Voll leer – Gedanken zu einem Essay von Dr. Werner Kleine über das notwendig Paradoxe im Glauben

Lesezeit: ~ 12 Min.

Voll leer – Gedanken zu einem Essay von Dr. Werner Kleine über das notwendig Paradoxe im Glauben, veröffentlicht am 27. März 2018 von dei-verbum.de

In einem wortreichen Essay „Voll leer“ startet Herr Dr. Werner Kleine einen weiteren Versuch der Bewältigung dessen, was er als „das notwendig Paradoxe“ in der von ihm verbreiteten Glaubenslehre bezeichnet.

Schon dem ersten Satz kann ich so nicht uneingeschränkt zustimmen:

Christlicher Glaube ereignet sich im Widerspruch. Das Paradox gehört zum Wesen des christlichen Glaubens. Wer nur oberflächlich auf den Glauben schaut, wird an den immanenten Paradoxa scheitern.*

Sollte man meinen. Allerdings verhält es sich meiner Erfahrung zufolge anders. Denn die überwältigende Mehrheit der Herde, bestehend aus Schafen, die ihren Glauben von ihren Eltern „vererbt“ bekommen hatten und die es aus irgendwelchen Gründen nicht schaffen, sich davon zu befreien, schauen einerseits zwar nur äußerst oberflächlich auf den Glauben (wenn überhaupt).

Jedoch scheitern sie andererseits eben gerade nicht an den immanenten Paradoxa. Das Paradoxe der von ihnen geglaubten Lehre ist ihnen zumeist völlig egal. Und weil es faktisch ja auch keinerlei Auswirkung hat, wie widersprüchlich, unlogisch und unplausibel ein Gottesbild auch sein mag, kann von Scheitern keine Rede sein.

Ausnahmeregel für das Paradoxe

Um glauben zu können, bedarf es lediglich einer kleinen Ausnahmeregel im vernünftigen Denken. Quasi eine Portfreigabe für religiösen Glauben in der rationalen Firewall. Wer dann noch darauf achtet, nicht tiefer in die Irrationalität seiner religiösen Gedankenkonstrukte einzutauchen, sondern sich einfach darauf besinnt, dass er umso frommer und tugendhafter angesehen wird, je weniger er seinen Glauben hinterfragt, der kann es durchaus schaffen, einen religiösen Glauben ein Leben lang aufrecht zu erhalten.

Gläubige haben außerdem zumeist allerlei Bewältigungsstrategien entwickelt, mit denen sie sich gegen eine kritisch-skeptische Hinterfragung ihrer Glaubensgewissheiten immunisieren. Um die unangenehmen Empfindungen, die die kognitive Dissonanz zwischen (religiösem) Wunsch und Wirklichkeit mit sich bringen würde, zu vermeiden.

Die Allmacht Gottes etwa erweist sich nur dann als vollständig allmächtig, wenn sie auch die Ohnmacht einschließt. Wäre ein allmächtiger Gott nicht zugleich auch ohnmächtig, könnte er etwas nicht; folglich wäre er eben nicht allmächtig.

Allein dieses einfache Denkbeispiel zeigt schon, wie sehr diejenigen, die glauben, den Glauben eben auch mit dem Verstand durchdringen müssen. Wer bloß glauben möchte, wird sich nur allzu schnell in die Widersprüche verwickeln, die ihm die Religionskritik nicht ohne intellektuelles Recht als Spiegel vorhält.

An dem Versuch, die Widersprüche der christlichen Lehre halbwegs intellektuell verträglich aufzulösen, scheitern Theologen schon seit es diese Lehre gibt. Ganze Bibliotheken sind gefüllt mit rhetorischen Tricksereien, akrobatischen Winkelzügen, wortreichen theologischen Nebelbänken… Und letztlich keinem Ergebnis, das der christlichen Lehre wieder dazu verhelfen würde, im ethisch-philosophischen Diskurs wieder bzw. noch irgendeine Rolle zu spielen. Aber vielleicht hat ja Dr. Werner Kleine neue Erkenntnisse über das Paradoxe seines Glaubens.

