Kommentar zu NACHGEDACHT (30) „Ich will glücklich sein“

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Kommentar zu NACHGEDACHT (30) „Ich will glücklich sein“, Originalartikel verfasst von Christina Leinweber, veröffentlicht am 04.08.13 von Osthessennews

Nach was streben wir eigentlich unser ganzes Leben?*

Ganz grundsätzlich sind wir Lebewesen, die leben wollen, unter anderen Lebewesen, die auch leben wollen.

Wie alle Lebewesen verfolgen wir das natürliche und einfache „Prinzip Eigennutz“, also die Mehrung unseres „Wohls“ und die Vermeidung von „Wehe.“

Und ist Streben gut und gesund für uns oder ist es vielleicht sogar schädlich?

Streben ist auf jeden Fall gut und gesund für uns, wenn wir nach etwas streben, was dem Prinzip Eigennutz entspricht, also nach etwas, was unser Wohl steigert und unser Wehe mindert oder vermeidet.

[…] was verstehen wir unter „Glück“ oder „glücklich“?

Alles, was unser Wohl steigert und unser Wehe mindert, können wir als Glück bezeichnen. Der Begriff „Glück“ wird auch oft in Zusammenhang mit für uns positiven Ereignissen verwendet, deren Eintreten sehr unwahrscheinlich ist. So können wir zum Beispiel von unfassbar großem Glück reden, dass es uns, anders als unzählig viele andere „Optionen“, tatsächlich überhaupt gibt.

Glück ist zudem noch ein sehr abstrakter Begriff. Damit wird er ziemlich unerreichbar.

An sich ist Glück gar nicht so abstrakt, sondern „zum Glück“ trotz seiner riesigen Vielfalt sehr real und greifbar. Tatsächlich unerreichbar ist Glück allerdings dann, wenn es den Menschen erst für das Jenseits versprochen wird, wie es zum Beispiel die christliche Religion tut. Da wird den Menschen nämlich eingeredet, dass sie zu Lebzeiten auf der Erde eben kein Glück erwarten dürfen, sondern – ganz im Gegenteil – Leid und Schmerz auszuhalten haben.

Besonders Frauen werden laut Bibel (das Buch, das Christen als Leitfaden für ihr Leben verwenden) mit den Schmerzen bei der Geburt dafür bestraft, dass sich eine Märchenfrau (die in Wirklichkeit gar keine Frau gewesen sein kann, wenn sie aus einer männlichen Rippe geschaffen wurde) von einer sprechenden Schlange (die in Wirklichkeit gar nicht sprechen kann, weil sie keinen Kehlkopf hat) dazu hatte überreden lassen, sich mal ein paar Gedanken über ihren angeblichen Schöpfer und über eine von diesem unabhängige Ethik zu machen, indem sie einen Apfel (den es zu der Zeit, in der das angeblich passiert ist, noch gar nicht gegeben hat) gegessen hat.

Außerdem ordnet Gott bei dieser Gelegenheit die Frau auch gleich mal unmissveständlich dem Mann unter.

Die Aussicht auf Glück zu Lebzeiten hatte Gott den Menschen auf jeden Fall gründlich genommen:

  • Und zum Weibe sprach er: Ich will dir viel Schmerzen schaffen, wenn du schwanger wirst; du sollst mit Schmerzen Kinder gebären; und dein Verlangen soll nach deinem Manne sein, und er soll dein Herr sein.
  • Und zu Adam sprach er: Dieweil du hast gehorcht der Stimme deines Weibes und hast gegessen von dem Baum, davon ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen, verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit Kummer sollst du dich darauf nähren dein Leben lang.
  • Dornen und Disteln soll er dir tragen, und sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis daß du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.
    (1. Mose 3, 16-19, Interlinearübersetzung)

(Interessante Nebenbemerkung zum letzten Satz: An dieser Stelle sagt Gott unmissverständlich, dass von den Menschen nach ihrem Tod nichts als Erde übrigbleibt. Zu dieser Zeit hatte Gott offenbar noch nicht die Absicht, Menschen nach dem Tod ein „ewiges Leben“ schenken zu wollen…)

Durch solche Hirngespinste wird sogar so etwas Reales wie Glück leider in unerreichbar weite Ferne, nämlich ins Jenseits verrückt. Außerdem wird den Menschen das Recht abgesprochen, selbst Glück zu erleben, weil wirkliches Glück ja angeblich nur von Gott persönlich kommen kann.

Man sieht also recht deutlich, dass dem Christentum viel daran gelegen ist, Menschen Glück vorzuenthalten und dafür zu sorgen, dass sich seine An- bzw. Abhängigen zeitlebens unwürdig, unglücklich und erlösungsbedürftig fühlen – „in diesem Jammertale…“

Bezeichnenderweise gibt es auch kein einziges religiöses Fest, das lebenden, glücklichen Menschen gewidmet ist.

