenn ja wie sich unsere Erinnerung an Verstorbene vielleicht positiv auf unser Miteinander auswirken könnte, werden die Toten von Pfarrer Welter quasi auferweckt. Damit sie uns Lebenden zur Seite stehen. Und uns gleich noch etwas ins Gedächtnis rufen und uns daran erinnern können, dass sie nicht vergessen werden wollen.

Animismus – Polytheismus – Monotheismus

Einer Personifizierung von Gegenständen als vermeintlich irgendwelche Ziele verfolgende, eigenständig handelnde und mit dem irdischen Geschehen interagierende Entitäten begegnen wir heute noch hauptsächlich in zwei Bereichen: Im kleinkindlichen Spiel („Das blöde Tischbein hat mich getreten!“) – und im Märchen (Das Brot aber rief: „Ach, zieh mich raus, zieh mich raus, sonst verbrenne ich…).

Als Animismus finden wir die Vorstellung, nicht nur Menschen, sondern überhaupt alles sei „beseelt“ auch in religiösem Zusammenhang. Es dürfte sich dabei um eine der ersten Glaubensvorstellungen überhaupt handeln, die sich die Menschheit mangels besseren Wissens ausgedacht hatte.

Und hier spielten auch die Verstorbenen von Anfang an eine sehr wichtige Rolle. Der Glaube bestand darin, dass die Familien- oder Stammeszugehörigen nach ihrem Ableben auch weiter im Kontakt mit dem Diesseits stünden. Und dass der Umgang mit ihnen Einfluss etwa auf den Jagd- oder Ernteerfolg habe.

Das kann als Vorstufe von Götterglauben betrachtet werden: Aus der Ahnenverehrung wurde zunächst ein Polytheismus. Später fasste man diese vielen Einzelgötter zu einem einzigen Gott zusammen: Der Monotheismus war geboren.

Mit der Trinitätslehre, aber auch in Form der umfangreichen Heiligenverehrung (Stichwort: Allerheiligen) sind gerade bei den Katholiken Spuren dieser Ursprünge bis heute erhalten geblieben.

Die Kultivierung eines sich selbst verstärkenden Denkfehlers

Praktisches Beispiel: Ein Stamm opfert seinen Ahnen, wovon er sich eine gute Ernte verspricht. Fällt die Ernte dann gut aus, wird das als Beweis für die Macht der (wohlmeinenden) Ahnen gewertet. Fällt sie schlecht aus, macht der zuständige Schamane (später: Priester) die Stammesmitglieder dafür verantwortlich, die ganz offensichtlich zu wenig geopfert oder sich sonstwie falsch verhalten hatten.

Beide Ernteergebnisse, die in Wirklichkeit freilich in überhaupt keinem Zusammenhang mit vermeintlich agierenden Verstorbenen stehen, tragen so zu einer kontinuierlichen Überhöhung der Ahnen und später dann der Götter bei. Ein in sich geschlossenes, selbst verstärkendes Denkschema. Egal, ob es gut oder schlecht für sie läuft, es führt Menschen in eine immer tiefere Abhängigkeit vom Wohlwollen erst ihrer Ahnen und später ihrer Götter.

Und hier liegen auch die Wurzeln der Vorstellung, Menschen würden auch nach ihrem Tod mit dem Diesseits interagieren. Also genau das, was Pfarrer Welter mit seinen Formulierungen suggeriert. Allerdings, ohne es direkt zu behaupten und mit katholischen Argumenten zu untermauern.

Leibliche Auferstehung

Dabei könnte er sich hier problemlos auf die Dogmen seiner katholischen Kirche berufen (Hervorhebungen von mir).

  1. Der Tod ist in der gegenwärtigen Heilsordnung eine Straffolge der Sünde.
  2. Alle erbsündigen Menschen sind dem Gesetz des Todes unterworfen.
  3. Die Seelen der Gerechten, die im Augenblick des Todes von aller Sündenschuld und Sündenstrafe frei sind, gehen in den Himmel ein.
  4. Die himmlische Seligkeit dauert in alle Ewigkeit.
  5. Der Grad der himmlischen Seligkeit ist bei den einzelnen Seligen verschieden je nach dem Grade ihrer Verdienste.
  6. Die Seelen derer, die im Zustand der persönlichen schweren Sünde sterben, gehen in die Hölle ein.
  7. Die Höllenstrafe dauert in alle Ewigkeit.
  8. Die Seelen der Gerechten, die im Augenblick des Todes noch mit lässlichen Sünden oder zeitlichen Sündenstrafen belastet sind, gehen in das Fegfeuer ein.
  9. Am Ende der Welt wird Christus in Herrlichkeit wiederkommen zum Gericht.
  10. Alle Toten werden am Jüngsten Tage mit ihren Leibern wieder auferstehen.
  11. Die Toten werden mit (numerisch) demselben Leib auferstehen, den sie auf Erden getragen haben.
  12. Christus wird nach seiner Wiederkunft alle Menschen richten.
    (Quelle: Ludwig Ott: Grundriß der Katholischen Dogmatik, Zit. n. katholisch.com: Die 245 Dogmen der Kirche – Katholische Antworten)

Nach katholischer Auffassung steht es also völlig außer Frage, dass Menschen auch nach ihrem Tod weiter existieren.

