Ausbeutung – mitten in Deutschland – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 10 Min.

Ausbeutung – mitten in Deutschland – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Wolfgang Beck (kath.), veröffentlicht am 19.1.19 von ARD/daserste.de

In der diesmal katholischen Verkündigungssendung prangert Herr Dr. Beck unfaire Arbeitsbedingungen und Ausbeutung an. Wir erfahren von einer Freundin, die bei ihrer Berufsausbildung in einem Luxushotel unfair behandelt wird:

[..] Minimale Rechte von Arbeitnehmerinnen? Nicht hier, nicht während der Ausbildung, nicht da, wo sich gleich zehn Andere für die Stelle fänden. Nicht die Spur dessen, worüber in Politik und in Gewerkschaften mit der Vorstellung von einem angemessenen Mindestlohn gesprochen wird. Der bezieht sich nämlich nicht auf Ausbildungszeiten und lässt sich mit unbezahlten Überstunden auch leicht aushebeln. Da wird halt zum Feierabend gestempelt – und weitergearbeitet!*

Herr Beck. Können Sie sich vorstellen, wie heuchlerisch, wie scheinheilig Sie wirken, wenn Sie sich als Vertreter ausgerechnet eines Milliardenkonzernes, der mit einer lächerlichen Scheinbegründung seinerseits das Arbeitsrecht aushebelt, über fehlende Rechte von Arbeitnehmerinnen beschweren?

Wäre das Thema nicht so ernst, könnte man sich glatt kaputtlachen. Ausgerechnet ein katholischer Priester erzählt etwas von minimalen Rechten von Arbeitnehmerinnen. Und von Gewerkschaften!

Die katholische Kirche ist eine undemokratische patriarchialische Wahlmonarchie. Die Rechte, die Angestellten und auch Auszubildenden heute und hierzulande zustehen, gehören zu den vielen, die gegen den erbitterten Widerstand der katholischen Kirche erkämpft werden mussten.

Nicht zu vergessen: Einen nicht unerheblichen Teil ihres Milliardenvermögens hat die katholische Kirche durch rigorose Ausbeutung angehäuft. Nicht Deutschland-, sondern weltweit. Und während der vielen Jahrhunderte, in denen die Kirche noch die Macht dazu hatte. Aber zurück zum kirchlichen Arbeitsrecht anno 2019:

Massive Kritik am kirchlichen Arbeitsrecht

Um ihren Angestellten die heute hierzulande eigentlich vorhandenen Rechte nicht einräumen zu müssen, leistet sich die katholische Kirche den Arbeitgeber-Luxus ein eigenes Arbeitsrechtes. Mit diesem Parallel-Sonderrecht ermöglicht sich die Kirche Eingriffe bis in die privateste Intimsphäre, ja sogar bis in die Gedankenfreiheit ihrer Angestellten. Begründung: Gott will es. Das funktioniert immer, solange noch jemand an diesen Gott glaubt. Weil noch kein Gott je widersprochen hat.

Hier nur eine exemplarische Auswahl, falls Sie sich etwas einlesen möchten, Herr Beck:

  • katholisch.de: Bsirske nennt Regelungen „grundgesetzwidrig“ – Verdi-Chef kritisiert kirchliches Arbeitsrecht
    Wer für die katholische Kirche arbeitet, unterliegt einem eigenen Arbeitsrecht. Das kann für Beschäftigte weitreichende Folgen haben. Der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske will, dass sich das ändert. (31.08.2017)
  • focus.de: Arbeitgeber Kirche – Von Nächstenliebe keine Spur
    1,3 Millionen Menschen in Deutschland verdienen ihr Geld bei der Kirche. Christliche Großherzigkeit sollten sie von ihrem Arbeitgeber aber nicht erwarten. Im Gegenteil. (Aktualisiert am Donnerstag, 20.11.2014, 11:41)
  • zeit.de: Kirchliches Arbeitsrecht – Weimar verpflichtet
    Die Gewerkschaften greifen das kirchliche Arbeitsrecht an. Gerade deshalb müssen die Kirchen ihre alten Sonderrechte überzeugender verteidigen. (Von Fabian Klask / 20. Oktober 2017, 8:00 Uhr)
  • zeit.de: Konzern Kirche
    Bei Caritas und Diakonie kämpfen Mitarbeiter gegen Lohndumping. (Von Tobias Romberg / 6. Oktober 2011 DIE ZEIT Nr. 41/2011)
  • deutschlandfunk.de: Dritter Weg – Kritik an den Kirchen als Arbeitgeber
    Das Grundgesetz garantiert den Kirchen das Recht auf Selbstorganisation im Arbeitsrecht. Die Kirchen haben sich für den umstrittenen sogenannten Dritten Weg entschieden, bei dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber sich als eine Dienstgemeinschaft verstehen und zum Beispiel Löhne in einer paritätisch besetzten Kommission aushandeln. (Von Rainer Brandes / 29.04.2015)

