Du bist Gottes Kind … – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Menschenwürde

Lesezeit: ~ 6 Min.

Du bist Gottes Kind … – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Menschenwürde von Benedikt Welter (kath.), veröffentlicht am 14.9.2019 von ARD/daserste.de

Darum geht es

In seiner heutigen Fernsehpredigt gibt Herr Welter einmal mehr einen Einblick in eine Vorstellungswelt, die bei Licht betrachtet als religiös vernebelt und verstrahlt erscheint: So vertritt der Pfarrer zum Beispiel die Ansicht, die Würde und das Recht des Menschen seien Geschenke seiner Gotteseinbildung.

Die Geschichte, die Herr Welter als Aufhänger für seine heutige Verkündigung verwendet, soll verdeutlichen, dass Menschen auch auf Ansehen und Würde angewiesen sind.

Herr Welter hält Ansehen sogar für noch wichtiger für Menschen als Essen und Trinken. In der Lebenswirklichkeit des Herrn Pfarrers scheint es keine Menschen zu geben, die für einen einzigen Schluck Wasser oder einen Bissen Brot sehr gerne auf jegliches Ansehen verzichten würden.

Spannend wird es dann ab der Stelle, an der Herr Welter beginnt, seine religiösen Phantasien mit der Wirklichkeit zu vermischen:

Standing by Einbilding

[…] Als Christ hilft mir in so einer Gemengelage aus Meinungen und Verletzungen ein Wort, das mir und jedem schon bei der Taufe gesagt worden ist und seither immer wieder mal: Du bist Gottes geliebtes Kind. Und Gottes Liebe gibt dir eine Würde, die dir niemand und nichts nehmen kann; nicht einmal du selbst; nie. Das gibt standing. (Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Wort zum Sonntag von Benedikt Welter (kath.), veröffentlicht am 14.9.2019 von ARD/daserste.de)

Solange es nur um ihn selbst geht, ist es ja völlig egal, was Herr Welter für die Ursache seiner eigenen menschlichen Würde hält. Wenn es ihm mit der Einbildung, die fiktive Liebe eines ebenso fiktiven Götterwesens gäbe ihm „standing“ besser geht – warum nicht. Menschen glaubten und glauben ja mitunter auch sonst alles Mögliche. Und auch noch viel größeren Quatsch.

Auch wenn mir nicht ganz klar ist, was sich Herr Welter – außer vielleicht Mitleid – von seiner heutigen Verkündigung verspricht: Solange es ihm selbst nicht peinlich ist, möge er natürlich auch sein Publikum an seiner religiösen Realitiätsverweigerung teilhaben lassen.

Aber dann bitte auf eigene und nicht auf öffentliche Kosten!

Wie wirkt sich das aus?

Jetzt stellt sich natürlich die Frage, wie es sich auf einen Erwachsenen auswirkt, wenn er die menschliche Würde in einen ursächlichen Zusammenhang mit der eingebildeten Liebe seiner Gottesvorstellung bringt.

Wie bewältigt der Herr Pfarrer zum Beispiel den Umstand, dass der in der biblisch-christlichen Mythologie beschriebene Gott seine Liebe an die Bedingung knüpft, sich ihm vollständig und exklusiv zu unterwerfen? Ganz einfach: Diesen Aspekt kehrt Herr Welter – wie in Mainstream-Religionsverkündigungen üblich – unter den Teppich:

Und weil ich Gottes geliebtes Kind bin, sehe ich bei jedem und jeder anderen auch diese ganz besondere Würde. Das gibt mir einen neuen Blick auf die Menschen; es entsteht so etwas wie Ehrfurcht vor der und dem anderen und vor ihrer jeweils ganz eigenen Lebensgeschichte.

Christentum
gefunden bei Die Atheisten

Was bitte ist das denn für eine Logik?! Erst behauptet Herr Welter, der Mensch erhalte seine Würde durch die in der Taufe geschenkte göttliche Liebe.

Und jetzt führt diese Einbildung bei ihm dazu, menschliche Würde auch bei allen anderen Menschen zu sehen? Also auch bei denen, die weder durch den „richtigen“ Glauben, noch durch Getauft-Sein die Kriterien erfüllen (vgl. Mk 16,16), von denen dieser Gott seine Liebe abhängig macht? Und das Ganze nicht etwa optional, sondern unter Androhung zeitlich unbegrenzter, unvorstellbar brutaler physischer und psychischer Dauerfolter durch Höllenqualen bei vollem Bewusstsein?