Weder Zweifel, noch Fundamentalismus, sondern Beliebigkeit und Bedeutungslosigkeit

Die Konsequenz besteht dann entweder im Sieg des Zweifels, der in die Verzweiflung am Glauben führt, oder der Rückzug von einer verzweifelten Welt in die vielfältigen Formen eines sich als vermeintlich glaubenssicher tarnenden, letztlich aber infantil bleibenden Fundamentalismus, der unfähig ist, sich mit der Welt und ihren Fragen intellektuell auseinandersetzen […]

Mit dieser Diagnose umschifft Dr. Kleine die Glaubenspraxis der überwältigenden Mehrheit der Christenschar: Denn diese landet weder im Zweifel, noch im Fundamentalismus. Sondern in der schlichten, gewöhnlichen Beliebigkeit und Bedeutungslosigkeit ihrer Glaubenslehre.

Diese Mehrheit hat weder ein Interesse an der intellektuellen Durchdringung ihres Glaubens, noch an der fundamentalen Glaubenslehre an sich. Nach meiner Erfahrung hat der christliche Glaube zumindest hierzulande für den größten Teil der Gläubigen bestenfalls noch einen kulturell-folkloristischen Wert.

Verbunden vielleicht noch mit der Legende von der christlichen Moral. Also der diffusen Vorstellung, dass das alles wahrscheinlich schon irgendwie richtig und gut sei.

…bisweilen auch Logik

[…] Wenn der Autor des 1. Petrusbriefes seine Adressaten daran erinnert, allzeit bereit (ἕτοιμοι ἀεί – gesprochen: hétoimoi aeí) bereit zu sein, ausnahmslos jedem (παντί – gesprochen: pantí) Rechenschaft über die eigene Hoffnung abzulegen, dann verweist er in der Tat nicht nur auf die intellektuelle Redlichkeit des Glaubens, sondern auch auf die Notwendigkeit, diesen mit den Mitteln der Rhetorik, der Vernunft und bisweilen auch der Logik gegen Anfragen zu verteidigen. Ein banales „Das muss man halt glauben“ verbietet sich nicht nur; es hat vor dem Gerichtshof der Öffentlichkeit auch keinen Bestand.

Und trotzdem läuft es immer wieder genau darauf hinaus. Schon dann, wenn es nur um die Prämissen eines Götterglaubens geht, dann „muss man halt glauben.“ Auch das Paradoxe. Ohne diese Voraussetzung sind alle noch vernünftig und logisch erscheinenden rhetorischen „Erklärungen“ hinfällig.

Wie schon gerade kurz dargestellt: Der großen Mehrheit der Wischi-Waschi-U-Boot-Christen reicht ein „Das muss man halt glauben“ völlig aus, um alle ihre Zweifel auszuräumen und ohne deswegen in einen religiösen Fundamentalismus zu verfallen. Sie picken sich am bunten Religionsbuffet einfach das heraus, was ihnen irgendwie brauchbar und angenehm erscheint. Den großen Rest lassen sie großzügig für die Theologen übrig.

Geheimnis des Glaubens vs. Glaube muss verstanden werden

[…] Die Verkündigung des Glaubens ist also schon aus neutestamentlicher Sicht eine Herausforderung, die sich nicht vor der intellektuellen Redlichkeit verstecken darf. Der Glaube muss verstanden werden. Erst dann kann man fest in ihm stehen.

Ich behaupte: Wer den Glauben verstanden hat, braucht nicht mehr zu glauben. Das heute verfügbare Wissen darüber, wie Glaubenslehren funktionieren, welche Prämissen sie voraussetzen, welchen Zwecken sie dienen und wie unbrauchbar sie letztlich zur Beantwortung irgendwelcher Fragen sind, ist so umfangreich, dass es kaum erstaunt, dass das Theologiestudium heute als zuverlässiger Weg aus dem Glauben bezeichnet wird.

Dem Appell, den Glauben verstehen zu müssen, steht bei Bedarf die Rede vom „Geheimnis des Glaubens“ gegenüber. Und so changiert man einfach zwischen absoluter Gewissheit auf der einen und der göttlichen Unergründlichkeit auf der anderen Seite. Damit bewältigt man auch das noch so Paradoxe. Mit Vernunft oder Redlichkeit hat das freilich nichts zu tun.

Wer will schon als Versager gelten?

[…] Fragt euch selbst, ob ihr im Glauben seid, prüft euch selbst! Erfahrt ihr nicht an euch selbst, dass Jesus Christus in euch ist? Sonst hättet ihr ja schon versagt. 2 Korinther 13,5

Wer will schon gerne als Versager dastehen? Und wer will schon objektiv überprüfen können, ob es tatsächlich Jesus Christus ist, den Menschen in sich wähnen? Und nicht vielleicht das Fliegende Spaghettimonster? Die Macht gruppendynamischer Prozesse ist gut erforscht und nicht zu unterschätzen.

