Kreuze: Ein Hinrichtungsgerät als Symbol des Friedens?

Lesezeit: ~ 4 Min.

Achtung: Dieser Artikel über Kreuze enthält Darstellungen von brutaler Gewalt, was auf nicht religiös indoktrinierte Menschen verstörend (oder gestört) wirken könnte.

Kreuze auf Berggipfeln, am Wegesrand, in Kirchen, Klassenzimmern, in öffentlichen Gebäuden oder auch an Halskettchen.  An unglaublich vielen Orten hängen oder stehen hierzulande Kreuze. Aber wie kann es sein, dass für viele Menschen der Anblick eines Gegenstandes, der ausschließlich den Zweck der Folter und qualvollen Hinrichtung hat, so selbstverständlich ist? Dass Kreuze nicht nur stillschweigend toleriert, sondern gar als „stimmungsvoll“ oder „schön“ empfunden werden? 

Kreuzigungsgruppe Kreuzberg Rhoen
Kreuzigungsgruppe auf dem Kreuzberg/Rhön
Foto: Jürgen Hüfner

In diesem Beitrag soll es nicht um die grundsätzliche Frage nach der Sinnhaftigkeit einer Religion, sondern um die Diskrepanz zwischen einem grausamen Foltergerät auf der einen und dessen positiver Wahrnehmung und Auslegung auf der anderen Seite gehen.  Die Frage, was von einer Religion zu halten ist, die ein Hinrichtungswerkzeug als Erkennungszeichen gewählt hat, muss jeder für sich selbst klären.

Oder die Frage, was von einem allmächtigen Gott zu halten ist, der keine andere Möglichkeit hat, ein paar Menschen seine Liebe zu beweisen, als dass er seinen eigenen Sohn zu seiner eigenen Befriedigung auf die denkbar grausamste Art und Weise als Menschenopfer zu Tode foltern zu lassen.

Das Kreuz mit den Kreuzen

Das Dilemma wird nachvollziehbarer, wenn man sich kurz folgendes Szenario vorstellt: Man stelle sich eine heute neu gegründete Bewegung, die Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit postuliert, vor. Diese beauftragt eine Marketingfirma mit der Erstellung eines aussagekräftigen Logos. Wie wäre wohl die Reaktion, wenn beim Kick-Off stolz die symbolhafte Darstellung einer Handgranate oder einer Tretmine präsentiert würde? Unvorstellbar?

Man geht davon aus, dass die Einführung des Kreuzes als Symbol für das Christentum auf das Konzil von Ephesos zurückgeht – 431 nach Christi Geburt. Das war zu einer Zeit, in der der Kreuzigungstod als Hinrichtungsmethode abgeschafft war. Was mag die Menschen damals dazu bewogen haben? Das Kreuz sei eine Erinnerung an den „Opfertod“ Jesu, war eine der Antworten bei meiner Online-Umfrage unter Menschen, die Bilder von Kreuzen als „stimmungsvoll“ empfinden.

Nun waren Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe laut Bibel damals nicht die vorrangigen Ziele. Biblische Aufrufe dazu beziehen sich lediglich auf die Zugehörigen der eigenen Gruppe. Vielmehr stand die Verbreitung des Glaubens unter den Nicht- und Andersgläubigen im Vordergrund. Die Folge: Massenmorde, Genozide in Form von Kreuzzügen (sic!) – im Namen Gottes, im Zeichen des Kreuzes, das hierzu natürlich tatsächlich wesentlich besser passte als irgendein Friedenssymbol.

Kreuze: Symbole für Leid, Qual und Tod

Das Kreuz steht also für den Tod. Nicht nur für den Tod von Jesus, sondern auch den Tod aller, die im Namen des Kreuzes getötet wurden. Noch heute wird z.B. auf Grabsteinen das Sterbedatum mit einem Kreuz gekennzeichnet. Der Tod spielt die zentrale Rolle im Christentum (zur gleichen Einsicht kam z.B. auch Georg Kreisler 1971 in „Der Zweck der Kirche“). Das Kreuz symbolisiert den Tod, nicht etwa die Auferstehung vom Tod, wie Gläubige das oft behaupten.

Kurzum: Aus damaliger Sicht war das Kreuz tatsächlich ein zu den damaligen Zielen passendes Symbol. Aber heute? Ungezählte Menschen wurden im Namen (des angeblich richtigen) Gottes ermordet worden waren. Auch heute werden noch Menschen im Namen (des angeblich richtigen) Gottes ermordet. Das wirkt auf die Anhänger des früheren angeblich richtigen Gottes heute sehr verstörend und nicht nachvollziehbar.

