Du sollst nicht… – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Lüge

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Du sollst nicht… – Das Wort zum Wort zum Sonntag gesprochen von Annette Behnken (ev.) zum Thema Lüge, veröffentlicht am 9.3.2019 von ARD/daserste.de

Flankierend zum Motto der diesjährigen Fastenaktion (die Evangelen rufen – ha ha ha – dazu auf, mal sieben Wochen auf Lüge verzichten) beschäftigt sich Frau Behnken heute mit eben diesem Thema.

Im Grunde wäre mit diesem Zitat aus einem Kommentar von Gisa Bodenstein auf hpd.de schon alles gesagt:

  • Eine Institution, die ihre eigenen Grundfesten auf eine 2000 Jahre alte Hirtenmythologie gebaut hat, will also andere zur Ehrlichkeit ermuntern. (Gisa Bodenstein via hpd.de)

Trotzdem möchte ich noch einige Gedanken und Fragen zu der heutigen Verkündigungssendung ergänzen.

Zum Einstieg definiert Frau Behnken für ihr Publikum erstmal die „Bibel nach Behnken“:

[…] Und eigentlich meint dieses achte der zehn Gebote der Bibel auch was anderes. Nämlich: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden. Also: Du sollst niemanden schlecht machen, niemanden verunglimpfen, nicht lästern. Macht‘s das jetzt leichter?

Ja, das macht es schon leichter – für Frau Behnken. Sie wendet hier die altbekannte Strohmann-Taktik an: „Falsches Zeugnis“ bedeutet bei ihr nun plötzlich nicht mehr „Lüge“ im Sinne von „die Unwahrheit sagen“. Sondern so etwas wie Verunglimpfung, Lästerei, üble Nachrede. Also Verhaltensweisen, die sich leichter kritisieren lassen als das nicht immer so ganz eindeutige Thema Unwahrheit. Zumal man ja gerade als Kirchenvertreterin aufpassen muss, hier nicht selbst zur Zielscheibe der eigenen Kritik zu werden, aber dazu später mehr.

Erst nochmal kurz zur eigentlichen Bedeutung des Begriffes Lüge:

Wenn falsches Zeugnis richtig(er) ist

Tatsächlich gibt es Situationen, in denen eine Lüge ethisch richtiger ist als die Wahrheit. Wer zum Beispiel während der Nazidiktatur die Frage des Nazischergen nach dem Aufenthaltsort der versteckten Juden wahrheitsgetreu verriet und sie damit dem sicheren Tod auslieferte, der hatte damit zwar das laut biblischer Legende von Gott him/her/itself aufgestellte Gebot erfüllt.

Aus menschlicher, ethischer Sicht ist dies jedoch ganz anders zu beurteilen. Mit einem pauschalen „Du sollst nicht lügen“ – egal, in welche Metapher verpackt dies ausgedrückt wird – ist es eben nicht immer getan.

Frau Behnken würde vermutlich nie einräumen, dass die Behauptung schon allein nur der Prämissen ihrer Glaubenslehre bis zum Beweis des Gegenteils und bei Licht betrachtet den Tatbestand der Lüge erfüllt. Auch wenn nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmende Behauptungen, die aus der mythologisch erweiterten  religiösen Vorstellungswelt stammen, gemeinhin nicht als Lüge, sondern als von Gott geoffenbarte, ewigliche und unumstößliche Wahrheiten bezeichnet werden.

Die Lüge wird jedoch weder dadurch wahrer oder wenigstens plausibler, dass sie in vormittelalterlichen Schriften von unbekannten Autoren schriftlich festgehalten worden war. Noch dadurch, dass sie bis heute von gläubigen Menschen für wahr gehalten wird.

Du sollst nicht lügen, fordert das Phantasiewesen

Immer, wenn christliche Religionsverkünder das achte Gebot ins Feld führen, frage ich mich (und, entsprechende Gesprächsbereitschaft vorausgesetzt, auch sie/Sie), ob ihnen/Ihnen wirklich nicht auffällt, wie absurd es bei Licht betrachtet ist, ausgerechnet die Aufforderung „Du sollst nicht lügen“ damit zu begründen, dass ein fiktives magisches Himmelswesen, das sich Menschen in der Bronzezeit ausgedacht hatten dies angeblich angeordnet haben soll.

