Die Letzten werden … – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 6 Min.

Die Letzten werden … – Das Wort zum Wort zum Sonntag von Annette Behnken (ev.), veröffentlicht am 6.7.2019 von ARD/daserste.de

In ihrer heutigen Fernsehpredigt erzählt Frau Behnken von einem Senior, der mit 79 Jahren zu seinem letzten Marathon angetreten war. Dieser Lauf hatte für ihn eine besondere Bedeutung. Weil er damit den Tod seiner Frau, die kurz zuvor verstorben war, verarbeitet hatte.

Die Geschichte eignet sich natürlich hervorragend für eine religiöse Verkündigung. Weil sich darin das biblische Wort „Die Letzten werden die Ersten sein“ so schön unterbringen lässt.

Die Letzten werden die Ersten sein, im biblischen Sinn

Aber was ist damit eigentlich konkret gemeint, im biblischen Kontext? Gemeint ist hier freilich nicht eine Änderung der Bewertungskriterien von Marathonläufen.

Die Letzten. Werden die ersten sein. Behauptet die Bibel. (Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Die Letzten werden … – Das Wort zum Wort zum Sonntag von Annette Behnken (ev.), veröffentlicht am 6.7.2019 von ARD/daserste.de)

Wie immer, wenn irgendwo Bibelsprüchlein zitiert werden, lohnt sich auch hier ein Blick auf den umgebenden Text. Und der lautet:

Der Lohn der Nachfolge

  • Da antwortete Petrus und sprach zu ihm: Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt; was wird uns dafür zuteil? Jesus aber sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Ihr, die ihr mir nachgefolgt seid, werdet bei der Wiedergeburt, wenn der Menschensohn sitzen wird auf dem Thron seiner Herrlichkeit, auch sitzen auf zwölf Thronen und richten die zwölf Stämme Israels. Und wer Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Kinder oder Äcker verlässt um meines Namens willen, der wird’s hundertfach empfangen und das ewige Leben ererben. Aber viele, die die Ersten sind, werden die Letzten und die Letzten werden die Ersten sein. (Mt 19, 27-30 LUT)

In der biblischen Mythologie hatten die Anhänger des Protagonisten also Bedenken: Ob es die Nachfolge ihres Anführers denn wirklich wert sei, praktisch alles dafür aufzugeben. Dass Jesus dies forderte, ließen ihn seine anonymen biblischen Storyteller gleich mehrfach klarstellen.

Wenn der Sektenbeauftragte hellhörig wird

Und dabei ging es nicht nur um Hab und Gut. Sondern auch um soziale Bindungen. Und schließlich um das eigene Leben:

  • Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern, dazu auch sein eigenes Leben, der kann nicht mein Jünger sein. (Lk 14,26 LUT)

Eine Sekte, die heutzutage Solches von ihren Anhängern einfordern würde, könnte sich zurecht auf eine besonders kritische Beobachtung gefasst machen. Nicht zuletzt durch diverse Sektenbeauftragte. Ironischerweise beauftragen auch christliche Kirchen Menschen damit, Glaubensgemeinschaften kritisch zu beobachten. Und gegebenenfalls vor ihnen zu warnen. Also solche, die es nicht wie sie selbst geschafft haben, die Verbreitung ihres Aberglaubens staatlich alimentieren und sonderprivilegieren zu lassen.

Fun fact am Rande: Während offenbar alle Letzten die Ersten sein werden, sind es umgekehrt nur viele, die die Ersten sind und die die Letzten sein werden. Offenbar waren die Bibelschreiber schlau genug, hier ein Hintertürchen für jene Ersten offenzuhalten, die einem vielleicht doch nochmal nützlich sein könnten.

Und natürlich konnte sich so auch jeder „Erste“ zu den beliebig vielen „Wenigen“ zählen, die zwischen „Viele“ und „Alle“ noch reingepasst hatten. Ganz schön clever!

Jesus? Welcher Jesus?

Geht man von einer historisch plausiblen Jesusfigur (die als Vorlage für den biblischen Gottessohn gedient haben könnte) aus, so war dieser ein jüdischer Endzeitsektenprediger. Einer, der wie etliche andere zu dieser Zeit auch, mit seinen Ideen in einer abgelegenen Provinz am Rande des Römischen Reiches für Unruhe sorgte.

Das Fehlen außerbiblischer Belege legt den Schluss nahe, dass sein Wirken zumindest zu seinen Lebzeiten offenbar für nicht weiter erwähnenswert gehalten worden war.

Dass die ersten Geschichten samt der angeblich gewirkten Wunder inkl. Auferstehung und Himmelfahrt erst Jahrzehnte nach Beendigung seines irdischen Gastspieles aufgeschrieben wurden, spricht weiterhin dafür, dass es sich hierbei um nichts weiter als Legenden und Mythen handelt.

Für diese These spricht auch, dass sich ausnahmslos alle angeblichen „übernatürlichen“ Ereignisse rund um Jesus teils wortwörtlich auch schon in den Mythen über frühere Gottessöhne finden. Ganz abgesehen natürlich davon, dass die Vorstellung, vor rund 2000 Jahren hätte mal ein einzelner Mensch die Naturgesetze außer Kraft setzen können, höchst unplausibel erscheint.

Wieso ausgerechnet die Letzten?