Dann gab es Zeiten, in denen der Einfluss der Kirchen schwächer war.  Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe konnten als erstrebenswerte Ziele in der Gesellschaft mühsam durchgesetzt und etabliert werden. Nach und nach eignete sich die Kirche diese Errungenschaften an. Sie änderte damit ihre Ausrichtung quasi um 180 Grad: Von mordenden, plündernden Missionaren hin zu einer angeblichen Friedensbewegung. Missioniert wurde jetzt nicht mehr mit dem Schwert, sondern mit dem Wort – und nach wie vor im Zeichen des Kreuzes.

Die martialischen, Menschen verachtenden Aussagen der Bibel wurden einst als Begründung und Rechtfertigung für ungezählte Morde hergenommen. Später wurde kräftig relativiert oder ignoriert. Aspekte, die die neue, mitmenschliche Ausrichtung stützen, wurden jetzt verstärkt und herausgestellt.

Heute würde man wohl von „reframing“ sprechen, also von einer Umdeutung der Inhalte, um die gewünschte Aussage zu erhalten. Die Bibel ist in dieser Hinsicht sehr flexibel – ein Massenmord lässt sich damit genauso rechtfertigen wie menschliches Miteinander und Nächstenliebe.

Zurück zum Thema: Wie schafft es ein aufgeklärter, erwachsener und geistig gesunder Mensch im 21. Jahrhundert, den Widerspruch zwischen der Realität eines brutalen Hinrichtungsgerätes auf der einen und seiner vermutlich von Nächstenliebe und Frieden geprägten Einstellung auf der anderen Seite zu ertragen? Auf diese Frage habe ich bis jetzt noch keine wirklich brauchbare Antwort bekommen.

Kreuze sind den meisten Menschen gleichgültig

Den meisten Leuten scheint dieser Widerspruch gar nicht als solcher bewusst zu sein. Mögliche Gründe dafür könnten Gleichgültigkeit, Ignoranz, Gewöhnung oder aktive Verdrängung sein. Betrachtet man die gesamte Bevölkerung unabhängig von deren Glaubenszugehörigkeit, ist Gleichgültigkeit wahrscheinlich die häufigste Ursache. Wer sich sonst keine diesbezüglichen Gedanken macht, macht sich auch über Kreuze wahrscheinlich keine.

Kreuze
Realistische Darstellung
einer Kreuzigung
Foto: Jürgen Hüfner

Interessanter wird es, wenn man Leute fragt, die sich mit Darstellungen von Kreuzen nicht nur abgefunden haben, sondern diese sogar „schön“ und „stimmungsvoll“ finden. Für diese Leute ist es natürlich noch schwieriger, sich eine Argumentation so hinzubiegen, dass sie das Kreuz als geeignetes Symbol rechtfertigt.

Da ist dann von der symbolischen Darstellung von Verbindungen zwischen Menschen, Himmel und Erde die Rede. Da hatten z.B. die Prä-Inka-Kulturen oder die Ägypter aber mehr drauf, um das darzustellen… Und schließlich würden ja auch viele Nicht-Christen ein Kreuz als Schmuck tragen.

Öfters habe ich eine Kombination aus Gewöhnung und Verdrängung angetroffen. Das Bild des Kreuzes war für diese Leute wahrscheinlich schon seit der Geburt präsent. Selbst  (über-) lebensgroße, erschreckend realistische Darstellungen eines beinah zu Tode gequälten Menschen scheinen sich durch eine rechtzeitig begonnene, kontinuierliche Indoktrination dauerhaft einzuprägen.  So dauerhaft, dass dieses makabere Bild später nie mehr hinterfragt wird.

Darauf angesprochen, reagieren diese Menschen meist beleidigt und verärgert – man solle froh sein, dass „wir“ uns damals für das Kreuz und nicht für den Halbmond entschieden hätten. Sie verstehen nicht (oder wollen nicht verstehen), dass es nicht um die (heutigen) Werte des angeblich „christlichen“ Abendlandes geht. Vielmehr geht es darum, was ein Kreuz tatsächlich ist und dass es wohl kaum ein passendes Symbol für eine friedliebende Gesellschaft im 21. Jahrhundert sein kann.

Kreuze verschwinden im Blinden Fleck

Menschen reagieren bei Konfrontation mit Leid und Todesqual natürlicherweise mit Schauder, Erschrecken, Empathie oder Verstörung. Dass manche Menschen Darstellungen von extremem Leid eines Gekreuzigten bzw. die symbolische Darstellung eines Kreuzes als „schön“ oder „stimmungsvoll“ empfinden, ist für mir nach wie vor nicht nachvollziehbar.

Andererseits glauben diese Leute ja aber auch an die Verwandlung von Brot in (menschliches) Fleisch und Wein in (menschliches) Blut zum Zwecke des Verzehrs. Oder auch daran, eines Tages „erlöst“ zu werden.

Schon aus Marketingtechnischer Sicht wäre es sicher mal interessant zu untersuchen, wie man im 21. Jahrhundert Menschen klaren Verstandes dazu bringt, so etwas zu glauben, egal ob es real oder symbolisch gemeint sein soll.

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