Die Bettler-App – Das Wort zum Wort zum Sonntag

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Die Bettler-App – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Gereon Alter (kath.), veröffentlicht am 12.1.2019 von ARD/daserste.de

In seiner heutigen Verkündigung berichtet Herr Alter von einer neuen App, mit der man Bettlern und Obdachlosen Geld überweisen kann. Nachdem er, wie kaum anders zu erwarten, die Idee, Bedürftige zu unterstützen (also natürlich bitte möglichst nicht auf Kirchenkosten, sondern mit Privatspenden und/oder ehrenamtlicher Arbeit) erstmal grundsätzlich positiv bewertet, kommt er auf einen Haken zu sprechen, den das Projekt seiner Meinung nach hat:

Eine großartige Idee! Wäre da nicht diese andere Seite … Für jeden Hilfsbedürftigen wird ein digitales Profil angelegt.

Alle App-Nutzer haben Zugriff darauf. Damit sich jeder ein Bild von „seinem“Obdachlosen machen kann. Name, Alter, Lebensstand. Wie lang schon auf der Straße. Wie zuverlässig im Umgang mit Geld. Drogenabhängig? Alkoholkonsum? – Der Hilfsbedürftige als gläserner Mensch. Auslesbar über einen simplen QR-Code, den er immer bei sich tragen muss.*

Die Frage, wer welche personenbezogenen Daten erheben und nutzen dürfen sollte, unter welchen Umständen, wie lange und zu welchen Zwecken, ist nur eine von vielen Fragen, die der Themenkomplex „Digitalisierung“ mit sich bringt.

Und die sowohl aus ethischer, als auch aus rechtlicher Sicht diskutiert und geklärt werden müssen. Oder genauer: Längst schon hätten geklärt werden müssen.

Was für eine sonderbare Übergangszeit:

Während sich einige die Köpfe über transhumanistische Fragestellungen zerbrechen, beten andere noch Wüstengötter aus der Bronzezeit an.

Es geht nicht nur um Datenschutz. Sondern auch um die vielen weiteren Veränderungen, die der Weltbevölkerung zu Beginn des 21. Jahrhunderts nie gekannte Chancen, aber auch ebenso gravierende Risiken bescheren.

Die digitale Revolution seit Ende des 20. Jahrhunderts dürfte sich mindestens genauso grundlegend auf das Leben der Weltbevölkerung auswirken wie die industrielle Revolution damals im 19. Jahrhundert. Wenn nicht sogar noch viel drastischer.

Jetzt stellt sich die Frage, inwiefern Religionen im Allgemeinen oder der biblisch-christliche Monotheismus im Besonderen eine geeignete Basis für rechtliche und ethische Standards moderner freier und offener Gesellschaften sein kann.

Dass etwa der Besitz von personenbezogenen Daten auch Macht über diese Personen bedeuten kann, weiß man in der katholischen Kirche nicht erst seit Erfindung der Beichte.

Denn schließlich behauptete man ja schon viel früher vom Wüstengott Jahwe, dass er nicht nur allmächtig, sondern auch als allwissend sei.

Der Allwissende und der Datenschutz

Allein schon die vom Klerus und dessen Gehilfen über Jahrhunderte verbreitete Androhung, ein magisches Himmelswesen würde alle Menschen pausenlos und bis in ihre privateste Gedankenwelt hinein dauerbeobachten und die so ohne Zustimmung oder Widerspruchsoption gesammelten Daten dereinst für eine gnadenlose Verurteilung nutzen, dürfte schon unzähligen Menschen psychische Schäden riesigen Ausmaßes zugefügt haben.

Besonders in den Jahrhunderten, in denen die Kirche noch keinen Grund hatte, die heute gerne verschwiegenen dunklen und dunkelsten Seiten ihrer Gottesvorstellung unter den Altarteppich zu kehren.

Dass es sich bei der göttlichen Datenkrake nur um eine absurde Fiktion handelt, macht für den, der daran glaubt, praktisch keinen Unterschied.

Während die Geschichte vom allwissenden Gott nur erfunden ist, hat die Menschheit Algorithmen erschaffen, die zwar nicht all-, aber immerhin schon wesentlich umfangreicher wissend sind als ein Mensch es jemals sein könnte. Und in Anbetracht vom Verhalten der Big Player in der digitalen Welt können einem durchaus Allmachtsgedanken kommen.