Ich halte es für ein menschliches und intellektuelles Armutszeugnis, wenn ein gebildeter Erwachsener im 21. Jahrhundert offenbar erst durch seine Einbildung, er sei das geliebte Kind eines magischen Himmelwesens auf die Idee kommt, Ehrfurcht vor der und dem anderen und vor ihrer jeweils ganz eingenen Lebensgeschichte zu entwickeln.

Natürlich könnte man hier einwenden: Es ist doch seine persönliche Angelegenheit, wie sich Herr Welter seine Weltsicht zusammenbastelt. Solange sich seine religiösen Phantasien darin äußern, dass er die Würde seiner Mitmenschen anerkennt, ist doch alles gut.

Menschenwürde hat nichts mit Religion zu tun

Allerdings möchte ich mich nicht darauf verlassen müssen, dass Menschen die absurde und im Grunde unmenschliche biblisch-christliche Ideologie auch wirklich immer so uminterpretieren und zurechtbiegen, dass sie sich deshalb anderen Menschen gegenüber anständig verhalten.

Denn mit der biblisch-christlichen Ideologie lässt sich auch ein genau gegenteiliges Verhalten „legitimieren.“ Nachzulesen in der 10bändigen Kriminalgeschichte des Christentums. Oder täglich zu beobachten in den Regionen der Welt, in denen Christen auf Grundlage ihres christlichen Glaubens bereitwillig den Schulterschluss mit Diktatoren, Nationalisten und Populisten üben.

Religionen und ihre „heiligen Schriften“ sind keine brauchbare Grundlage für moderne ethische Standards.

„Denk’ ich an Deutschland in der Nacht“: Statt sich um den Schlaf zu bringen, sollten gerade die Menschen in diesem Land einander wieder mehr voneinander erzählen. Wie wer etwas erlebt hat. Dann werden sie vielleicht auch besser verstehen, dass und warum eine Verletzung, die doch schon dreißig Jahre alt ist, eben immer noch weh tut.

Redet miteinander und hört einander zu. Hätte diese Aussage nicht völlig gereicht? Eine ganz einfache, weltliche, menschliche Forderung? Ganz ohne irgendwelche Geister, Götter und Gottessöhne?

[…] Versöhnt hoffentlich aufblühen: wenn Menschen sich selbst und gegenseitig ihres Ansehens vergewissert haben.

Genau. Gegenseitiges Ansehen ist etwas, das mit Menschen zu tun hat. Etwas, das entstehen kann, wenn man sich miteinander unterhält. Und wenn man auch offen für die Biographie, Sorgen und Nöte seiner Mitmenschen ist.

Alles was würdig und recht ist…

Aber das darf ein Berufsgläubiger so natürlich nicht stehen lassen. Irgendwo muss er ja noch seine Religion als irgendwie relevant ans Thema anflanschen.

Also schnell noch irgendwas Religiöses zum Schluss. Und da wird es jetzt ganz abenteuerlich:

Da ist Gott alles andere als sparsam. „Würdig und recht“, sagen wir in der katholischen Messe, stehen wir vor Gott. Menschen dürfen vor einem Gott stehen, der jeden Menschen als sein Kind betrachtet; das schafft Würde und Recht. Alles andere als billig. Eher: Wow! Ich bin WER – statt: ich bin irgendwas.

Bei Licht und vor allem ohne Vernebelung des Kontextes betrachtet bedeutet diese theologisch-rhetorische Nebelkerze:

Weil es laut katholischer Liturgie „würdig und recht“ ist, „dir, Herr, heiliger Vater, allmächtiger, ewiger Gott, immer und überall zu danken…“, deshalb dürfen sich Gläubige ihrerseits einbilden, etwas Besonderes zu sein.

Der höchste Wert unserer Gesellschaft, die Würde des Individuums wird hier in einen ursächlichen Zusammenhang mit der Unterwerfung unter einen bestimmten Wüstengott gestellt.

Für den Wert der Menschenwürde spielen religiöse oder sonstige Phantastereien jedoch keine Rolle.

Das einzige Kriterium für Menschenwürde ist das Menschsein.

Niemand bekommt mehr Würde, indem er sich vor einen Gott „stellt“ oder nicht (und wieder mal ein neuer Euphemismus für „Unterwerfung“, immerhin…). Im Gegenteil: Katholiken bringen ihre vollkommene Abhängigkeit in jedem Gottesdienst zum Ausdruck, indem sie sich selbst ihre Würde asprechen und diese ganz von der göttlichen Willkür abhängig machen: „Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach. Aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.“

Keiner ist nur „irgendwas“, nur weil er sich nicht einbildet, das Kind irgendeines Gottes zu sein.

Und keiner wird etwas Besonderes, indem er sich einem bestimmten Gott unterwirft.