Noch mehr dazu? Gerne:

  • sueddeutsche.de: Kirche als Arbeitgeber – Recht scheinheilig
    Die Kirchen geben sich gerne fürsorglich. Nicht ganz so besorgt sind sie allerdings, wenn es um die eigenen Angestellten geht: Die Kirchen sparen die Basis kaputt. (Ein Kommentar von Sibylle Haas, 20. Mai 2010, 15:33 Uhr)
  • welt.de: Ver.di kritisiert Niedriglöhne in der Kirche
    Die Kirchen setzen sich für sozial Schwache ein – zahlen ihren Mitarbeitern aber selbst verhältnismäßig wenig. Wehren können sie sich dagegen kaum, denn: „Gott kann man nicht bestreiken.“ (Von Flora Wisdorff / Veröffentlicht am 23.01.2014)
  • dw.com: Kritik am Arbeitgeber Kirche
    2009 wurde einem katholischen Arzt von der Kirche gekündigt. Er hatte ein zweites Mal geheiratet und das ist nach kirchlichem Recht verboten. Der Arzt klagte. Der Europäische Gerichtshof hat sein Urteil gesprochen.
  • domradio.de: Sonderstatus der Kirchen im Arbeitsrecht bleibt umstritten – Vorwurf der Diskriminierung
    Das kirchliche Arbeitsrecht ist Kritikern nach wie vor ein Dorn im Auge. Caritas und Diakonie verteidigen den Sonderstatus in einer Diskussion an der Hochschule Düsseldorf. Für Juli wird eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs erwartet. (28.06.2017)
  • hpd.de: Interview mit Ingrid Matthäus-Maier zur neuen EKD-Loyalitätsrichtlinie
    Kirchliches Arbeitsrecht: „Beide Kirchen bewegen sich nur millimeterweise“ (Daniela Wakonigg / 20. Apr 2017)
  • hpd.de: MIZ 2/18 erschienen: Der EuGH und das kirchliche Arbeitsrecht
    Ist in der Positionierung des Europäischen Gerichtshofes in Sachen kirchliches Arbeitsrecht ein Aufbruch zu erkennen in Richtung Ende der Diskriminierung von Beschäftigten oder müssen die Reaktionen aus der Politik als Alarmsignal verstanden werden? Diese Frage versucht die MIZ im Titelthema des aktuellen Heftes zu beantworten. (Von Martin Bauer / 18. Sep 2018)

Neues aus dem Glashaus

Herr Beck, dank Aufklärung und Säkularisierung steht es Ihnen frei, sich öffentlich kritisch über Arbeitsrechtsverletzungen wie Ausbeutung zu äußern. Dagegen habe ich auch gar nichts einzuwenden. Als Vertreter der katholischen Kirche sind Sie dabei allerdings in einer denkbar ungünstigen Situation, um es mal diplomatisch auszudrücken.

Gerade die katholische Kirche taugt wahrlich nicht als vorbildliches Beispiel für den fairen Umgang mit Arbeitnehmern und die Anerkennung deren Rechte.