Fast 2000 Jahre nach Kreuzestod und Auferstehung Jesu Christi hat sich die Christenheit an die intellektuelle Herausforderung des Auferstehungsglaubens gewöhnt. Dabei ist allein schon die Behauptung der Auferstehung in sich eine starke Anfrage an jeden vernünftigen Menschen, widerspricht die Wiederkehr von Toten doch grundständig jeder menschlichen Erfahrung. Gleichwohl besteht Paulus darauf, dass es gerade die Auferstehung des Gekreuzigten ist, die die schlechthinnige Basis des christlichen Glaubens ist:

Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer, leer auch euer Glaube. 1 Korinther 15,14

Und wenige Verse später:

Wenn aber Christus nicht auferweckt worden ist, dann ist euer Glaube nutzlos und ihr seid immer noch in euren Sünden; und auch die in Christus Entschlafenen sind dann verloren. 1 Korinther 15,17-18

„Eine starke Anfrage an jeden vernünftigen Menschen“ halte ich für eine starke Untertreibung bzw. euphemistische Umschreibung der Tatsache, dass bis heute alles gegen und nichts für ein Wieder-/Weiterleben nach dem Tod spricht.

Genauso könnte man zum Beispiel auch die Behauptung, „gelegentlich fallen Äpfel nicht zu Boden, sondern in den Himmel“ als „eine starke Anfrage an jeden vernünftigen Menschen“ bezeichnen.

Paulus auf dünnem Eis

Mit den beiden Bibelstellen begibt sich Paulus auf dünnes Eis. Er hatte sich offenbar noch nicht vorstellen können, dass die Menschheit später mal den damals weit verbreiteten Magie- und Wunderglauben überwinden würde.

Was einmal mehr die Frage aufwirft, warum die Allwissenheit des Allmächtigen, aufgrund dessen Inspiration die biblischen Texte ja verfasst worden sein sollen, genau dem Wissens- und Erkenntnisstand der Menschen aus der Eisenzeit entspricht.

[…] Der Tod am Kreuz ist ein historisches Faktum, dass durch den Hinweis auf das Begrabenwerden noch unterstrichen wird. Bis hierher können sicher auch Ungläubige noch mitgehen, denn der Tod Jesu ist auch außerbiblisch bezeugt, etwa in den Annalen des Tacitus3) oder bei Flavius Josephus4).

Nicht wirklich. Denn die Authentizität dieser außerbiblischen Belege wird von historisch-kritischer Seite durchaus angezweifelt. Eine nachträgliche Einfügung bzw. Fälschung christlicherseits ist keineswegs auszuschließen, sondern vielmehr wahrscheinlich.

Eine Kreuzigung war damals keine außergewöhnliche Angelegenheit, wobei Geschichtsschreiber damals durchaus auch Banalitäten in ihren Aufzeichnungen vermerkten. Außerbiblische Belege, die die in der Bibel behauptete göttliche Außergewöhnlichkeit, Übermenschlichkeit von Jesus stützen würden, fehlen.

Harte Beweise oder glaubwürdige Zeugen für die Auferstehung?

Schwieriger wird es mit der behaupteten Auferweckung am dritten Tag. Um sie vor dem Gerichtshof der Vernunft glaubhaft erscheinen zu lassen, bedarf es entweder harter Beweise oder eben glaubwürdiger Zeugen.

Hier wird es nicht nur schwieriger. Denn hier fehlt beides: Harte Beweise genauso wie auch glaubwürdige Zeugen. Die von Paulus genannten über 513 Zeugen können keinesfalls als glaubwürdig angesehen werden. Die Beweiskraft dieser angeblichen Zeugen ist gleich Null.

[…] Auch der Zwölferkreis ist – so merkwürdig es aus der Perspektive der Gegenwart, in der die Kirche in den Zwölfen doch die Garanten des Glaubens schlechthin sieht – zeitgenössisch wohl anfragbar gewesen: Sind die, die zum engsten Kreis Jesu gehört haben, nicht doch zu parteiisch, ja vielleicht sogar Verschwörer?