Nochmal: Ein von Menschen erfundenes Phantasiewesen fordert, als einziges, höchstes Götterwesen anerkannt und verehrt zu werden. Und außerdem fordert eben dieses Phantasiewesen seine Anhänger noch dazu auf, keine Lüge zu verbreiten. Das ist ungefähr so absurd, wie wenn jemand behaupten würde, er habe einen Brief von Dagobert Duck erhalten mit der Aufforderung, monatlich 10 Taler nach Entenhausen zu überweisen.

Dafür spielt es keine Rolle, was denn jetzt eigentlich tatsächlich mit diesem Gebot gemeint sein soll: Sobald Götter, Geister oder Gottessöhne ihre Finger oder was auch immer im Spiel haben, ist die Argumentation sowieso hinfällig.

Wer an diesen Gott nicht glaubt, wer nicht auf dessen Belohnung hofft oder sich vor dessen Bestrafung fürchtet, hat überhaupt keinen Grund, dessen Gebote einzuhalten.

Das ist einer der Hauptgründe, warum Religionen als Moralquellen unbrauchbar sind.

Meister des Verunglimpfens: Martin Luther

Aber zurück zu der zur „Verunglimpfung“ umgebogenen „Lüge“ aus dem „Wort zum Sonntag“:

Einen weiteren Aspekt nennt Gisa Bodenstein in ihrem Kommentar auf hpd.de, der sich ebenfalls mit der diesjährigen Lüge-Fastenaktion der evangelischen Kirche befasst:

  • Da könnte ja der Liebling ihrer Kirche gleich mal mitmachen, wenn er denn noch lebte. Luther war ein Meister des Verunglimpfens: In beispielloser Weise hetzte er gegen Frauen, Bauern, Juden und Behinderte. Darauf wird in diesem Zusammenhang aber natürlich nicht verwiesen. (Quelle: hpd.de: Gisa Bodenstein: Evangelische Kirche ruft zum „Lügen-Fasten“ auf)

Auch hier gilt wieder das weiter oben schon Vermutete: Frau Behnken käme sicher niemals auf die Idee, die Lüge in allen Variationen in der von ihr vertretenen Lehre und Kirche als solche anzusehen oder gar einzugestehen. Beim Stichwort „Verunglimpfung“ kommt Frau Behnken gleich noch der dämliche Karnevalsgag der CDU-Chefin in den Sinn:

[…] Kritik an ihrer Aussage hält die Parteivorsitzende nicht aus, sondern attackiert die Kritiker und nimmt gleich das ganz Volk mit in Sippenhaft: das verkrampfteste Volk der ganzen Welt.

Wo ist das Problem? Die CDU und allen voran AKK machen doch keinen Hehl daraus, das sie die „christlichen Werte“ vertreten.

Im Gegenteil: Die Partei trägt das C im Namen. Und Frau Kramp-Karrenbauer scheint das Konzept „Säkularstaat“ auch eher für eine spinnerte Sozi-Idee (oder für das Werk der bösen Mächte, des Antichrist?) als für eine unverzichtbare Grundlage unserer Gesellschaftsordnung zu halten.

Christliche Werte, beim Wort genommen

Sippenhaft gehört zu den üblichen Methoden, mit denen der liebe, nach eigenem Bekunden aber eifersüchtige Christengott seinen Anhängern zeigt, wo der Hammer hängt, wo der Frosch die Locken hat und wer der Herr im Haus ist (Hervorhebung von mir):

  • Du sollst dich nicht vor ihnen [gemeint sind andere Götter, Anm. v. mir] niederwerfen und ihnen nicht dienen. Denn ich bin der HERR, dein Gott, ein eifersüchtiger Gott: Ich suche die Schuld der Väter an den Kindern heim, an der dritten und vierten Generation, bei denen, die mich hassen; (2. Mo 20,5 LUT)

Für alle vielleicht nicht so bibelfesten Leserinnen und Leser (besonders Anhänger des Christentums fallen mir hier immer wieder auf, sobald es ans Eingemachte geht): Dieser Satz gehört zu den selben „10 Geboten“, auf die sich Frau Behnken in ihrer heutigen Verkündigung bezieht. Also auf die Bibelstelle, die bis heute von erstaunlich vielen Menschen als „wertvolle moralische Richtschnur“ oder zumindest als irgendetwas „im Grunde sicher irgendwie nicht ganz Verkehrtes“ angesehen wird.

Wohlgemerkt: Das Vergehen, für das der liebe Gott Sippenhaft „bis in die 3. und 4. Generation“ androht, besteht darin, ihn zu Lebzeiten gehasst zu haben. Scheint eine ziemliche Memme zu sein, der Allmächtige.