Und als Schmankerl haben die Katholiken nicht nur an die Existenz einer „ewigen Seele“ zu glauben. Sondern gar an eine leibliche Auferstehung.

Kein Wunder, dass Pfarrer Welter diese Absurditäten des Glaubens seiner Kirche lieber nicht erwähnt.

Nur so tun als ob

Sein Trick: Obwohl er die Toten zunächst so darstellt, als seien diese weiterhin aktiv handelnde Menschen, die mit dem irdischen Geschehen intaragieren (übrigens auch umgekehrt, Stichwort: Gebete für Verstorbene im Fegfeuer) und obwohl sein Glauben ihn eigentlich dazu verpflichtet, an die Fortexistenz von Menschen nach ihrem Tod zu glauben, spricht er stattdessen nur vom Umgang mit der Erinnerung an die Verstorbenen.

Für die Idee, sich an Verstorbene zu erinnern, bedarf es keines Ahnenkultes oder absurder Jenseitsvorstellungen. Es genügt die Erinnerung. Entweder an die Menschen und an das, was sie zu Lebzeiten gesagt und getan hatten. Oder, wie beim Gedenken an Kriegsopfer, auch an Ereignisse, die zum Tod geführt hatten.

Einen solchen Aufruf zum Totengedenken könnte auch zum Beispiel ein säkularer Bundespräsident verkünden. Wenn es denn mal einen gäbe.

Katholisches zum Thema: Fehlanzeige

Leider hat Pfarrer Welter die Gelegenheit nicht genutzt, um in seiner Funktion als katholischer Priester und Repräsentant der katholischen Kirche tatsächlich auch über die religiösen Aspekte zu sprechen.

Mich hätte zum Beispiel interessiert, ob Herr Welter den Tod auch für eine Straffolge der Sünde hält. So wie es das diesbezügliche Dogma der katholischen Kirche behauptet.

Oder warum er es konsequent unterlässt, sein nicht katholisches Publikum eindringlich vor dem zu warnen, was Leute, die zu Lebzeiten an keine oder andere Götter geglaubt haben laut Dogmen der katholischen Kirche (s. o.) erwartet. Wäre das nicht ein starkes Zeichen von Nächstenliebe, die die Christen ja so gerne für sich beanspruchen?

Und selbst wenn ihm das Schicksal seiner glaubensfreien oder andersgläubigen Mitmenschen egal sein sollte (so wie dem biblischen Jesus ja auch, siehe Mt 15,24), so wäre doch wenigstens eine Aufforderung zu erwarten gewesen, für die eigenen Verstorbenen im Fegefeuer zu beten.

Wir sehen einander bald wieder?

Obwohl der Glaube an eine jenseitige Weiterexistenz von Verstorbenen den Blick auf sie ja maßgeblich verändern würde, ist von alledem bei Pfarrer Welter mit keinem Wort die Rede.

In der katholischen Version des Kirchenliedes „Das Schicksal wird keinen verschonen“ heißt es zum Beispiel:

Was weinet ihr, Freunde und Brüder?
Wir sehen einander bald wieder
An dem Tage des letzten Gerichts.
Fürchtet Gott und fürchtet sonst nichts!

Wie tröstlich müssten solche Zeilen sein, wenn man aufrichtig glauben würde, dass das wirklich so ist wie hier behauptet? Warum Pfarrer Welter seinem Publikum solche tröstlichen Worte im Bezug auf das Totengedenken wohl vorenthält? Also die Aussicht, dereinst wieder und dann sogar zeitlich unbegrenzt gemeinsam mit den Verstorbenen leben zu dürfen? Wenn auch ohne eine physische Runderneuerung? Und dann ja wohl auch in der Gegenwart aller Verbrecher und Gewalttäter, die sich noch rechtzeitig zum richtigen Gott bekannt hatten und deshalb auch in die himmlische Herrlichkeit eingangen sind?

Falls das alles heute gar nicht mehr gelten sollte, dann frage ich mich, wer das wann und wie festgestellt hatte. Und außerdem frage ich mich, wer die Schäflein da so lange so massiv beschissen hatte.

Umgang mit den Toten als Zeichen von Zivilisation?

Vor zweieinhalbtausend Jahren hatten die alten Griechen dafür diese Lebens-Weisheit: „Die Zivilisation der Lebenden erkennt man daran, wie sie mit den Toten umgehen.“

Unabhängig davon, was genau hier gemeint sein soll: Sowohl die (rituelle) Bestattung, als auch das spätere Totengedenken kann man durchaus als zivilisatorische Leistung betrachten.

Für „ordentliche“ Bestattungen gab und gibt es nicht nur moralische, sondern auch ganz praktische gute Gründe, wenn man an verschiedene Begleiterscheinungen von Verwesung denkt.

