Stiftung sieht keinen Anlass für Suizidhilfe – Thomas Sitte von der PalliativStiftung Fulda: „Es besteht immer die palliative Behandlungsoption“

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Stiftung sieht keinen Anlass für Suizidhilfe – Thomas Sitte von der PalliativStiftung Fulda: „Es besteht immer die palliative Behandlungsoption“, Gedanken zum Beitrag von (pm), veröffentlicht am 05.03.17 von Osthessennews

Die Deutsche PalliativStiftung mit Sitz in Fulda hat mit Erschrecken die Pressemitteilung 11/2017 des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zur Kenntnis genommen, in der es über sein Urteil vom 2. März dieses Jahres berichtet.

Darin sei es als rechtswidrig qualifiziert worden, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Dosis eines Betäubungsmittels verweigert hatte.*

Richtungsweisendes Urteil

Ich schätze dieses Urteil als richtungsweisend ein. Gleichzeitig kann es kaum erstaunen, dass eine PalliativStiftung diese Pressemitteilung mit Erschrecken zur Kenntnis nimmt. Schließlich hat eine PalliativStiftung ganz bestimmte Vorstellungen davon, wie das mit dem Sterben abzulaufen hat. Und wie nicht.

„Gerade im Fall einer Querschnittslähmung mit erforderlicher künstlicher Beatmung besteht immer die palliative Behandlungsoption einer schmerzlosen Sedierung bei gleichzeitiger Nicht-Fortsetzung der künstlichen Beatmung, so dass ein natürlicher Sterbeprozess bis zum Tod einsetzen kann. Hierzu bedurfte es nicht des Zugangs zu einem genehmigungspflichtigen Betäubungsmittel und erst recht nicht eines herabwürdigenden Transports in die Schweiz.

Was genau bedeutet das? Dass es würdiger ist, Menschen ihr Recht auf selbstbestimmtes Sterben abzusprechen? Und sie stattdessen auf einer PalliativStation sediert den Eintritt ihres Todes abwarten zu lassen?

Zwar hält der zitierte Sprecher das „allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG“, das Menschen die freie Entscheidung über ihren Tod zusichert, für selbstverständlich. Allerdings scheint der zitierte Stiftungsvertreter Herr Sitte dies nur für eine bestimmte Vorstellung von Menschenwürde gelten lassen zu wollen. Die Palliativbewegung hat indes ganz bestimmte Vorstellungen davon, was Menschen an ihrem Lebensende brauchen und möchten:

  • Patienten wünschen sich an einem vertrauten Ort, inmitten vertrauter Menschen und ohne körperlichen Beschwerden zu sterben. Sie wollen in Frieden mit Gott und bei klarem Bewusstsein ihr Leben beschließen. (Quelle: Palliativ-Stiftung Fulda)

Das mag auf viele Menschen zutreffen. Und sicher werden viele Sterbende und deren Angehörige die sozialen Dienstleistungen der Palliativmedizin zu schätzen wissen. Genauso gibt es natürlich Menschen, die aus religiösen oder sonstigen Gründen ihr Leben bewusst bis zum „bitteren Ende“ „aushalten“ möchten. Und für diese ist das Angebot der Palliativemdizin, also die „Ummantelung“ mit Schmerzmitteln und Ermöglichung eines würdevollen Lebens bis zum Eintritt des Todes sicher geeignet und wertvoll.

Palliativmedizin in der Kritik

Deshalb haben solche Einrichtungen selbstverständlich ihre Berechtigung. Wobei auch immer wieder Kritik an Palliativstationen laut wird. Von völlig überlasteten Mitarbeitern ist die Rede. Die ihrerseits nicht oder nicht immer die nötige Unterstützung erhalten, die ständige Konfrontation mit dem Tod zu verarbeiten.

Auch eine medizinische Überversorgung Sterbender wird kritisiert, wie zum Beispiel vom Palliativmediziner Matthias Thöns:

  • Viele der teuren Behandlungen würden den Menschen an ihrem Lebensende nicht helfen, sondern sie nur quälen. Für Thöns grenzt die Behandlung Sterbenskranker ans Kriminelle. (Quelle: focus.de)

PalliativStiftungJedoch gibt es immer mehr Menschen, die zum Beispiel nicht mehr an Götter glauben. Und die folglich auch kein Bedürfnis haben, im Frieden mit Göttern ihr Leben zu beschließen. Dafür aber im Frieden mit sich selbst. Und unbehelligt von Göttern, Geistern, Gottessöhnen und deren selbsternannten Vertretern.

An mehreren Stellen lässt die Wortwahl von Herrn Sitte vermuten, dass er Menschen das Recht auf selbstbestimmtes Sterben sehr wohl abspricht. Aussagen wie „herabwürdigender Transport in die Schweiz“ oder die Betonung, dass es sich bei dem verwendeten Mittel um ein Tiereinschläferungspräparat handelt, sprechen für sich.

Es scheint ihm völlig zu entgehen, dass Menschen von sich aus die sicher oft beschwerliche Reise in die Schweiz zum würdevollen Sterben auf sich nehmen. Weil es nun mal dort die legale Möglichkeit dazu gibt. Sie sind keine Waren, die zur Entsorgung dorthin transportiert werden. Auch wenn Herr Sitte das durch seine Wortwahl offenbar so darstellen möchte.

Die sanfteste und sicherste Methode

Und was das verwendete Mittel angeht: Dabei handelt es sich nach aktuellem Stand um die sicherste und sanfteste Methode, dem Leben ein Ende zu setzen.

