Gedanken zu: Impulse von Stefan Buß: Das Kreuz mit dem Kreuz

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Gedanken zu: Impulse von Stefan Buß: Das Kreuz mit dem Kreuz, veröffentlicht am 23.8.23 von osthessennews.de

Darum geht es

Pfarrer Buß dankt Gott für Werte, die gegen den Widerstand der Kirche erkämpft werden mussten und die eben keine christlichen Wurzeln haben.

Die Legende vom christlichen Abendland

Genauso wie die Legende von der christlichen Moral zählt auch die Legende vom christlichen Abendland zu den Narrativen, mit denen die christlichen Kirchen bis heute ihre Ansprüche zum Beispiel auf Relevanz, Mitspracherecht, Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen, milliardenschwere staatliche Subventionierung und zahllose weitere Sonderprivilegien begründen:

[…] Man kennt in der Gesellschaft die Diskussionen um das Kreuz. In einer christlich geprägten Gesellschaft des Abendlandes, in der das Kreuz als Symbol prägend dazu gehört, hängen wir Kreuze ab.

(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Impulse von Stefan Buß: Das Kreuz mit dem Kreuz, veröffentlicht am 23.8.23 von osthessennews.de)

Wenn mit geradezu kleinkindhafter Trotzigkeit immer und immer wieder diese Legende vom christlichen Abendland kolportiert wird, dann kann man wohl nur immer wieder auf die historische Faktenlage hinweisen:

» Sucht man nach den Ursprüngen der europäischen Kultur, stößt man auf drei wesentliche Quellen: die Antike, die vermittelnde islam-arabische Hochkultur und die Aufklärung. Gestützt auf die Prinzipien der Wissenschaft und der Vernunft, der Gleichheit der Menschen und der Freiheit des Individuums, hat unsere heutige Kultur wenige Wurzeln im religiösen Judentum, nur schwache im Christentum, aber mächtige Rezeptionsstränge zur Antike.

Unbestreitbar ist, dass das Christentum Europa als Spartenkultur (man denke etwa an die gotischen Dome) geprägt und die europäische Geschichte mehr als ein Jahrtausend lang bestimmt hat. Die wissenschaftlich-geistige und politisch-kulturelle Entwicklung wurde dadurch jedoch sehr viel stärker behindert als gefördert. Zwar haben ab dem 13. Jahrhundert auch christliche Theologen, etwa die Renaissance-Humanisten, an der „Wiedergeburt Europas“ mitgewirkt, doch ihre maßgebliche Leistung bestand darin, die europäische Kultur von einer Last zu befreien, die es ohne das Christentum gar nicht erst gegeben hätte.

Vom „christlichen Abendland“ lässt sich daher vernünftigerweise nur in der Vergangenheitsform sprechen, etwa im Hinblick auf die „Klosterkultur des Mittelalters“. Die geistige, wissenschaftliche und gesellschaftliche Weiterentwicklung Europas seit der Renaissance jedoch beruht nicht auf  „christlichen Werten“, sondern vielmehr auf der zunehmenden Befreiung von diesen Werten. Der vielfach befürchtete „Untergang des christlichen Abendlandes“ hat also längst stattgefunden – und das ist auch gut so! Denn nur so konnte der moderne Rechtsstaat entstehen, in dem jeder Einzelne über sein Leben selbst bestimmen kann, ohne dabei von „religiösen Autoritäten“ gemaßregelt zu werden. «

(Rolf Bergmeier und Michael Schmidt-Salomon in der Broschüre Die Legende vom christlichen Abendland (PDF))

Es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, wie viele Menschen – und darunter auch erschreckend viele Nicht-Christen – bis heute auf die Legende vom christlichen Abendland hereinfallen. Statt einmal zu hinterfragen, woher die Grundlagen moderner ethischer Standards und freiheitlichen Rechte eigentlich wirklich stammen.

Kreuz als Zeichen für Trost und Zuversicht?

Mit dem Zeichen des Kreuzes verbindet sich aber auch vieles: christliches Bekenntnis und europäische Kultur, banale Gewohnheiten und existentielle Herausforderungen, Leid und Tod, Anpassung und Widerstand, Niederlage und Sieg, Trost und Zuversicht.