In diesem Zusammenhang spielt es sicher eine Rolle, dass in der biblischen Grundlage des Christentums Sklaverei und damit auch Ausbeutung ganz selbstverständlich ist. Hier nur drei Beispiele von vielen:

  • Jeder soll in dem Stand bleiben, in dem ihn der Ruf Gottes getroffen hat. Wenn du als Sklave berufen wurdest, soll dich das nicht bedrücken; aber wenn du frei werden kannst, mach lieber Gebrauch davon! Denn wer im Herrn als Sklave berufen wurde, ist Freigelassener des Herrn. Ebenso ist einer, der als Freier berufen wurde, Sklave Christi. (1. Kor 7, 20-22 EU)
  • Ist es vielleicht etwas Besonderes, wenn ihr wegen einer Verfehlung Schläge erduldet? Wenn ihr aber recht handelt und trotzdem Leiden erduldet, das ist eine Gnade in den Augen Gottes. Dazu seid ihr berufen worden; denn auch Christus hat für euch gelitten und euch ein Beispiel gegeben, damit ihr seinen Spuren folgt. (1. Petrus 2,20-21 EU)
  • Der Knecht, der den Willen seines Herrn kennt, sich aber nicht darum kümmert und nicht danach handelt, der wird viele Schläge bekommen.

Unvorstellbares Leid, biblisch legitimiert

Man versuche, sich nur kurz mal das Ausmaß menschlichen Leides vorzustellen, das mit der „Legitimierung“ durch Bibelsprüche wie diese unzähligen Menschen schon zugefügt wurde.

Sollte sich Gott seitdem weiterentwickelt und in diesem Rahmen auch seine Meinung zu Ausbeutung und Sklaverei geändert haben, dann hätte er das ja schon längst mal offenbaren können. Statt sich auf die rhetorischen und textlichen Uminterpretierungsfähigkeiten beschränkter und erlösungsbedürftiger Menschlein zu verlassen.

Ohne ein solches Update werden Sätze wie diese auch weiterhin als Bestandteil des von Gott persönlich geoffenbarten (oder inspirierten) Wortes immer und immer wieder weitergegeben gegeben. Die Geister, die ich rief – oder genauer: Die Götter, die ich mir erschuf…

Heilige Schriften taugen nicht als brauchbare Moralquelle für Menschen im 21. Jahrhundert.

Das Bibelsprüchlein darf nicht fehlen…

Jetzt fehlt nur noch das Bibelsprüchlein, das sich Herr Beck aus der biblischen Mythen- und Legendensammlung (für ihn offenbar zum Thema passend erscheinend) herausgepickt hat:

„Was ihr den Geringsten meiner Schwestern und Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Diesen Satz aus dem Matthäusevangelium gilt es immer mal wieder in Erinnerung zu rufen. Denn mit ihm rücken Menschen in den Blick, die sonst leicht übersehen werden.

Dass Sie zu Ihrem Thema in der Bibel offenbar nichts Passenderes als diese Stelle gefunden haben, finde ich bezeichnend. Dieses Gleichnis ist überschrieben mit: Das Gleichnis vom Gericht des Menschensohnes über die Völker und nicht etwa mit: Warum Ausbeutung unfair ist.

Bei der Interpretation dieses Textfragmentes komme ich zu einem genau gegensätzlichen Ergebnis wie Sie, Herr Beck:

Der Mensch rückt aus dem Blick, nicht umgekehrt

Die Menschen rücken doch eben gerade nicht in den Blick, ganz im Gegenteil! Für die göttliche Beurteilung (mit-)menschlichen Verhaltens spielt dieses Verhalten hier expressis verbis  nur deshalb eine Rolle, weil sich auch Gott itself davon betroffen fühlt! Der eifersüchtige Gott rückt den Menschen aus dem Blick und drängelt sich selbst in den Vordergrund: „…das habt ihr mir getan“, bzw. „…das habt ihr mir nicht getan.“

Nebenbei bemerkt: Ebenfalls bezeichnend finde ich es, dass Sie sich für Ihr Zitat eine Bibelausgabe herausgesucht haben, in der zu den „Brüdern“ noch die „Schwestern“ dazugedichtet worden waren. Klingt doch gleich viel besser. Und wer weiß schon, was da mal irgendwann irgendwer tatsächlich aufgeschrieben hatte, um es als das (bei Bedarf ewig und wortwörtlich wahre) Wort Gottes zu verkaufen…

Ich halte es generell für ein Armutszeugnis für einen ansonsten vermutlich aufgeklärt und vernünftig denkenden Erwachsenen im 21. Jahrhundert, wenn er sich seine Wirklichkeit erst um die Vorstellung eines magischen Götterwesens erweitern muss, um sich dann dieses Wesens wegen mitmenschlich zu verhalten. Und das auch nicht etwa zu allen Menschen oder gar Lebewesen. Sondern nur zu den glaubensmäßig Gleichgesinnten (Schwestern und Brüder).