Und so wundert es kaum, dass sich gerade christlich indoktrinierte Menschen mitunter so schwer tun, auf ihr natürliches Recht auf Glück zu bestehen und etwas dafür zu tun.

[…] Jedenfalls ist ein vierblättriges Kleeblatt – das Glückssymbol schlechthin – schwer zu kriegen.

Klee
Karnickel macht Klee auch
mit 2 oder 3 Blättern glücklich…

Das „Glück“, das ein vierblättriges Kleeblatt Menschen bieten kann, ist lediglich die Faszination, wenn etwas mit einer geringen Wahrscheinlichkeit eintritt.

Einen wirklichen Nutzen bringt ein vierblättriges Kleeblatt wohl eher nicht (außer vielleicht für ein Karnickel, das aber genauso auch einfach zwei dreiblättrige Kleeblätter mümmeln könnte).

[…] Ehrlich gesagt finde ich den Begriff „Ich will glücklich sein“ ziemlich überfordernd.

Was vielleicht mit den schädlichen Folgen der religiösen Indoktrination zusammenhängen könnte, die es, wie oben beschrieben, den abhängigen Menschen so schwer macht, ja es ihnen sogar verbietet, ihr natürlichstes, grundlegendstes Streben nach Glück als etwas Positives und Wertvolles, ja sogar als das völlig legitime, höchste Ziel im Leben zu akzeptieren und als Herausforderung zu betrachten.

Zumal wir eine nie dagewesene Freiheit haben, wie wir unser Leben und damit unser Glück gestalten können. Diese fast uneingeschränkte Freiheit kann Menschen, die es nicht gewohnt sind, ihre eigenen Bedürfnisse zu erkennen und zu befriedigen, tatsächlich überfordernd vorkommen.

[…] Warum reicht denn nicht Zufriedenheit? Warum muss es gleich Glück sein?

„Glück“ ist sehr vielfältig und nicht auf bestimmte Faktoren beschränkt. Für wen Zufriedenheit Glück bedeutet, kann doch auch einfach zufrieden sein, wenn er damit glücklich ist. Wir haben es selbst in der Hand, es ist unser Leben.

Glück kann man portionieren, häppchenweise für sich selbst definieren und dann auch erleben.

Man kann auch sein persönliches Glück als Bewertungsmaßstab nehmen, indem man sich fragt: Macht mich das hier jetzt gerade glücklich oder unglücklich? So kann man selbst und ganz subjektiv herausfinden, was uns im Leben „Wohl“ oder „Wehe“ verschafft.

In Fausts Goethe sagt Gott zum Teufel: „Es irrt der Mensch, solang er strebt.“
Das passt doch ganz wunderbar: Ich glaube, wir irren ganz oft, indem wir uns manchmal mit unserem eigenen Streben unglücklich machen, weil wir es in ungesunder Höhe ansetzen.

Ob Goethe das damit gemeint hat, halte ich für fraglich. Ich vermute, mit „streben“ war nicht das Streben nach Glück, sondern nach Wissen gemeint. Und das wissenschaftliche Streben nach Wissen beinhaltet zwangsläufig auch Irrtümer.

Im Unterschied zu kirchlichen Dogmen, die auch dann noch „unbeirrbar“ gelten, wenn sie sich schon längst als offensichtlich falsch entpuppt haben, gelten wissenschaftliche Erkenntnisse immer nur so lange, bis sie falsifiziert werden, also bis jemand wissenschaftlich beweisen kann, dass eine Erkenntnis oder eine Theorie nicht richtig war.

Wissenschaft behauptet keine absolute, unfehlbare Wahrheit. Sie bietet einen aktuellen, ergebnisoffenen Wissensstand, der sich jederzeit verändern kann.

Institutionen, die behaupten, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein und bei denen die Unfehlbarkeit ihres Führers als Dogma festgelegt ist, sind nicht nur besonders unglaubhaft, sondern auch noch ziemlich lächerlich.

Was leider auch heute noch erschreckend viele Menschen nicht davon abhält, sich solchen Institutionen unterzuordnen, ihren Märchen wider jede Logik, Vernunft und besseres Wissen zu glauben und sich von ihnen abhängig zu machen (meistens ohne dass es ihnen bewusst ist).

Das sind die Weisen, die durch Irrturm zur Wahrheit reisen;
die beim Irrtum verharren, das sind die Narren.
(Friedrich Rückert)

*Unter der Rubrik „NACHGEDACHT“ fordert Osthessennews jede Woche zum Nachdenken auf. Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Original-Artikel von Christina Leinweber.

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