Christliches Bekenntnis, banale Gewohnheiten, Leid und Tod, Anpassung und Niederlage lassen sich tatsächlich, also auch unabhängig vom eigenen Glaubensbekenntnis bzw. von der eigenen Weltanschauung mit dem Zeichen des Kreuzes verbinden.

Um ein Todesfolterungsinstrument jedoch für ein Zeichen für Trost und Zuversicht halten zu können, bedarf es schon eines Glaubens an Prämissen, für den man den gesunden Menschenverstand umgehen und den eigenen moralischen Kompass ausschalten muss.

Die Frage, wie man Menschen dazu bringt, ein Todesfolterungsinstrument wie ein Kreuz für „schön“ bzw. für ein „Zeichen des Friedens“ zu halten, war Thema eines der ersten Beiträge auf AWQ.DE.

Der Beweis!

Das wichtigste Symbol der Christen ist das Kreuz. Es erinnert sie an Jesus, der am Kreuz gestorben ist und anschließend auferstanden ist. Das ist für Christen der Beweis, dass auch sie nach dem Tod bei Gott ewig weiter leben werden.

Die biblische Auferstehungslegende ist natürlich die grundlegende Legende des Christentums.

Wenn Herr Buß die biblischen Schilderungen als Beweis (!) dafür anerkennt, dass jemand, der am Kreuz gestorben ist nach seinem Tod tatsächlich wieder gelebt hat, dann müsste er konsequenterweise auch jede beliebige andere Behauptung für genauso wahr halten, die in irgendwelchen Büchern jemals aufgestellt wurde.

Aus dem Fürwahrhalten der biblischen Auferstehungslegende dann noch zu folgern, dass damit bewiesen sei, dass auch Christen nach dem Tod bei Gott ewig weiter leben werden bringt die ganze Absurdität, Skurrilität und auch Überheblichkeit des biblisch-christlichen Glaubenskonstruktes auf den Punkt.

Allein schon das Konzept eines „ewigen Lebens“, und dann noch in der Form, wie es die Dogmen der katholische Kirche beschreiben erscheint mit unserem heutigen Wissens- und Erkenntnisstand so absurd, dass man sich kaum vorstellen kann, wie jemand ein solches „ewiges Leben“ nicht nur für real oder wenigstens plausibel, sondern gar für für so erstrebenswert halten kann, dass er bereit ist, danach seine komplette Weltanschauung auszurichten.

Kreuz: „Zeichen göttlicher Liebe, Weisheit und Vorsehung“

Was dem einen als Zeichen göttlicher Liebe, Weisheit und Vorsehung gilt, ist dem anderen ein Ärgernis. Nur kalt lässt das Kreuz niemand.

Natürlich gibt es Menschen, die das Kreuz kalt lässt: Genau jene, die es für ein Zeichen göttlicher Liebe, Weisheit und Vorsehung halten.

Genau das meinte ich mit dem moralischen Kompass, der erst durch religiöse Indoktrionation außer Kraft gesetzt worden sein muss, damit Menschen ein Todesfolterungsinstrument und das damit verbundene Leid für ein Zeichen göttlicher Liebe, Weisheit und Vorsehung halten können.

Sich als allmächtiger (!) Gott seinen eigenen Stiefsohn als Menschenopfer zur eigenen Befriedigung im Interesse Dritter zu Tode foltern zu lassen (wenn auch nur vorübergehend), könnte sonst wohl kaum als Liebe bezeichnet werden.

Genausowenig zeugen die biblischen Gottesmythen für eine außergewöhnliche Weisheit des angeblich doch sowieso allwissenden Wüstengottes. Eher ergibt sich das Bild eines psychopathischen, selbstverliebten Despoten mit ausgeprägter Persönlichkeitsstörung, Hang zu brutalster Gewalt – und zufällig genau dem soziokulturellen Entwicklungsstand des Wüstenvolkes aus der ausgehenden Bronzezeit, das sich diesen Gott ausgedacht hatte.

Und wer heute noch ernsthaft das Konzept einer göttlichen Vorsehung vertritt, der muss sich zumindest in dieser Hinsicht schon seines gesunden Menschenverstandes grundlegend entledigt haben.

Ätschi!