Humanismus statt Allgnädigkeitsphantasien

Aber nicht nur was die angebliche göttliche Allmacht und Allwissenheit angeht, ist die Menschheit heute schon viel weiter als jede biblisch-christliche Gottesvorstellung. Auch im Bereich der Allgüte, die dem biblisch-christlichen Wüstengott zugesprochen wird, ist eben dieser längst überholt.

Dieser Gott, der sich selbst als eifersüchtig bezeichnet. Und der seine Gnade einzig davon abhängig macht, ob jemand bereit war, sich ihm bedingungslos zu unterwerfen.

Für die Gesetze und ethischen Standards offener und freier Gesellschaften spielen der erfundene Wille, die angeblichen Eigenschaften und Absichten von ebenso erfundenen Göttern keine Rolle mehr. „Weil Gott es so will“ zählt heute nicht mehr als Argument für oder gegen etwas.

Freie und offene Gesellschaften orientieren sich weder an magischem Götterglaube, noch an biblischen Mythen und Legenden. Sondern an der Würde und Freiheit des Individuums.

Und so erstaunt es kaum, dass in der heutigen Verkündigung von Herrn Alter kein einziger direkter Bezug zu der von ihm vertretenen religiösen Ideologie zu finden ist.

Sogar der biblische Vorzeige-Bettler, der arme Lazarus durfte diesmal zuhause bleiben. Und andere Bibelstellen zum Thema Betteln fehlen verständlicherweise auch, wie zum Beispiel diese:

  • Betteln
    Kind, lebe nicht ein Bettlerleben! Besser sterben als betteln! Wer auf einen fremden Tisch schaut, dessen Leben ist nicht als Leben zu rechnen. Er verunreinigt sich mit fremden Speisen, aber ein verständiger und gebildeter Mann wird sich in Acht nehmen. Im Mund eines Unverschämten ist das Betteln süß, aber in seinem Inneren brennt ein Feuer. (Jesus Sirach 40,28-30 EU)

Würde Herr Alter Nachfragen zu seinen öffentlichen Verkündigungen beantworten, könnte er sicher wortreich erklären, warum diese Stelle über Bettler aus dem laut Dogma wortwörtlich wahren, weil von Gott persönlich geoffenbarten „Wort Gottes“ heute natürlich nicht mehr so zu verstehen ist wie es nun mal dort steht.

Bildlich gesprochen

[…] Über den Datenklau bei Politikern und Prominenten regen wir uns seit Tagen auf. Haben denn Menschen, die auf der Straße leben, nicht diesselben Rechte? Haben sie nicht dieselbe Würde? Wer also gibt anderen das Recht, so mit ihren Daten umzugehen und sie – bildlich gesprochen – derart auszuziehen?

…fragt ausgerechnet einer, der eine Lehre vertritt, in der ein überirdisches Wesen mit offensichtlicher Persönlichkeitsstörung Menschen mit seiner  Allwissenheit nicht nur – bildlich gesprochen – auszieht.

Sondern das sie – nicht bildlich gesprochen – schon für (aus seiner Sicht) „falsche“ Gedanken zeitlich unbegrenzt mit psychischen und physischen Höllenqualen bei vollem Bewusstsein dauerfoltert? Nämlich für das Vergehen, den Monogott zu Lebzeiten nicht uneingeschränkt und als einzigen Gott anerkannt zu haben?

Wie kommt man als Vertreter solcher furchtbar unmenschlicher und absurder Vorstellungen nur auf die verwegene Idee, sich zu Themen wie den angemessenen Umgang mit personenbezogenen Daten zu äußern? Und dabei ja vermutlich noch zu hoffen, irgendwie ernst genommen zu werden?

Unsinniger Vergleich

Ganz abgesehen davon ist der Vergleich von Herrn Alter faul. Beim Datenklau handelte es sich um eine Straftat. Die Aufregung gilt nicht der Erhebung, Speicherung und Nutzung von Daten. Sondern der widerrechtlichen Aneignung und unerlaubten Veröffentlichung.

Anders sieht es aus im Fall der Bettler-App, bzw. generell bei der Nutzung sozialer Medien und ähnlicher Onlinedienste: Hier muss der Nutzer selbst entscheiden, ob er diesen Dienst nutzen möchte. Und wenn ja, welche Daten er von sich veröffentlicht. Auch sollte er sich bewusst machen, wer alles Zugriff auf seine Daten hat.