Das Zeugnis der Jünger von Jesus ist bei Licht betrachtet genauso wertlos wie das Zeugnis der restlichen genannten Zeugen. Wertlos. Nicht nur „wohl anfragbar.“

Zwischenfazit

  • Das Paradoxe in der christlichen Lehre
    Quelle: kevinfrank.net**

    Ob die Kreuzigung von Jesus belegbar ist oder nicht, spielt keine Rolle.

  • Ohne eine Auferstehung wäre der christliche Glaube wertlos.
  • Also gilt es, diese Auferstehung zu belegen, um so den Glauben daran zu retten.
  • Alles, was wir bis heute wissen, spricht dagegen, dass ein Mensch nach seinem Tod plötzlich nochmal eine Zeitlang weiterlebt.
  • Die von Paulus angeführten Zeugen entpuppen sich bei Licht betrachtet als unbrauchbar.

Bis jetzt hat die kritische, vernunftgeleitete Untersuchung also für einen, der tatsächlich „vernünftig glauben“ möchte, noch kein wirklich befriedigendes Ergebnis geliefert. Das scheint auch Dr. Kleine bewusst zu sein. Und so kommt, kaum überraschend, noch der dritte „Beweis“ für die Authentizität der Auferstehungslegende – das leere Grab.

Um es kurz zu machen: Auch die biblischen, höchst widersprüchlichen Schilderungen über das angeblich leere Grab können nicht als ernstzunehmender Beleg für die Behauptung, Jesus sei von den Toten auferstanden akzeptiert werden.

Letztlich hängt es einmal mehr davon ab, ob jemand bereit ist,  das Paradoxe auszublenden und den biblischen Mythen und Legenden Glauben zu schenken.

Überwältigender Beleg, aber wahrscheinlich frei erfunden

Faktisch hätte nach antiken Maßstäben bereits das übereinstimmende Zeugnis von zehn gerechten Männern genügt. Paulus bietet also einen mehr als überwältigenden Beleg für die Tatsächlichkeit der Auferstehung an.

Aus heutiger Sicht ist dieser Beleg bei Licht betrachtet kein bisschen überwältigend. Weil er aus einer Schrift stammt, die aus vielen Gründen alles andere als glaubwürdig ist.

Eine aufschlussreiche Zusammenfassung der wichtigsten Argumente gegen die Glaubwürdigkeit der „Heiligen Schrift“ liefert zum Beispiel Gottfried Beyvers in seinem sehr lesenswerten Buch „Argumente kontra Religion“ ab Seite 63. Einige der dort aufgeführten und verständlich erklärten und belegten Punkte sollen genügen:

  • Offenbarung unter obskuren Umständen
  • Offenbarung an unwissende Analphabeten
  • Jesus selbst hat kein Wort geschrieben
  • Zunächst mündliche Weitergabe
  • Geistiger Diebstahl
  • Übernahmen aus dem Alten ins Neue Testament
  • Offensichtliche nachträgliche Einfügungen
  • Autorenschaft nicht gesichert bzw. widerlegt
  • Oft reine Erfindungen
  • Fehlerhafte Abschriften, irrige Übersetzungen
  • Absichtliche Verfälschungen
  • Das Fehlen unabhängiger Belege

Auferstehung mehr als zweifelhaft

Gerade die biblische Schilderung der Auferstehung ist mehr als zweifelhaft:

  • Ein gravierendes Beispiel nachträglicher Einfügungen ist der Abschnitt Markus 16, 9-20: Dieser fehlt in zwei der ältesten Bibelfassungen (Codex Sinaiticus und Codex Vaticanum), findet sich aber in den jüngeren Fassungen. Also muss es sich um eine nachträgliche Einfügung handeln. Interessanterweise geht es in diesem Abschnitt Markus 16, 9-20 um einen zentralen, ja den entscheidenden Punkt der christlichen Lehre: um die angebliche Auferstehung. Auch die Didache, eine der ältesten Schriften des Christentums, enthält kein einziges Wort über die Auferstehung. (Gottfried Beyvers: Argumente kontra Religion)

Trotzdem bleibt die Auferstehung des Gekreuzigten eine Herausforderung für jeden vernünftigen Menschen. Wer sie nicht glauben kann, hat sicher gute Gründe dafür – allein die allgemein menschliche Erfahrung scheint auf seiner Seite zu stehen.

Scheint zu stehen“? So wie der Apfel zu Boden zu fallen scheint?