Entgegen anderslautenden Stimmen kann man es auch nicht mal eben wegdiskutieren. Nach wie vor krönt es Häupter, Kirchturmspitzen und Schlosskuppeln, steht auf Friedhöfen, Berggipfeln und an Bahnübergängen, ziert Flaggen und Wappen, Hals und Ohren, und findet sich in Schulen und Spitälern, was immer wieder für Aufregung sorgt. Das Kreuz begegnet uns als Wegzeichen und „Marterl“, selbstverständlich in der Kirche, aber auch beim Skat. Der Kreuzbube sticht alle! Aus der Sprache ist es nicht wegzudenken, sogar auf Spinnen zeigt sich bisweilen das Kreuz und im Fell des provenzalischen Esels.

Mit anderen Worten: Hauptsache, wir werden noch irgendwie wahrgenommen – egal wie! Unklar bleibt, warum Herr Buß nicht auch noch die Autobahnkreuze erwähnt hat – um auch noch die zu kriegen, die Kreuze auf Spinnen, Spielkarten und provenzalischen Eseln nicht so überzeugend finden wie offenbar Pfarrer Buß.

Die in manchen Gegenden noch erscheckend umfangreiche Präsenz christlicher Symbolik im öffentlichen Raum stammt noch aus einer Zeit, in der die Christen hierzulande nicht wie heute eine Minderheit, sondern noch die große Mehrheit darstellten.

Daraus folgt allerdings keineswegs, dass das auch in alle Zukunft so bleiben muss.

Wessen Werte…?!

Nächstenliebe - (c) Jacques Tilly
Nächstenliebe – (c) Jacques Tilly

Unser Land ist, Gott sei Dank, von großer Demokratie, Toleranz und Religionsfreiheit geprägt, aber gerade deshalb sollte es auch zu seinen Wurzeln stehen.

Demokratie, Toleranz und Religionsfreiheit sind alles Werte, die gegen den erbitterten Widerstand der Kirche während der Aufklärung und Säkularisierung hart erkämpft werden mussten.

Ausgerechnet dem Bibelgott dafür zu danken und diese Werte auf christliche Wurzeln zurückzuführen, ist an klerikaler Arroganz und an religiotischem Zynismus kaum zu überbieten.

Natürlich gibt es neben „Alle Kreuze sind wunderschön und müssen bleiben!“ und „Alle Kreuze sind ein Ärgernis und müssen weg!“ auch noch andere Optionen, die Herr Buß nicht erwähnt.

Beispiel: „Kreuze sind für immer mehr Menschen schlicht bedeutungslos geworden und werden nicht vermisst, wenn sie nach und nach aus dem öffentlichen Raum verschwinden.“

Kreuze als Mahnmal zur Erinnerung an die Opfer des Christentums

Ich halte es sogar für vorstellbar, dass die Kirche früher oder später von sich aus beginnt, ihre Kreuze stillschweigend nach und nach zurückzubauen.

Nämlich entweder dann, wenn die Betriebskosten zum Erhalt weiter steigen und sich niemand mehr findet der noch bereit ist, diese Kosten zu tragen.

Oder dann, wenn die Zahl der Menschen, die in Kreuzen Mahnmale zur Erinnerung an die unzähligen Opfer des Christentums sehen, die Zahl der Menschen überwiegt, die mit dem Kreuz noch irgendwelche positiven Aspekte in Verbindung bringen.

Und genau deshalb halte ich es für wichtig, Menschen über die Legenden und oft genug auch Lügen und Falschdarstellungen, auf denen das Christentum und die christliche Kirche beruhen aufzuklären. Damit immer mehr Menschen bewusst wird, dass es eben nicht die christlichen Werte sind, auf denen unsere offene und freie Gesellschaft basiert.

Genauso wichtig ist die Aufklärung über die zahllosen kirchlichen Verbrechen und das damit verbundene Leid, dass die Kirchen im Laufe ihrer beispiellosen Kriminalgeschichte weltweit begangen, systematisch begünstigt und verursacht haben.

Kirchenmitgliedschaft: Ein Grund zum Schämen

Das Bekanntwerden des kirchlichen Missbrauchsskandales mit seinem unvorstellbar großen Ausmaß, verbunden mit dem Totalversagen der Kirchenführung beim Umgang mit diesem Skandal ist sicher für viele Menschen ein wichtiger Grund, mit dieser Kirche nichts mehr zu tun haben zu wollen.