Niemand zwingt Menschen, ihre Angewohnheiten, Biographien, Vorlieben, Probleme oder sonstige private Informationen online zu veröffentlichen. Jedenfalls noch nicht. Sollte irgendwann das Münz- oder das komplette Bargeld mangels Verwendung abgeschafft werden, könnte eine Bettler-App die einzige Möglichkeit für Bedürftige sein, noch an Almosen zu kommen.

Gleiches gilt für die Kirchen, die ja teilweise auch schon bargeldlose Zahlungsmöglichkeiten anbieten für alle, die den Milliardenkonzern noch ein bisschen finanziell unterstützen möchten. Zusätzlich zur Kirchensteuer und zur staatlichen Alimentierung.

Um die Frage von Herrn Alter zu beantworten: Das Recht, wie auch immer mit ihren Daten umzugehen, räumen die Nutzer selbst dem Anbieter einer solchen App ein, um die App überhaupt nutzen zu können. Hier werden keine Daten geklaut. Und deshalb ist dieser Vergleich unsinnig.

Es scheitert schon an den Prämissen

Aber zurück zur Frage, inwiefern die christliche Lehre zur Beantwortung von ethischen Fragen im 21. Jahrhundert beitragen kann:

Dass zwischen den magisch basierten Stammesmythen eines Wüstenvolkes aus der Bronzezeit und modernen ethischen Standards redlicherweise nicht überwindbare Unterschiede bestehen, kann kaum erstaunen. Und durch die zahllosen Übersetzungen, Weglassungen, Ergänzungen, Umformulierungen und Interpretationen wurde es nicht besser.

Es scheitert schon an den Prämissen: Der Glaube an die biblisch-christlichen Mythen setzt eine Weltsicht voraus, die mit unserem heutigen Wissensstand über die natürliche Wirklichkeit redlicherweise nicht mehr vereinbar ist.

Ohne Erbsünde keine Erlösungsbedürftigkeit, ohne Auferstehung keine Erlösung, ohne Jenseits keine Möglichkeit zur Belohnung oder Bestrafung und so weiter… Zieht man auch nur eine dieser Karten heraus, fällt das Kartenhaus in sich zusammen.

Und so bleibt den Leuten, die ihr Einkommen von der Kirche beziehen gar nichts anderes übrig, als irgendwie noch die Legende von der christlichen Moral aufrecht zu erhalten.

Effektiv helfen – ohne Missionierung zu subventionieren

[…] Deshalb bin ich vorsichtig geworden in meinem Urteil und tendiere dahin, entweder einfach mal einen Euro zu geben, ohne nach dem Wofür zu fragen. Oder aber die zu unterstützen, die einen Obdachlosen wirklich kennen und ihm effektiv helfen können: die Sozialarbeiter und Streetworker, die Betreiber von Suppenküchen und Kältebussen.

Dabei sollte man darauf achten, nicht-kirchliche Dienstleister und Organisationen zu unterstützen. Denn wie aus der „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“ unmissverständlich hervorgeht, sind kirchliche Einrichtung vorrangig Mittel zum missionarischen Zweck (Hervorhebungen von mir):

  • Die Berufung aller Menschen zur Gemeinschaft mit Gott und untereinander zu dienen, ist der Auftrag der Kirche. In lebendigen Gemeinden und Gemeinschaften bemüht sie sich, weltweit diesem Auftrag durch die Verkündigung des Evangeliums, die Feier der Eucharistie und der anderen Sakramente sowie durch den Dienst am Mitmenschen gerecht zu werden. Diese Sendung verbindet alle Glieder im Volk Gottes; sie bemühen sich, ihr je an ihrem Ort und je nach ihrer Begabung zu entsprechen. Diesem Ziel dienen auch die Einrichtungen, die die Kirche unterhält und anerkennt, um ihren Auftrag in der Gesellschaft wirksam wahrnehmen zu können. (Quelle: Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“ Nr. 95 A vom 27. April 2015, B. Erklärung der deutschen Bischöfe zum kirchlichen Dienst, 1. Präambel, Seite 7)
  • Kirchliche Einrichtungen dienen dem Sendungsauftrag der Kirche. (ebenda, II. Eigenart des kirchlichen Dienstes, Seite 9)

Den Leuten, denen geholfen wird, dürfte es freilich ziemlich egal sein, ob ihnen jemand ihretwegen hilft oder weil sich jemand davon eine fiktive postmortale Belohnung bzw. Strafvermeidung verspricht.