Dazu heißt es in einem vom hpd zitierten Artikel des hvd (Hervorhebung von mir):

  • Zulassung von Natrium-Pentobarbital
  • „Wenn Ärzten – eingebettet in die Suizidkonfliktberatung gemeinnütziger Organisationen – Handlungsoptionen zur Suizidhilfe eingeräumt werden sollen, muss diese auch fachgerecht, d .h. nach dem Stand der ärztlichen Kunst, erfolgen können. International gilt dabei als sanfteste und sicherste Methode die Gabe von Natrium-Pentobarbital (wie in der Schweiz gebräuchlich). Es führt mit hinreichender Sicherheit zu einem raschen „Einschlafen“. Zwar gibt es auch grundsätzlich geeignete Kombinationsmöglichkeiten anderer Stoffe, um einen Suizid herbeizuführen – diese sind aber in ihrer Wirkung weit weniger gut erforscht als Natrium-Pentobarbital. Dieses sollte deshalb durch eine Änderung des Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (BtMG) zur ärztlichen Suizidbegleitung in der Humanmedizin zugelassen werden.
  • Bei der Genehmigung der Gabe von Natrium-Pentobarbital wären an geeigneter Stelle Ausführungsbestimmungen zu erlassen. Darin sollten, da dieses Mittel – wie sonst kein anderes – ausschließlich zum Ziele der ärztlichen assistierten Selbsttötung verordnet wird, strenge Sorgfaltskriterien festgelegt werden. Natrium-Pentobarbital darf – anders als z. B. Morphin oder hochwirksame Schlafmittel – nicht in die Hände von Patienten oder Angehörigen gegeben werden. Vom behandelnden Arzt soll nachgewiesen werden müssen, dass er einen ärztlichen Kollegen konsultiert hat und dass eine anerkannte Suizidkonfliktberatungsstelle mitgewirkt hat.“ (S. 11).
    (Quelle: hpd)

„Einzig menschlicher Weg“: Der von der PalliativStiftung vertretene?

Wie anmaßend und selbstgerecht sich die PalliativStiftung darstellt, bringt Herr Sitte wie folgt auf den Punkt:

„Die Palliativmedizin bietet gerade in solchen Leidenssituationen den einzig menschlichen Weg des ‚Sterben-Zulassens‘.

Warum ausgerechnet ausschließlich das Konzept, Menschen zwar Schmerzen zu nehmen, sie aber ansonsten bis zum Eintritt des natürlichen Todes am Leben zu erhalten der einzig menschliche Weg des „Sterben-Zulassens“ sein soll, geht aus dem Beitrag nicht hervor.

Und die Rechtssprechung sieht das offenbar anders.

Dem BVerwG Unsachlichkeit in einer höchst sensiblen Diskussion zu unterstellen, sagt einiges über das Selbstverständnis der PalliativStiftung aus. Man erhebt stattdessen den Anspruch, die eigene palliativ-fachliche Expertise sei der einzig menschliche Weg des Sterben-Zulassens.

Der Umstand, dass immer eine palliative Behandlungsoption besteht, bedeutet nicht, dass diese Option deswegen auch die einzig menschliche Option sein muss. Was durch das Urteil jetzt endlich auch von rechtlicher Seite bestätigt wurde.

Würde und Freiheit des Menschen

Statt zu überlegen, wie man als PalliativStiftung dazu beitragen könnte, dass todkranke Menschen in bestimmten Ausnahmesituation und unter bestimmten Voraussetzungen eben nicht mehr in die Schweiz reisen müssen, stellt Herr Sitte die Werte seiner PalliativStiftung über die persönliche, individuelle Freiheit der Menschen, die über ihr Lebensende selbst entscheiden möchten.

Zu diesem Thema noch ein Auszug aus dem Flyer Sterbehilfe – Lobbyismus der gbs:

  • Obwohl in Deutschland mittlerweile mehr konfessionsfreie Menschen leben als Katholiken oder Protestanten und obwohl die Kirchen kaum noch Rückhalt für ihre Glaubensaussagen finden, ist es den christlichen Großkirchen in den letzten Jahrzehnten gelungen, ihren Einfluss auf die Politik noch zu steigern.
  • Ihre Institutionen und Veranstaltungen werden vom Staat weiterhin mit Milliardensummen subventioniert. Und natürlich genießen sie auch weiterhin das Privileg,
    Andersdenkende zu diskriminieren, selbst wenn dies
    gegen die europäische Charta der Grundrechte verstößt. Aber damit nicht genug: In Gesetzestexte gegossene
    Kirchendogmen reglementieren das Leben der Bürgerinnen und Bürger von der Wiege bis zur Bahre – ja, sogar darüber hinaus, wie die Bestimmungen zum Umgang mit Embryonalzellen (PID) oder mit der Asche Verstorbener (dank »Bestattungszwang« nicht im eigenen Garten zu verstreuen!)
    zeigen.
  • Womit ist es zu erklären, dass die Kirchen trotz schwindender Verankerung in der Bevölkerung solch großen Einfluss auf die Politik haben? Antwort: Mit der engen personellen Verflechtung von Kirche und Staat, deren verblüffende Dimensionen nun erstmals in Carsten Frerks neuer Studie »Kirchenrepublik Deutschland« aufgedeckt wurden. (Quelle: Flyer der gbs)

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalartikel über die PalliativStiftung mit Sitz in Fulda.
**Wir haben keinen materiellen Nutzen von verlinkten oder eingebetteten Inhalten oder von Buchtipps.

Weiterführende Quellen

Organisationen

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