Aber es gibt noch zahllose weitere Gründe, wegen derer man sich heute schämen muss, die Kirche mit seiner Mitgliedschaft finanziell und Mitgliederzahlenmäßig zu unterstützen.

Mit Blick auf die 10bändige „Kriminalgeschichte des Christentums“ sagte einst Autor Karlheinz Deschner: „Sie verzeihen es mir nie, daß sie so abscheulich sind, wie ich sie geschildert habe.“ Und in Deschners Werk war die jüngere, nicht minder kriminelle Vergangenheit noch gar nicht berücksichtigt.

Ein weiterer Grund, sich besser heute als morgen von der Kirche zu distanzieren, ist die Rolle der christlichen Missionierungsschulen als Erfüllungsgehilfen der Kanadischen Assimilierungspolitik – und auch hier wieder der Umgang der Kirche mit diesem Skandal.

Die eigene Brutalität und Menschenverachtung, die der Kirche zwar schon immer bekannt, von ihr aber konsequent verschwiegen wurde, war erst im Rahmen der Entdeckung von anonymen Massengräbern mit den Überresten tausender Kinder in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung gelangt.

Zur Historie, der Gegenwart und der juristischen Aufarbeitung dieses Skandals veröffentlichen wir in den kommenden Tagen ein sehr interessantes dreiteiliges Interview, das Andreas Edmüller mit der Indigenen-Expertin Monika Seiller führte.

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9 Gedanken zu „Gedanken zu: Impulse von Stefan Buß: Das Kreuz mit dem Kreuz“

  1. Hallo ich bin neu hier und möchte mich gerne über die verschiedenen Themen unterhalten. Ich stehe in einer persönlichen Beziehung mit Gott seit 1984 und habe es nie bereut. Ich denke bei fairen Umgang lässt sich Gott in Jesus Christus entdecken

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    • Hallo Andreas, willkommen auf AWQ. Die Kommentarfunktion ist in erster Linie für zusätzliche Gedanken/Fragen/Anmerkungen/Diskussionen zum jeweiligen Beitrag gedacht.

      Wenn dir also irgendwas zu den Themen „Kreuz“, „christliches Abendland“, „Kriminalgeschichte des Christentums“ usw. einfällt, dann gerne her damit! 🙂

      Wenn es dir um andere Themen geht, findest du auf AWQ sicher passende Beiträge zu allen möglichen Themen, wo zugehörige Kommentare gut aufgehoben sind.

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  2. Tja, das war jetzt mal wieder nix mit dem Kreuz Buben. Das Symbol kommt aus Frankreich; der originale französische Name ist „Trèfle“ (deutsch: „Klee“), das Kartensymbol stellt ein dreiblättriges Kleeblatt dar – kein „Kreuz“. Macht aber anscheinend nix – Hauptsache es wird christlich herumfabuliert. Fakten stören da nur. Wie auch sonst bei den Phantatsereien des Herrn Buß.

    Herr Buß glaubt natürlich auch die Phantasiegeschichten aus dem NT und hält wahrscheinlich auch die Filme um Pumuckl für einen Beweis seiner Existenz …