Ingroup – Outgroup

Die Unterscheidung zwischen Zugehörigen (=ingroup, Gottes Volk, wir, die Guten, die, die Gott auserwählt hat und die er dereinst belohnt…) und allen anderen (=outgroup, alle Un- und Andersgläubige, die Bösen, die, die Gott dereinst bestraft…) ist grundlegender Bestandteil er biblisch-christlichen Lehre. Der Bibeltext, aus dem der zitierte Satz stammt, beschreibt genau dies.

Die moralische Aussage dieses Bibeltextes lautet zusammengefasst: Du sollst dich (zumindest Gläubigen gegenüber) mitmenschlich verhalten, weil Gott dich sonst furchtbar auf ewig bestraft. Davon erfährt der geneigte Wort-zum-Sonntag-Zuschauer aber nichts. Der geneigte AWQ-Leser schon.

Denn so geht es nach der von Herrn Beck herausgepickten Stelle weiter im Text:

  • Dann wird er zu denen auf der Linken sagen: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bestimmt ist! (Mt 25, 41 EU)

Sollten wir uns diesen Satz nicht auch immer mal wieder in Erinnerung rufen, Herr Beck? Damit die Menschen in Ihren Blick rücken, die Ihr lieber Gott gemäß biblisch-christlicher Mythologie zeitlich unbegrenzt mit physischen und psychischen Höllenqualen bei vollem Bewusstsein dafür bestraft, dass sie ihn zu Lebzeiten nicht anerkennen wollten? Vorausgesetzt, dass sie überhaupt von ihm erfahren hatten?

Moralischer Totalausfall

In diesem Bibeltext folgt nun noch eine Aufzählung von Negativbeispielen. Also von Situationen, in denen sich Menschen nicht mitmenschlich verhalten haben.

Und jetzt wirds interessant: Nicht etwa wegen des menschlichen Leides, das mangelnde Mitmenschlichkeit verursacht hat, bestraft der liebe Gott Menschen. Sondern vielmehr deshalb, weil Gott sich vernachlässigt fühlte (Hervorhebung von mir):

  • Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan. Und diese werden weggehen zur ewigen Strafe, die Gerechten aber zum ewigen Leben. (Mt 25, 45-46 EU)

Nochmal: Zur guten Tat wird eine gute Tat nur dadurch, dass man sie nicht nur am Mitmenschen, sondern gleichzeitig auch an Gott vollbracht hat. Und die Unterlassung einer guten Tat wird deshalb bestraft, weil auch Gott darunter gelitten hat (behaupten jedenfalls die, die sich ihn samt seinen angeblichen Eigenschaften und Absichten ausgedacht haben).

Herr Beck, ganz konkret gefragt: Wen meinen Sie mit einer solchen Argumentation heute noch davon überzeugen zu können, sich fair und mitmenschlich zu verhalten?

Und ist dieses Anliegen nicht viel zu wichtig, als dass man es mit den absurden religiösen Phantasievorstellungen eines primitiven Wüstenvolkes in Verbindung bringen sollte?

Phishing for relevance

Für mich wirkt das Ganze wie ein weiterer verzweifelter Versuch, der biblisch-christlichen Mythologie halt doch noch irgendwie eine gewisse Relevanz zu verpassen: „Schaut her, in der Bibel steht auch, dass ihr euch anständig verhalten sollt!“ Mehr scheint vom christlichen Belohnungs-Bestrafungskonzept nicht mehr übriggeblieben zu sein.

Nun sollte heute aber von allen Menschen erwartet werden können, dass sie sich fair und mitmenschlich verhalten. Egal, ob bzw. welche postmortale göttliche Belohnung sie sich einbilden. Oder vor welcher ebensolchen Bestrafung sie sich fürchten.