Das bedeutet nicht, dass Religionen keine sozio-kulturellen Auswirkungen haben. Im Gegenteil: Wohl schon seit den ersten Anfängen religiöser Vorstellungen dienten diese als identitätsstiftendes Element dem Zusammenhalt der Glaubensgemeinschaft oder des jeweiligen Stammes.

So betrachtet würde die Vorstellung, die Verehrung eines bestimmten Gottes würde dem Menschen besondere Würde verschaffen auch Sinn ergeben: Wir, die Guten, Gottes auserwähltes Volk, die von Gottes Liebe abhängige Kinder Gottes, die so genannte ingroup auf der einen und ihr, die Bösen, die Frevler, die von Gott Gehassten und Verdammten, die outgroup auf der anderen Seite.

Lauwarm, glitschig, strümpfig

Meme: Volker DittmarUnsinnig wir dieses ganze Konzept, wenn allen Menschen ihre Würde zugestanden wird, unabhängig davon, ob bzw. welche Götter sie verehren.

Daran ändern dann auch die rhetorischen Winkelzüge und bunt schillernden, aber sinnleeren Worthülsen von Herrn Welter nichts: Entweder haben alle Menschen Menschenwürde, dann spielt Religion dafür keine Rolle. Oder aber Menschen bekommen ihre Menschenwürde dann verliehen, wenn sie den richtigen Gott verehren.

Da sich Herr Welter offenbar weder auf die eine, noch auf die andere Option festlegen (bzw. festnageln lassen) möchte, wählt er eine Lösung, die ich als lauwarm, glitschig oder auch strümpfig bezeichnen würde:

Erst behauptet er, Menschen bekämen ihre menschliche Würde für ihre Unterwerfung unter den „richtigen“ Gott verliehen. Dann haben diese Würde auf einmal auch alle anderen Menschen. Dass er diese erkennen kann, verdankt Herr Welter dem Umstand, sich einzubilden, selbst ein „geliebtes Kind Gottes“ zu sein. Und weil in der katholischen Liturgie die Dauerschleife-Danksagung an Gott (wofür zum Teufel eigentlich ausgerechnet einem solchen Gott auch noch danken!?) als „würdig und recht“ bezeichnet wird, fühlt sich auch Herr Welter als etwas Besonderes.

Ein weiteres, nicht gerade schmeichelhaftes, aber der Verschwurbeltheit dieser TV-Predigt meines Erachtens angemessenes Attribut fällt mir zu dieser Gesamtaussage dann doch noch ein: Bullshit.

Und damit meine ich nicht die private Phantasie-Wunschwirklichkeit von Herrn Welter. Die mag er sich selbstverständlich gestalten, wie auch immer es ihm beliebt. Bullshit deshalb, weil sie im Grunde wortreich und salbungsvoll überhaupt nichts aussagt.

Ich fände es mal interessant, von Herrn Welter eine inhaltliche Zusammenfassung seiner heutigen Fernsehpredigt in 2-3 Sätzen zu lesen.

Verzweifeltes Ringen um Relevanz

MemeDas heutige „Wort zum Sonntag“ zeigt vielmehr, wie verzweifelt und geradezu grotesk Versuche erscheinen, die christliche Phantasie- mit der irdischen Wirklichkeit in Einklang zu bringen.

Die biblisch-christliche Ideologie kann nicht funktionieren, wenn man mehr als die Hälfte einfach weglässt. Wenn man einfach behauptet, Gott liebe alle Menschen. Und wenn man Dinge wie Erbsünde, Erlösungsbedürftigkeit, Sünde, Auferstehung, Höllenqualen und was diese Ideologie noch so alles an absurden Voraussetzungen im Gepäck hat weglässt.

Allerdings lassen sich diese Absurditäten durch Verschweigen am einfachsten bewältigen. Dass dadurch der Rest der Verkündigung keinen Sinn mehr ergibt, fällt offenbar niemandem auf.

Klar: Gläubige betrifft es nicht, die fühlen sich ja sowieso schon als „die Guten.“ Und die Anderen interessiert es einfach nicht, ob Christen sich nun ihretwegen mitmenschlich verhalten, oder aber, weil sie sich davon eine jenseitige Belohnung für sich selbst erhoffen.  Oder weil sie sich einbilden, im Gegenüber ihre Gotteseinbildung zu erkennen.

A propos sparsam: Welche Anerkennung (oder sonst irgendetwas) könnte noch sparsamer sein als die eines magischen Himmelwesens, das bis zum Beweis des Gegenteils lediglich in der menschlichen Phantasie existiert?

Zu behaupten, Gott sei alles andere als sparsam, wenn es um Anerkennung menschlicher Würde geht, halte ich in Anbetracht von allgegenwärtigem Leid und Elend für maßlos arrogant und zynisch.