…und noch ein Argument, das keins ist

Und trotzdem bleibt das Zeugnis der von Paulus angeführten über 513 Zeugen, von denen zumindest die zwölf von Jesus erwählten Apostel und Paulus selbst bereit waren, für den Glauben selbst ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Es muss also im Leben dieser Menschen eine so fundamentale Erfahrung gegeben haben, die die damit verbundene Hoffnung, aber auch den Weg in ein neues Leben bewirkt hat.

Menschen haben schon für alle möglichen und unmöglichen Überzeugungen ihr Leben aufs Spiel gesetzt. Und auch verloren. Über die Plausibilität oder gar Wahrheit der jeweiligen Überzeugung sagt dies nichts aus.

Dazu kommt, dass zu dieser Zeit Wunderglaube als Ersatz für Wissenslücken weit verbreitet und auch allgemein anerkannt war. Nochmal Gottfried Beyvers zur Frage, ob Jesus auferstanden sei:

  • Unabhängige Belege hierfür gibt es nicht; alle angeblichen Zeugen waren Anhänger und damit keine objektiven Zeugen. Am ehesten ist von selbstbetrügerischen Visionen, Fantasien auszugehen, die dann in den Erzählungen der Anhänger immer weiter aufgebauscht wurden. Die Auferstehungsgeschichten der Evangelien sind obendrein nachträglich ergänzt worden und zu widersprüchlich, als dass man ihnen Glauben schenken könnte. “Kaum ein Neutestamentler misst der Auferstehungslegende irgendeinen historischen Wert bei […] Die historische theologische Forschung hat dieses Negativerlebnis, diese Entlarvung einer der tragenden Säulen des Christentums bewirkt. Dieses Ergebnis stammt nicht von kirchenfernen Atheisten oder Agnostikern”, schreibt Kubitza in Der Jesuswahn. (Quelle: Gottfried Beyvers: Argumente kontra Religion, S. 60 ff, Alibri)

Unvernünftig und historisch höchst zweifelhaft

Erscheint die Auferstehung des Gekreuzigten aber so nicht nur nicht als unvernünftig, sondern kann sogar als historisches Faktum begriffen werden, […]

Wie gerade erläutert: Zweimal nein.

Im Folgenden beschreibt Dr. Kleine ein weiteres Paradox, das seiner Meinung nach „noch viel grundlegender“ sei. Denn laut einer Stelle im Alten Testament gelte ein Gekreuzigter als ein „Gottverlassener und Verfluchter“, was ja nicht zu der Vorstellung passen würde, „der von Gott Verlassene“ sei „von eben diesem Gott gerettet“ worden.

Es sei dieses „Urparadox des christlichen Glaubens“, das zur Theologie führe.

So leitet Dr. Kleine geschickt von dem weg, was ich als das „Urparadox des christlichen Glaubens“ bezeichnen würde: Einen Gott für wahr zu halten, den es so wie behauptet nicht gibt. Der Autor verlegt seine Argumentation auf einen vergleichsweise belanglosen Nebenschauplatz: Auf einen der mehreren tausend Widersprüche in der biblischen Geschichtssammlung.

Man kann ein Paradox nicht einfach zu einer Seite hin auflösen, ohne die intellektuelle Redlichkeit zu verlieren.

Aber das stört den Durchschnittsgläubigen nicht im Geringsten. Und so werden sie auch dieses Jahr wieder im Brustton der Überzeugung einstimmen: „Halleluja, Jesus lebt, Jesus lebt, Jesus lebt, Halleluja, Jesus leeeeebt…“

Mehr erwartet der wohl größte Teil der Christenschar gar nicht mehr von seiner Glaubenslehre. Dazu ein bisschen Orgelklang und Weihrauchschwaden – und das wohlige Gefühl, ja doch  irgendwie zu den „Guten“ zu gehören. Das Paradoxe darf gerne „Geheimnis des Glaubens“ bleiben.

Warum ausgerechnet das Christentum?

Die Anziehungskraft des Christentums gerade schon in der frühen Zeit bestand doch nicht darin, dass hier einfach Unglaubliches geglaubt wurde.

Meme Sam Harris (1)Auch die Frage, wie sich ausgerechnet eine kleine, vom Judentum abgespaltete Endzeitsekte so stark durchsetzen konnte, dass sie auch im 21. Jahrhundert noch nicht überwunden ist, lässt sich historisch-kritisch schlüssig beantworten. Wunderglaube war, wie oben schon angedeutet, zu dieser Zeit tatsächlich kein Alleinstellungsmerkmal.