Als Grundlage für ethische Standards der Weltbevölkerung im 21. Jahrhundert, aber natürlich auch für Gesetze offener und freier Gesellschaften ist religiös-esoterische Mythologie nicht nur entbehrlich. Sondern völlig unbrauchbar. Was nicht heißt, dass eine solche unter dem Stichwort „Gedankenfreiheit“ nicht auch ihren Platz in einer solchen Gesellschaft haben kann. Die Gedanken sind frei – jedenfalls, solange man sich außerhalb eines klerikalen Einflusses befindet.

Sobald allerdings in einer Argumentation der Glaube an eine religiös erweiterte Scheinwirklichkeit, zum Beispiel mit belohnenden und strafenden magischen Himmelswesen vorausgesetzt wird, ist diese Argumentation hinfällig.

Deshalb sind Kirchenfunktionäre auch so scharf auf den interreligiösen Dialog: Trotz mitunter unterschiedlicher Göttervorstellungen teilt man hier wenigstens das (nicht als solches empfundene) Manko des magischen, nicht wirklichkeitskompatiblen Denkens.

Ausbeutung – und was man dagegen tun kann

Ja, es gibt Bereiche, in denen Arbeitnehmer oder Auszubildende unfair behandelt werden. Ich halte es für richtig und wichtig, auf Ausbeutung hinzuweisen. Und auch, etwas Wirksames dagegen zu unternehmen.

Keine Frage: Es gibt natürlich sicher auch Kirchenangestellte, die sich nicht in ihrer persönlichen Freiheit beeinträchtigt zu fühlen. Und die sich mit den Besonderheiten des Kirchendienstes arrangieren.

Allerdings gebe ich zu bedenken, dass Angestellte und auch Auszubildende wohl kaum irgendwo auf der Welt bessere Möglichkeiten haben, sich gegen ungerechte Behandlung und Ausbeutung zur Wehr zu setzen.

Und als Angestellte/r des Kirchenkonzerns hat man immerhin noch die Möglichkeit, sich seine Gedankenfreiheit zu bewahren. Und einfach, so wie die vielen anderen Wischiwaschi-Christen auch, nur so zu tun, als glaube man das, was man eigentlich glauben müsste, um sich Christ nennen zu können. Oder, um für die Kirche arbeiten zu dürfen.

Selbst die Instrumente von Betriebsräten und Gewerkschaften scheinen in diese Winkel der Gesellschaft nicht zu reichen.

…sagt der katholische Priester. Ohne mit der Wimper zu zucken.

Paradox: Christliche Sozialethik

Auch in der christlichen Sozialethik gibt es deshalb seit Jahrzehnten das Anliegen, die Verhältnisse in der Erwerbsarbeit zu humanisieren. Das zielt darauf ab, dass alle Menschen, auch Auszubildende, gerecht behandelt werden, so dass sie von ihrer Arbeit leben können und nicht ausgebeutet werden.

Schön und gut, nur: Um sich an einem solchen Dialog beteiligen zu können, müsste die vertretene Lehre zumindest die Minimalanforderungen erfüllen, um als mögliches Moralsystem wenigstens theoretisch in Frage kommen zu können.

Dass dies nicht der Fall ist, erklärt und begründet Dr. Andreas Edmüller in seinem Buch: „Die Legende von der christlichen Moral – warum das Christentum moralisch orientierungslos ist„.

Eine moderne „christliche Sozialethik“ kann demzufolge keine Ethik sein, die auf der christlichen Lehre basiert. Aber mit diesem Anspruch scheint zumindest Herr Beck auch gar nicht aufzutreten; vielmehr verbiegt er –quasi umgekehrt – seine biblisch-christliche Lehre so massiv, dass sie, zumindest oberflächlich betrachtet, zu modernen ethischen Standards zu passen scheint.

Vor der eigenen Kirchentüre kehren

Und wie oben schon beschrieben: Die katholische Kirche hat mehr als genug Möglichkeiten, „die Verhältnisse in der Erwerbsarbeit zu humanisieren.“ Und zwar im eigenen Konzern!

[…]  Was bleibt? Hinschauen, denn es gilt: „Was ihr den Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan!“

Die angeblichen Befindlichkeiten eines magischen Phantasiewesens sind für eine Verbesserung des fairen Miteinanders der Weltbevölkerung irrelevant.