Und dass frühe Ahnenkulte als Grundlagen für respektvollen und in der Folge auch für überhöhenden Umgang mit der Erinnerung an Verstorbene angesehen werden können hatte ich ja schon kurz angesprochen.

Eine Betrachtung der Erkenntnisse darüber, wie bestimmte nicht-menschliche Tierarten mit ihren Verstorbenen umgehen, wäre interessant, würde aber an dieser Stelle zu weit führen.

Umgang mit Toten als Indikator für Zivilisation

Das WIR der Lebenden erkennt man an ihrem Umgang mit den Toten.

Der November lädt ein, in diesem Sinne zivilisierter zu werden: Mit Allerheiligen und Allerseelen hat er angefangen, morgen ist Volkstrauertag und der Totensonntag der evangelischen Schwestern und Brüder eine Woche danach.

Einen gesegneten Gedenk-Sonntag wünsche ich Ihnen – das WIR sollte sich finden lassen!

Ich vertrete nicht die Auffassung, dass man das WIR der Lebenden an ihrem Umgang mit den Toten erkennt. Diese Ansicht passt in eine Zeit, in der mythologischer Jenseitsglaube fester Bestandteil einer Weltanschauung war.

Nur weil jemand verstorben ist, bedeutet das auch nicht, dass man ihn oder sie deswegen auch in ehrenvoller Erinnerung behalten muss. Das hängt viel mehr davon ab, was jemand zu Lebzeiten gesagt und getan, oder auch nicht gesagt und nicht getan hatte.

Bei dem als zivilisatorische Leistung empfohlenen Totengedenken verkennt Pfarrer Welter außerdem auch den Umstand, dass eben nicht nur moralisch integre, vorbildhafte und damit erinnerungswürdige Menschen, sondern auch alle anderen irgendwann sterben.

Ich denke nicht, dass die Menschheit zivilisierter wird, wenn etwa die Anhänger eines grausamen Diktators dessen Todestag alljährlich mit feierlichen Zeremonien begehen.

Wie der Toten gedenken?

Statt eines Ahnenkultes, der zumindest in seinen Wurzeln auf irrigen Annahmen beruht und statt einer pauschalen Überhöhung von Verstorbenen zu dadurch automatisch verehrungs- und erinnerungswürdigen Übermenschen schlage ich einen säkular-humanistischen Umgang mit dem Totengedenken vor.

Dazu gehört zunächst mal, den Tod als Ende des Lebens und damit auch als Ende der Existenz einer menschlichen Persönlichkeit zu akzeptieren. Übrig bleiben keine im Hintergrund agierende Agenten, sondern Erinnerungen.

Ich muss mir nicht einbilden, Menschen würden nach ihrem Tod noch in Gemeinschaft mit uns Hinterbliebenen leben, wie es Herr Welter in seinem heutigen „Wort zum Sonntag“ immer wieder darstellt, ohne es freilich tatsächlich zu behaupten. Ich kann mich auch trotz der Endgültigkeit des Todes an Verstorbene erinnern. Und zum Beispiel überlegen, was sie in zu bestimmten Themen wohl gesagt oder in bestimmten Situationen wohl getan hätten.

Liebe Menschen kann ich in liebevoller Erinnerung behalten. An den Biographien von Menschen, die sich zu Lebzeiten vorbildlich verhalten haben, kann ich mich für mein eigenes Handeln orientieren. Während die Biographien anderer Menschen auch zur mahnenden Erinnerung herangezogen werden können und sollten.

Zu behaupten oder auch nur, wie Herr Welter, so zu tun, als seien Verstorbene weiterhin aktiv aufs irdische Geschehen einwirkende Mitglieder unserer Gesellschaft, halte ich weder für sinnvoll, noch für erforderlich. Und schon gar nicht für ein Zeichen besonderen zivilisatorischen Fortschrittes.

…und weil es so ausgezeichnet zur Überschrift der heutigen Sendung passt, soll hier noch kurz Henry Gibson von der Organisation „Hilfe für die Toten“ zu Wort kommen:

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3 Gedanken zu „Von den Toten zum Wir – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Wie absurd der Gedanke ist, dass wir Menschen angeblich wegen unserer zu Lebzeiten begangenen „Sünden“ sterben müssen, wird am besten klar, wenn man dies mit den Tieren oder sogar den Sternen und Planeten vergleicht. Auch diese müssen eines Tages sterben. Welche „Sünden“ haben diese begangen, dass am Ende der Tod steht?

    Antworten
    • …guter Punkt, es sterben ja schließlich nicht nur (sprechende) Schlangen…
      …andererseits: Bei seiner ersten Fast-Komplett-Vernichtung sämtlichen Lebens auf der Erde (außer Meeresbewohner und Schwimmvögel und ein paar Prototypen) war es dem lieben Gott aus der biblisch-christlichen Mythologie ja offensichtlich auch völlig wurscht, welcher Spezies die Lebewesen angehörten, die er tötete.

      Antworten

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