Einer der Hauptgründe für den anfänglichen Zulauf dürfte der Umstand gewesen sein, dass das Christentum praktisch keine Anforderungen an seine Mitglieder stellte. Es genügte, sich zu Jesus zu bekennen.

Eine besondere gesellschaftliche Stellung oder die Einhaltung eines umfangreichen Regelwerkes wie im Judentum war nicht erforderlich. Heute würde man von einem gelungenen Targeting sprechen: Mit seinem Angebot erreichte man eine große Zielgruppe.

Den eigentlichen Durchbruch schaffte das Christentum erst, nachdem es wegen seiner hervorragenden Kompatibilität zu politischen Machtideologien Staatsreligion geworden war.

Die Anziehungskraft des Christentums

Dr. Kleine hat eine andere Vermutung:

Die Anziehungskraft des Christentums bestand vielmehr in seiner intellektuellen Fähigkeit, das Paradox zu durchdringen […]

Was auch immer vor Damaskus geschehen ist, es hat Paulus im wahren Sinn des Wortes nicht nur die Augen geöffnet, sondern Erkenntnis verschafft – eine Erkenntnis, die er unter anderem im 2. Korintherbrief auf den Punkt bringt, wenn er schreibt:

Er hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden. 2 Korinther 5,215)

Dies halte ich weniger für einen Beweis intellektueller Fähigkeit, das Paradox zu durchdringen. Als vielmehr einen nicht wirklich überzeugenden Bewältigungsversuch.

Paulus, der in Damaskus vermutlich einfach nur einen epileptischen Anfall erlitten hatte, bog sich den Widerspruch einfach mal so zurecht, dass daraus eine scheinbar schlüssige Behauptung wurde. Aus der Not eine Tugend gemacht. Mit bekannt fatalen Folgen.

Identifikation über den Tod hinaus

[…] Ist die Identifikation im Tod total, gilt sie – und das gebietet die Logik – auch über den Tod hinaus. Gerade weil Jesus Christus von den Toten aufersteht, ist diese Auferstehung eben prototypisch für alle Menschen.

Abgesehen davon, dass ein Mensch logischerweise nicht identisch mit einem Gottessohn (mit den in der Bibel behaupteten Eigenschaften und Fähigkeiten) sein kann: Die Logik innerhalb einer Legende spielt keine Rolle, wenn, wie in diesem Fall, schon die Prämissen nicht mit logischen Grundsätzen vereinbar sind.

Die Welten von Harry Potter™, Star Wars™ oder auch Terry Pratchetts Scheibenwelt – sie alle sind in sich sogar noch wesentlich konsistenter als die biblischen Narrative. Und trotzdem würde sie niemand als real anerkennen.

Nochmal versucht es Dr. Kleine mit dem leeren Grab, kommt aber zu dem Schluss:

Ein leeres Grab beweist eben nichts – nur, dass es leer ist.

Zahlen, Daten, Fakten?

Die weiteren Überlegungen enden ebenfalls wieder in Paradoxien. Und dann muss auch Paulus nochmal ran:

Bemerkenswerterweise schreibt Paulus [hier] nicht von hoffen oder glauben, sondern von Wissen (οἴδαμεν – gesprochen: oídamen). Wer sich auf die mit Zahlen, Daten, Fakten, vor allem aber durch Zeugenaussagen belegte Auferstehung des Gekreuzigten einlässt, der gewinnt Erkenntnis und Wissen – freilich ein Wissen, dass in steter intellektueller Herausforderung mit dem Paradoxen umgehen muss.

Und wer das aus guten Gründen nicht tut, der gewinnt ebenfalls Erkenntnis und Wissen – die Erkenntnis und das Wissen, dass die Beweislage äußerst bröckelig und alles andere als belastbar ist. Wohlgemerkt: Damals galt Magie- und Wunderglaube als redliche Quelle für Erkenntnis und Wissen.

Die Aufgabe, die Dr. Kleine hier mit „steter intellektueller Herausforderung mit dem Paradoxen umgehen“ vernebelt, besteht eigentlich nur darin, das Paradoxe halt eben doch einfach zu glauben. Dr. Kleine kommt erwartungsgemäß zu einem anderen Schluss:

Gerade das fordert gerade die an Christus Glaubenden, sich immer wieder des Verstandes bedienen zu müssen.