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  3. Demokratie, Toleranz, Religionsfreiheit, Frauenrechte, Menschenrechte wurden in der Tat gegen den Willen der Kirche durchgesetzt. Heute tun sie so, als hätten sie dies erfunden bzw. ergäbe es sich aus ihren Grundlagen (Bibel).
    Vor nicht allzulanger Zeit lasen sie aus ihrer Bibel, dass Monarchie gottgewollt ist, Frauen nichts zu sagen hätten, niemand einen anderen Gott anbeten dürfe usw. Die Bibel hat sich nicht verändert. Also muss sich wohl die Interpretation der Bibel geändert haben, um plötzlich ganz andere Ansichten für richtig und gottgewollt zu halten. Welche Kriterien nutzen denn diese Bibelinterpreten, wenn sie das eine Mal zu solchen, Jahre später zu anderen Interpretationsergebnissen kommen?
    Anders gefragt: Hätten die Kleriker im 18. und 19. Jahrhundert auch schon aus der Bibel lesen können, dass Frauen gleiche Rechte haben sollen, Demokratie besser ist als Monarchie, jedeR sich seine Religion aussuchen kann usw? Denn wenn man das heute rauslesen kann, hätte man es doch auch schon vor 200 Jahren schaffen können. Und wer kann sicher sein, dass nicht in weiteren Jahrzehnten oder Jahrhunderten plötzlich wieder Rechtfertigungen für Sklaverei und Steinigungen herausgelesen werden?
    Was also hat sich verändert, wenn es nicht die Bibel und nicht andere Grundlagen waren, die zu einer Interpretationsänderung geführt haben? Warum sind die Interpreten plötzlich zu anderen Ergebnissen gekommen?
    Eine mögliche Antwort: Die Ansichten in der Bevölkerung über diese Themen hat sich geändert. Man könnte auch sagen: der Zeitgeist. Natürlich kann man von einer einmal festgelegten Interpretation nicht so einfach abrücken. Deshalb die große Wut, mit der die Kleriker jeweils auf die Veränderungen reagierten. Immer wieder versuchten sie, den Zeitgeist aufzuhalten. Und dann, als es klar wurde, dass sie auf verlorenem Posten stehen, haben sie die Positionen erst zähneknirschend akzeptiert, später dann unter dem Kostüm der Nächstenliebe als eigene Idee ausgegeben.
    Die Kirchen laufen also dem Zeitgeist ca. 30 bis 100 Jahre hinterher. Die Basis des Menschen- und Menschenrechtebildes der Kirchen ist also nicht die Bibel, sondern der nicht mehr umzukehrende Zeitgeist. Damit wird die Bibel obsolet. Egal, was drin steht, es wird so interpretiert, wie man es gerade braucht. Man könnte meinen: die Kirchen haben gar keinen eigenen Standpunkt, sondern schauen, mir welchen Botschaften sie ihre Anhänger:innen halten können. Es geht nur noch um den Erhalt eines repressiven Systems, das den Klerikern Macht (glücklicherweise immer weniger) und Geld bringt.
    Warum aber bleiben die Kleriker nicht bei der einmal festgelegten Interpretation? Ja, die Menschen halten das für altmodisch und überkommen. Und Menschen, die gerade mit ihrem Blut die Demokratie erkämpft haben, hören sich nicht gerne am Sonntag an, dass aber die Monarchie die einzig richtige Regierungsform ist. Vielleicht kämen sie gar nicht mehr in die Kirche, vielleicht verweigern sie gar alle Alimentierung des Klerus. Da macht man denn doch lieber Zugeständnisse.
    Entweder verrät die Kirche ihre eigenen Überzeugungen, um zu überleben (und weiter alimentiert zu werden) und schleicht dem Zeitgeist hinterher oder sie bleibt bei den alten Interpretationen und verliert ihre (bzw. viele) Anhänger:innen. Im ersteren Fall erkennen irgendwann die Menschen, dass es gar keine festgelegte „Wahrheit“ bei den Kirchen gibt und gehen deswegen, im zweiten gehen sie, weil sie die Kirchen als hoffnungslos rückwärtsgewandt empfinden.
    Wir sind gerade in einer Zeit, in der sich der Zeitgeist rasch ändert und sich die Kirchen in ihrer Verwirrung (in welchem Punkt ändern wir unsere Interpretation, in welchem Punkt nicht) in immer größere Widersprüche verwickeln. Welchen Weg die Kirchen auch einschlagen: sie werden bedeutungslos und machen ihre zunehmende Bedeutungslosigkeit selbst immer deutlicher.
    Und wenn eines Tages niemand mehr in der Kirche ist, niemand mehr in die Kirche kommt und der letzte Kleriker im letzten Kirchengebäude das Licht löscht – wird er dann sagen: das ist gottgewollt, steht so in der Bibel?

    Antworten
    • Dem von Ihnen Gesagten kann ich nur vollumfänglich zustimmen.