Und dann…!?

Die Fastenzeit fängt an. Sieben Wochen bis Ostern. Auf etwas verzichten, damit Raum für etwas anderes entsteht. Sieben Wochen ohne falsch Zeugnis reden. Ohne Schlechtmachen, Lästern. Ohne Verunglimpfen.

Und dann…?!

A propos Fastenzeit: Wann und wieso war die (Mainstream-)Kirche eigentlich dazu übergegangen, das Konzept des religiös motivierten Fastens für alles Mögliche zu instrumentalisieren, statt es als das zu verkaufen, als was es ursprünglich mal erfunden worden war? Eine bewusste, absichtliche Selbst-Kasteiung, um damit dem Fest zum Abschluss der Fastenzeit noch mehr Bedeutung und Glanz zu verleihen? Also Quasi als eine Art Metapher für das ganze Leben, wie es nach biblisch-christlichen Vorstellungen zu sein hat?

Ursrprünglich sollten Menschen um Gottes willen fasten. Und nicht um ihrer selbst oder um ihrer Mitmenschen willen. Nicht, um sich mal ein paar Tage oder Wochen vorübergehend gesünder, fairer oder umweltfreundlicher zu verhalten.

Der heutige Fastenbegriff pervertiert die eigentliche Bedeutung religiösen Fastens geradezu ins Gegenteil: Wer heute fastet, tut sich und/oder anderen damit in der Regel etwas Gutes. Dabei sollen die Schafe doch leiden! Damit sie sich dann umso mehr freuen, wenn sie sich dann schließlich wiedermal einbilden dürfen, ihr großer Schäfer würde sich persönlich um sie kümmern!

Holzräder! Kaufen Sie Holzräder!

HolzradWie lange wird es wohl noch dauern, bis die christlichen Kirchen auch von sich aus eingestehen, dass es für ihr Angebot praktisch keine Nachfrage mehr gibt?

Weil ihr fiktives Heilsversprechen für die Lebenswirklichkeit von halbwegs aufgeklärten Menschen im 21. Jahrhundert genauso irrelevant geworden ist wie die Androhung einer jenseitigen Dauerbestrafung für alle, die sich dem behaupteten Gott nicht unterwerfen wollen?

Das Verhalten von Religionsverkündern wie Frau Behnken kommt mir vor wie die verzweifelten Versuche eines Herstellers von Holzrädern für Holzkarren und Kutschen. Der verzweifelt überlegt, wie er seine Produkte, die sich über viele Jahrhunderte doch immer bestens bewährt hatten, heute noch an den Mann zu bringen.

Klar, es gibt da noch ein paar Mittelaltervereine und auch Privatleute, die hin und wieder noch Interesse an seinen Holzrädern haben. Aber zum Überleben reicht die Nachfrage kaum noch. Von früheren Absatzzahlen ganz zu schweigen…

…aber eine Geschäftsaufgabe hätte auch den Verlust des Präsidentenpostens der vereinigten Holzradhersteller zur Folge! Ogottogottogott…

Gottebenbildlichkeit? Bloß nicht!

Denn damit trete ich die Einzigartigkeit und, christlich gesprochen: die Gottebenbildlichkeit anderer mit Füßen. Sieben Wochen ohne Verunglimpfen.

EbenbildFrau Behnken, ich verbitte mir, dass Sie meine Einzigartigkeit als Ebenbildlichkeit Ihrer Gottesvorstellung bezeichnen.

Der von Ihnen vertretene Gott gilt als die unangenehmste Gestalt menschlicher Fiktion. Mit dem möchte ich weder etwas zu tun haben, noch möchte ich als Ebenbild ausgerechnet dieses Gottes bezeichnet werden.

Damit treten Sie, menschlich gesprochen und um Ihr Bild zu verwenden, meine Einzigartigkeit mit Füßen. Und, nebenbei, auch Ihre intellektuelle Redlichkeit. Aber das ist ja, wenn überhaupt, Ihr eigenes Problem.

Umgekehrt wird ein Schuh draus: Nicht Menschen sind Ebenbilder von Göttern. Sondern Menschen hatten sich Götter als ihre Ebenbilder ausgedacht. Aus Unwissenheit, Angst und aus ihnen hoffnungsvoll erscheinenden Wunschvorstellungen heraus. Und natürlich immer zu bestimmten Zwecken.