Sapere aude – Bediene dich deines Verstandes ist das Motto der Aufklärung. Die maßgeblich zur Entzauberung und Überwindung religiös-mythologischer Glaubensgewissheiten geführt hatte.

Abenteuer der Vernunft?

In diesem Sinn ist der Glaube ein Abenteuer der Vernunft.

Ich halte religiöses Glauben für das fragwürdige Abenteuer, das Wahrhalten von Fiktionen gegen die eigene Vernunft zu verteidigen.

Ein leeres Grab beweist nichts. Die Begegnung mit dem Auferstandenen hingegen ändert für die, die sie erfuhren, alles.

Auch das beweist, aus den oben dargestellten Gründen, nichts.

[…] Es wird Zeit, dass die Verkünderinnen und Verkünder wieder mit Verstand das Evangelium der Auferstehung des Gekreuzigten Verkünden. Sie werden auf Widerspruch stoßen, weil das Paradoxe für viele immer noch töricht und ärgerlich ist. Dabei ist allein diese Reaktion schon wieder paradox, wenn man bedenkt, dass Nichtglaubende den christlichen Glauben doch einfach ignorieren könnten, es aber nicht tun.

Sobald das Paradoxe töricht und ärgerlich ist, bekommt es der Nichtglaubende zugeschustert. Das Paradoxe des christlichen Glaubens ist für Glaubensfreie genauso kein Problem, wie das Paradoxe anderer Glaubenslehren für Christen ein Problem ist.

Worum geht es eigentlich?

Christen können oft erstaunlich präzise die Absurdität und Widersprüchlichkeit anderer Weltsichten oder Glaubenskonstrukte erkennen und beschreiben. Aber darum geht es auch gar nicht.

Es geht darum, dass Glaubensvertreter meinen, aufgrund ihrer „Heiligen Schriften“ in das Leben und die Freiheit aller Menschen eingreifen zu dürfen.

Deshalb halte ich es keineswegs für paradox, sondern für dringend geboten, über die hoffnungslose Widersprüchlichkeit und Beliebigkeit der christlichen Lehre aufzuklären.

Je mehr Menschen erkennen, dass das christliche Heilsversprechen genauso illusorisch und fiktiv ist wie die christliche Höllendrohung, umso größer die Chance, dass Jahwe & Sohn nach all den Jahren endlich den tausenden Göttern vor ihnen in den (unverdienten) Ruhestand folgen können.

Irgendetwas an dieser Botschaft…

Irgendetwas ist an dieser Botschaft der Auferstehung des Gekreuzigten, dass sie doch betrifft.

Ja, leider – das Gebaren seiner irdischen Vertreter.

[…] Christsein ist herausfordernd, weckt Zweifel, treibt zur Erkenntnis. Wer so glaubt, der erkennt, dass der Zweifel der Bruder des Glaubens ist. Es lebe das Paradox!

Aber warum? Wozu soll das heute noch gut sein, außer zum Machterhalt der Kirche? Wieso sollte man an einer durch und durch paradoxen Lehre festhalten, wenn ausnahmslos alle Fragen, die die Religion je meinte beantworten zu können heute besser, richtiger, eleganter, plausibler ohne absurde, paradoxe Göttermythologie beantwortet werden können?

Und zwar deshalb, weil sich Menschen ihres Verstandes, ihrer Vernunft bedienten, statt den biblischen Mythen und Legenden und den zahllosen theologischen Interpretationen weiter Glauben zu schenken.

Indem man ehrlicherweise einräumt, dass die christliche Lehre durch und durch paradox ist, hat man das Paradoxe noch lange nicht bewältigt. Am Ende des Tages hilft wieder nur das, was für religiösen Glauben unverzichtbar ist: Ritualisierter Denkverzicht, auch bekannt als Glauben.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag von Dr. Kleinert.
**Verwendung des Cartoons mit freundlicher Genehmigung von Kevin Frank, kevinfrank.net

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2 Gedanken zu „Voll leer – Gedanken zu einem Essay von Dr. Werner Kleine über das notwendig Paradoxe im Glauben“

  1. Alter Theologen-Trick: Die Widersprüche, den Unsinn und die Ungereimtheiten kriege ich einfach nicht weg – also erkläre ich selbige zu wertvollen Paradoxa von tiefer/essentieller/existentieller Bedeutung. Und fertig ist der Beitrag zu Ostern/Pfingsten/Maria Himmelfahrt/Weihnachten/Taufe ……

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