Eben nicht deshalb heißt es: Hinschauen. Sondern um der Mitmenschen willen!   Dazu bedarf es eben keiner fiktiven Überhöhung menschlichen Verhaltens auf eine göttliche Dimension („…das habt ihr mir (nicht) getan!“). Es genügt, Mensch zu sein, um die gleichnamigen Rechte einfordern zu können.

Was bleibt? Mehr als nur Hinschauen

Neben Hinschauen gilt es außerdem auch, sich für Fairness und Gerechtigkeit einzusetzen. Überlegen, was man selbst und ganz konkret gegen Ausbeutung tun kann. Oder wie man Menschen helfen kann, sich dagegen zu wehren, ausgebeutet zu werden.

Als Gläubiger könnte man dazu zum Beispiel die Zeit nutzen, in der man bisher versucht hatte, einen Allmächtigen durch Bittgebete dazu zu bringen, seinen Allmachtsplan zu ändern. Oder genauer: Die Zeit, in der man sich bisher mit sinnlosen, weil unbeantworteten Gesprächen zu seiner eingebildeten Gottesvorstellung geistig selbstbefriedigt hatte.

Einmal mehr ist Herrn Beck vorzuwerfen, dass seine Verkündigung mal wieder Problem- und nicht lösungsorientiert ist:

Wäre es nicht viel sinnvoller gewesen, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sich Menschen gegen Ausbeutung wehren können? Oder wie man durch sein eigenes Konsumverhalten dazu beitragen kann,  Ausbeutung möglichst zu vermeiden?

Hinschauen, also Sensibilisierung für dieses Thema ist sicher ein wichtiger erster Schritt. Hier dürfte es hilfreich sein, sich zunächst mal mit den Werten auseinanderzusetzen, die die Grundlage für offene und freie Gesellschaften darstellen und für die es sich einzusetzen gilt.

Und dann bleibt freilich noch viel mehr zu tun. Nicht um Gottes-, sondern um der Mitmenschen willen.  Und nicht auf einem morschen Fundament aus religiöser Fiktion. Sondern basierend auf Menschlichkeit, Vernunft und Evidenz.

Zusammenfassung

  • Ein Vertreter der katholischen Kirche, deren Besitztümer zu einem großen Teil durch Ausbeutung gewonnen wurden und die die Rechte ihrer Arbeitnehmer durch ein eigenes Arbeitsrecht aushebelt ist in einer denkbar ungünstigen Situation, sich über arbeitsrechtliche Missstände oder über Ausbeutung zu beschweren.
  • Die von Herrn Beck zitierte Bibelstelle besagt das genaue Gegenteil dessen, was er hineininterpretiert: Nicht des „Geringsten“ wegen sind gute Taten gut und Unterlassung guter Taten schlecht, sondern deshalb, weil sich auch Gott davon betroffen fühlt. Eben nicht der „Geringste“ gerät so in den Blick, sondern Gott.
  • Statt die kostenlose Sendezeit sinnvoll zu nutzen und den Zuschauern zum Beispiel konkrete Tipps zu geben, wie sie sich gegen Ausbeutung und unfaire Arbeitsbedingungen zur Wehr setzen können, problematisiert Herr Beck. Die Errungenschaften, die (gegen kirchlichen Widerstand) zu einer Stärkung von Arbeitnehmerrechten geführt hatten, redet er schlecht.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag zum Thema Ausbeutung.

 

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4 Gedanken zu „Ausbeutung – mitten in Deutschland – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Exzellente Ausführung zum Thema „Christentum und Ausbeutung“. Man sieht klar und prägnant, dass und warum sich das Christentum den Vorwurf der tief in seiner „Lehre“ (besser: Pseudo- oder Möchtegern-Lehre) verankerten Menschenverachtung gefallen lassen muss. Eine Antwort Herrn Becks würde mich echt interessieren.

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  2. Herr Beck hat geantwortet – mit einem lehrreichen Beispiel für diverse Auto-Immunisierungstaktiken:

    * Strohmann
    * Verstecken hinter (vermeintlichen) Autoritäten
    * Tu quoque
    * Beleidigter Edelmann bleibt trotzdem sachlich (und erhebt sich somit über die Angreifer)
    * Bewusstes Falsch-Verstehen (zur Vermeidung heikler Punkte)
    * Weglassen entscheidender Punkte, z.B. Welche/wessen Bibel-Auslegung ist gültig?

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