FacebooktwitterredditpinterestlinkedintumblrmailFacebooktwitterredditpinterestlinkedintumblrmail

Deine Gedanken dazu?

Fragen, Lob, Kritik, Ergänzungen, Korrekturen: Trage mit deinen Gedanken zu diesem Artikel mit einem Kommentar bei!

Wenn dir der Artikel gefallen hat, freuen wir uns über eine kleine Spende in die Kaffeekasse.

Bitte beachte beim Kommentieren:

  • Vermeide bitte vulgäre Ausdrücke und persönliche Beleidigungen (auch wenns manchmal schwer fällt...).
  • Kennzeichne Zitate bitte als solche und gib die Quelle/n an.
  • Wir behalten uns vor, rechtlich bedenkliche oder anstößige Kommentare nicht zu veröffentlichen.

1 Gedanke zu „Du bist Gottes Kind … – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Menschenwürde“

  1. Das Durcheinander der christlichen Theorien zur Menschenwürde wird in dem Artikel gut beschrieben; ebenso die Tatsache, dass es eigentlich überhaupt keiner Begründung bedarf. Es ist wiedermal ein Scheinproblem, an dem sich der Herr Pfarrer abmüht.

    Die Predigt ist ein gutes Beispiel dafür, dass weder die Prediger noch ihre christlichen Zuhörer die Bibel kennen. Hier wird einfach die malerische Schöpfungsgeschichte verwendet, um die glorreiche Verbindung mit Gott zu begründen. Was auf den folgenden Seiten der Bibel steht, ist offenbar egal.

    Denn im gesamten Rest der Bibel geht es im Grunde um kaum etwas anderes als die Drohung, dass Gott den Menschen jederzeit ihre Würde nehmen kann. Bei Gottes cholerischen Wutausbrüchen geht es eben nicht nur darum, dass Gott seinen Willen bekommt. Sondern der sündige Mensch muss stets gedemütigt werden. Er darf nicht einfach sterben, sondern er muss zuvor muss grausam gequält werden. Das ganze Alte Testament birst vor solcher Geschichten.

    Die Botschaft der Bibel ist daher keineswegs, dass der Mensch ein unantastbare Würde habe. Sondern die Botschaft ist, dass sie ihm jederzeit genommen werden kann. Aber das traut sich der Herr Pfarrer nicht zu sagen.

    Es gibt in der Bibel sogar ein ganzes Buch darüber, nämlich das Buch Hiob. Der ganze Witz dieser Erzählung besteht darin, dass der arme Hiob gequält wird, obwohl er völlig tadellos ist. Die Geschichte will darauf hinaus, dass selbst größtes Leid und größte Ungerechtigkeit nicht kritisiert werden dürfen, und dass Gott das Recht hat, selbst völlig unbescholtene Menschen zu demütigen, wann immer er Lust darauf hat. Der Mensch ist hingegen rechtlos.

    Die christliche Lehre bedient sich hier eines Winkelzugs, der auf den ersten Blick nicht leicht zu durchschauen ist. Die Lehre sagt zweierlei: Erstens, dass die Würde eines Menschen nicht von *anderen* Menschen genommen werden kann. Das könnte nur Gott. Zweitens, selbst wenn Gott das ganze Füllhorn seiner Boshaftigkeit über einem Menschen auskippen würde, behielte dieser Mensch dennoch einen Rest an Würde, weil er ja immer noch zum Ebenbild Gottes geschaffen wurde.

    Mit dieser seltsamen Konstruktion hat die katholische Kirche jahrhundertelang die Sklaverei legitimiert. Man argumentierte, dass ein Sklave trotz allem immer noch das Ebenbild Gottes wäre, und folglich würde die Versklavung nicht die Würde schmälern. Folglich wäre es legitim.

    Wer so argumentiert, der nimmt dem Begriff der Würde jede Bedeutung.

    Und genau das steckt hinter vielen dieser scheinheiligen Predigten beim „Wort zum Sonntag“. Die Begriffe werden so lange mit wirren Vergleichen ausgehöhlt und vernebelt, dass sie am Ende alles oder nichts bedeuten.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Ressourcen

Gastbeiträge geben die Meinung der Gastautoren wieder.

Wikipedia-Zitate werden unter der Lizenz Creative Commons Attribution/Share Alike veröffentlicht.

AWQ unterstützen

Jetzt einfach, schnell und sicher online bezahlen – mit PayPal.

Wir haben, wenn nicht anders angegeben, keinen materiellen Nutzen von verlinkten oder eingebetteten Inhalten oder von Buchtipps.

Neuester Kommentar