Wer sich fragt, warum man die Kirche denn nicht dabei unterstützen sollte ihre Lehre zu verbreiten, dem sei zum Beispiel die Lektüre des Buches „Warum ich kein Christ sein will“ von Uwe Lehnert empfohlen.

Bettler und Bedürftige: Wie könnte die Kirche helfen, wenn sie wollte? Und warum tut sie’s nicht?

Bettler-AppAuch sollte man bedenken, dass die katholische Kirche zwar gerne wie zum Beispiel in dieser heutigen Verkündigungssendung mehr oder weniger direkt dazu aufruft, Bettler und Bedürftige zu unterstützen. Während sie sich selbst nur mit weniger als lächerlichen 2 Prozent an den Ausgaben für Sozialleistungen beteiligt.

Wer andern ins Gewissen reden will tut immer gut daran, selbst mit gutem Beispiel voranzugehen. Gerade wenn es sich um einen Milliardenkonzern wie die katholische Kirche handelt. Die ja zudem noch für sich beansprucht, moralisch nicht nur mitreden, sondern gar den Ton angeben zu können.

Was könnte die Kirche, wenn sie nur wollte, schon mit einem Promilleanteil ihres Milliardenvermögens für Bettler und Bedürftige bewirken? Ganz ohne Datensammlung und -veröffentlichung? Und wäre es nicht erst dann angebracht und glaubwürdig, wenn sich ein Kirchendiener vor eine Fernsehkamera stellt, um das Publikum auf Missstände hinzuweisen?

Dass die Kirche ihre Mission mitunter sogar wichtiger ist als die Not der Menschen, belegt dieses Beispiel aus Berlin. Hier hatte die evangelische Kirche einer Obdachlosenambulanz gekündigt, weil sie einer Trägerschaft durch den Humanistischen Verband HVD nicht zustimmen wollte:

  • Noch im November zu Beginn der Kältesaison riefen die Sozialverbände und insbesondere die Kirchen zu gemeinsamen Anstrengungen in der Obdachlosenarbeit auf. Es fehlt vor allem an Geld und geeigneten Räumlichkeiten für Notübernachtungen. Doch wenn es konkret wird, dann möchten zumindest die Protestanten längst nicht mit jedem gegen die Armut ankämpfen. Eine Zusammenarbeit mit den Humanisten jedenfalls lehnt die evangelische Kirche ab. (Quelle: Berliner Zeitung)

Wenn ich Zeit habe…

Und wenn ich Zeit habe, dann gebe ich was davon. Ein gemeinsamer Kaffee, ein kurzes Gespräch oder auch nur ein freundlicher Blick … Das kann mitunter viel mehr wert sein als ein Euro.

…und das zählt ja zweifellos auch zu den beruflichen Aufgaben eines „Seelsorgers“, oder? Denn jedes Gespräch bedeutet ja auch eine Chance, dem bischöflich verordneten Missionierungsauftrag nachzukommen. Und je schlechter es Menschen geht, umso empfänglicher sind sie für alles, was ihnen irgendwie hoffnungsvoll erscheint. Selbst wenn es sich dabei nur um ein fiktives religiöses Heilsversprechen handelt. Oder eben um einen Drogen- oder Alkoholrausch.

Natürlich gibt es auch religiös motivierte bzw. gebundene Menschen, die die Notlage anderer Menschen nicht dazu ausnutzen, ihre religiösen Ideen zu verbreiten. Denen es tatsächlich um die Menschen geht, für die sie – aus welchen persönlichen Gründen auch immer – da sind. Ohne diese Menschen von der Bedeutsamkeit und Wahrheit ihrer magisch erweiterten Vorstellungswelt überzeugen zu wollen. Egal, ob Bettler, Alte, Kranke oder Kinder.

Aber sind nicht gerade solche Helfer der beste Beleg dafür, dass weder Sozialarbeit, noch (ehrenamtliches) mitmenschliches Engagement einer religiösen Grundlage bedarf?

Eine der vielen Dunkelziffern der katholischen Kirche ist die Zahl der Kirchenangestellten, die sich schon längst von ihrer Glaubenslehre befreit haben, aber aus beruflichen Gründen gezwungen sind, den Schein zu wahren.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag zu einer neuen Bettler-App.

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