      Ergänzend darf ich noch Folgendes hinzufügen und beschränke mich dabei vor allem auf das Schicksal der christlichen Konfessionen:

      Ca. 1800 Jahre lang haben die christlichen Kirchen in weiten Teilen der Welt dem gesamten gesellschaftlichen Leben ihren verhängnisvollen Stempel aufgedrückt – mit immer schon haarsträubender und widersprüchlicher Begründung ihrer Daseinsberechtigung und Dominanz.
      Sie konnten das aber nur aus dreierlei Gründen: Erstens wegen der ökonomischen und wissenschaftlich-technologischen Unterentwicklung und der erzwungenen Bildungsferne der missionierten Völker, aber vor allem anderen deshalb, weil sie – nachdem das Christentum Staatsreligion geworden war – ungestraft und meist mit willfähriger Unterstützung und Kumpanei der weltlichen Obrigkeiten ihre Macht und ihren Einfluss, kombiniert mit der Drohung oder Ausübung von psychischem und physischem Terror, durchzusetzen vermochten.
      Ohne das Schüren von Angst vor weltlicher und jenseitiger Strafe und deren Durchsetzung durch nackte Gewalt hätte sich die christliche Religion niemals am Leben erhalten können. Es ging stets nach dem Motto: „Gott ist immer mit den stärkeren Bataillionen.“

      Der welthistorische Wendepunkt kam mit der Französischen Revolution, in deren Verlauf erstmals erfolgreich und nachhaltig das Gewaltmonopol der christlichen Machtstrukturen in seinen Grundfesten erschüttert wurde. Und trotz aller Restaurationsbemühungen war die uneingeschränkte Hegemonie der Kirchen und des Adels gebrochen. Ein Zurück in vorrevolutionäre Zeiten war nicht mehr möglich. Dazu kam dann noch die industrielle Revolution und das beinahe explosionsartige Erblühen der Wissenschaften und Forschungen ohne die Zwangsjacke der religiösen Bevormundung mit allen ihren Weiterungen, die der christlichen Religion einen zusätzlichen Sargnagel hinzufügte.

      Aber wie gesagt: Gewalt und Terror war über Jahrhunderte hinweg das wichtigste Lebenselexier der christlichen Religion.
      Wie sich das Leben vor einigen hundert Jahren angefühlt haben muss, kann man ja heute noch anhand solcher Länder erahnen bzw. nachvollziehen, deren Staatsreligion nur deshalb existieren kann, weil sie mit äusserster Brutalität durchgesetzt werden kann und darf.

      Aber auch vor diesen Horrorstaaten wird das gnadenlose Gesetz der Dialektik nicht Halt machen; will sagen: Wo die Widersprüche im realen Leben ein solches Ausmass angenommen haben, dass sie nicht mehr unterdrückt werden können, müssen sie gelöst werden – so oder so.

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  4. Es ging stets nach dem Motto: „Gott ist immer mit den stärkeren Bataillionen.“
    sieht man am geringen Missionserfolg in China und Japan z.B.
    alternativ und älter ? 🙂
    Victrix causa diis placuit, sed victa catoni.
    Quelle: Asterix „Tour de Gaule“ Seite 44

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  5. Nur mal so gefragt!

    Das mit dem Kreuz an den Wänden habe ich eh nie verstanden, der Lattengustl hing doch da angeblich nur kurz und ist dann auferstanden, war also Alles nur Spaß.
    🤔 Na gut, so mit dem Kreuz ist das natürlich mit der Befestigung an der Wand etwas einfacher.

    Oder, was macht der Jesus nun seit über 2000 Jahren, wo doch alle, also Christen, auf Ihn warten?
    Hat er da oben Internet? Oder spielt er mit seinem Papa und dem Geist seit 2000 Jahren Schafkopf? Ist doch auf Dauer langweilig. Oder können die drei RTL empfangen (das würde zumindest erklären warum sich die Drei um die Schöpfung nicht mehr kümmern)?

    Ja lebt den der alte Jahwe noch?
    Was ist eigentlich aus dem guten alten Jahwe geworden? In der Kirche will irgendwie keiner mehr was mit ihm zu tun haben, man hört nichts mehr.
    Oder was ist aus der guten alten Hölle und der vielen Folter geworden? Für viele Gläubige existiert sie gar nicht mehr.

    Welcher Texte kann man eigentlich in der Bibel einfach ignorieren? Die könnte doch der Papst mal mit einem gelben Textmarker hervor heben oder schwärzen um das mal zu vereinheitlichen.

    Hatte Gott vielleicht beim inspirieren der Bibel eine Lese-, Schreibschwäche? Oder warum brauchen wir die Exegese?

    Also nix für ungut, ich Frage für einen Freund.

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