Wie zum Beispiel, was die biblische Lehre angeht, zur leichteren Führung eines kleinen Wüstenstammes. Oder, später, das Christentum als Staatsreligion. Zur angeblichen göttlichen Legitimiereung von allem Beliebigen.

Stattdessen: Respekt. Vor der Einzigartigkeit, Würde und Gottebenbildlichkeit anderer. Sieben Wochen lang. Mindestens.

Schauen wir uns die Eigenschaften, wegen derer Sie Respekt fordern, doch einmal kurz näher an:

Einzigartigkeit ist eine Eigenschaft eines jeden Lebewesens. Auch jeder Loa loa, der als „Augenwurm“ bekannte und gefürchtete parasitäre Fadenwurm ist so einzigartig wie auch das Auge seines Wirtstieres, in dem er sich bevorzugt einnistet. Sollte man sich wegen ihrer Einzigartigkeit für die Interessen von Augenwürmern einsetzen? „Mein lieber Augenwurm, du bist einzigartig und deshalb respektiere ich, dass du mein Auge langsam von innen auffrisst?“ Wohl kaum.

Sobald man den Blickwinkel auch nur ein wenig über die ichbezogene Sichtweise, wie sie auch die christliche Lehre (über den Umweg der Projektion auf ein überirdisches Wesen) bedeutet hinaus erweitert, tritt die ansonsten nicht immer direkt erkennbare Absurdität dieser Lehre zutage. Aber zurück zu den Gründen, wegen derer laut Frau Behnken jemand Respekt verdient:

Die Würde des Menschen

Anders sieht es aus, wenn es um Würde geht. Denn die ist (zumindest hierzulande) nach menschlicher Übereinkunft und Festlegung auch gesetzlich als „unantastbar“ geschützt. Um diesen Schutz genießen zu dürfen, genügt es, Vertreter der menschenartigen Trockennasenaffenart „Homo sapiens“ zu sein.

Alle anderen, im Lauf der Menschheitsgeschichte schon zur Unterscheidung herangezogenen Kriterien spielen dafür keine Rolle: Hautfarbe, räumliche oder ethnische Herkunft, Weltanschauung, Geschlecht, Alter, Aussehen…

Früher glaubte man, der Mensch könne seine überragenden geistigen Fähigkeiten keinesfalls von sich selbst aus entwickelt haben. Und manche Menschen bilden sich gar heute noch ein, Menschen seien von Göttern „beseelte“ göttliche „Ebenbilder.“

Eine Vorstellung, die heute gut nachvollziehbar ist – für die Menschen zu Beginn der Menschheitsgeschichte. Aber mit dem heutigen Wissens- und Erkenntnisstand halte ich eine menschliche Gottebenbildlichkeit für eine absurde, groteske und ziemlich überhebliche Wunschvorstellung.

Zumal wir heute, im Vergleich zu früher wissen, dass der Mensch keinesfalls das einzige empfindungsfähige Lebewesen ist. Und dass auch andere Tierarten über höchst erstaunliche, in bestimmten Bereichen sogar noch viel höher entwickelte Fähigkeiten verfügen als der Mensch.

Geschichtlich betrachtet ist die menschliche Entwicklung sogar ein Beleg für die Unzulänglichkeit dieser Spezies. Die Höherentwicklung der menschlichen geistigen Fähigkeiten war nur erforderlich, um die vielen physischen und kognitiven Defizite zu kompensieren.

Anderes Wort für Lüge…

Von „Gottebenbildlichkeit“ zu sprechen zeugt meines Erachtens nicht nur von einem realitätsfernen Standpunkt (um nicht nochmal das Wort „Lüge“ zu verwenden). Sondern, philosophisch betrachtet, auch von einer Missachtung der menschlichen Würde.

Denn Menschen sollten auch dann noch Respekt verdienen, wenn auch die aktuell noch verehrten Götter in der Bedeutungslosigkeit verschwunden sein werden. So wie die vielen tausend anderen Götter vor ihnen.

Wobei auch hier wieder zu differenzieren ist: Menschen haben Respekt verdient. Ideen und Behauptungen nicht unbedingt. Die können mitunter nicht mal toleriert werden, wenn sie die Grenzen der Toleranz überschreiten.

Frau Behnken, wenn eine vermeintliche Gottebenbildlichkeit tatsächlich für Sie ein Kriterium dafür ist, ob Sie jemandem Respekt entgegenbringen oder nicht, wäre es dann nicht höchste Zeit, mal Ihre ethischen Standards selbstkritisch zu überdenken?

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag zum Thema Lüge.

 

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