Aber zurück zu den Letzten und Ersten. Die 12 Follower sind also unsicher, ob sich die Aufgabe ihres bisherigen Lebens denn auch wirklich lohnen würde. Also nicht nur für Jesus. Sondern für sie.

Denn dass seine (sollte es ihn gegeben haben) Zielgruppe aus Unterprivilegierten, gesellschaftlich Geächteten und allgemein armen Menschen bestanden haben muss, liegt auf der Hand: Bei streng gläubigen Juden hätte er als Gottessohn gar nicht erst anklopfen müssen. Und auch die Römer hatten sicher keinen Bedarf an Heilsversprechen des Anführers einer jüdischen Weltuntergangssekte.

Blieben also nur noch diejenigen übrig, die sich weder vollständig der jüdischen Lehre, noch der römischen Götterwelt verpflichtet sahen. Und das waren – die Letzten. Die, die sowieso nichts zu gewinnen hofften. Und die auch nichts zu verlieren hatten.

Irdischen Reichtum und Anerkennung zu Lebzeiten konnte Jesus seinen Anhängern freilich nicht in Aussicht stellen. Denn: Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Aber zu einer Zeit, in der die Vorstellung eines Jenseits noch genauso fest im menschlichen Weltbild verankert war wie magisches Denken und Wunderglaube bot es sich ja geradezu an, die vermeintliche Belohnung einfach in eben dieses Jenseits zu verlegen.

Ein Trick, der erstaunlicherweise bis heute funktioniert. Man mag es kaum glauben.

Da dieses Jenseits bis zum Beweis des Gegenteils nur in der menschlichen Phantasie existiert, konnte (und kann) man Gläubigen alles Beliebige darüber erzählen. Zudem man sich ja sicher sein konnte, dass niemals irgendwer zurückkommen und den Bluff würde aufdecken können. Hätte sich Ellis Kaut ihren Pumuckl® damals als „…den Kobold mit dem grünen Haar“ ausgedacht – wer hätte je beweisen können, dass der Kobold in Wirklichkeit rothaarig ist?

Die Fiktion von der ausgleichenden Gerechtigkeit

Und so konnte Jesus seinen Anhängern auch wie im vorliegenden Fall erzählen, dass es dereinst so etwas wie eine ausgleichende Gerechtigkeit geben würde.

Denn genau das ist dem biblischen Spruch „die Letzten werden die Ersten sein“ gemeint: Alle, die irdisches, echtes Leid (in welcher Form auch immer) erleiden müssen, werden dafür dereinst belohnt werden.

Und diejenigen, die es zu Lebzeiten zu Wohlstand, Ruhm und Anerkennung gebracht hatten, werden dafür bestraft werden. Da heißt es dann: Hinten anstellen, wie alle anderen auch.

Bei Licht betrachtet halte ich diese Annahme gleich in mehrfacher Hinsicht für höchst fragwürdig: Da ist einmal, wie gerade schon beschrieben, dieses Jenseits. Das einen Abgleich mit der Wirklichkeit genausowenig übersteht wie die Annahme der Existenz des biblischen Gottes mit den dort behaupteten Eigenschaften.

Die Letzten und die Ersten: Fragwürdige Moral

Lässt man diesen Umstand außer Acht und betrachtet nur die moralische Aussage, wird es nicht besser:

Wieso sollte jemand, der es mit ehrlicher Arbeit, lauteren Mitteln (oder auch einfach nur Glück oder einem frohen Gemüt) zeitlebens zu Wohlstand und Anerkennung geschafft hatte, dafür dereinst bestraft werden?

Und umgekehrt: Ist die in Aussicht gestellte jenseitige Belohnung für das klaglose Erdulden von Leid, zum Beispiel in Form von Armut, ungerechter Behandlung oder sozialer Ausgrenzung nicht geradezu eine Aufforderung, sich, quasi  voller Gottvertrauen mit seiner misslichen Lage abzufinden?

Anstatt etwas zu unternehmen, um die eigene Situation zu verbessern? Es wenigstens zu versuchen? Nach der Logik von „Die Letzten werden die Ersten sein“ gibt es dafür keinen Grund. Am Ende schafft man es noch vom sprichwörtlichen Tellerwäscher zum Millionär. Und fällt damit von der himmlischen Pole Position zurück. Ans Ende der Warteschlange.

Wie viel Leid Menschen wohl schon widerstandslos hingenommen haben, weil sie auf dieses fiktive Versprechen, die Letzten werden die Ersten sein vertrauten? Echtes, irdisches Leid? Leid, das in verschiedenen christlichen Ausprägungen gar als fromme Tugend gilt?

Ebenfalls zupass kommt diese Bibelstelle denjenigen, die andere Menschen ausbeuten oder unterdrücken. Denn die können ihr Gewissen ja mit der Vorstellung beruhigen, dass die Menschen, die sie wie das „Letzte“ behandeln, dereinst die Ersten sein werden.

Geht es nach der biblischen Mythologie, ist der einzige Maßstab Gottes sowieso ein anderer. Nämlich die Frage, ob jemand zu Lebzeiten bereit war, sich ihm möglichst vollständig zu unterwerfen. Mit Gerechtigkeit im heute gebräuchlichen Sinne hat das nichts zu tun.

Und die Moral von der Geschicht’…?

Die Letzten und die ErstenDer Zusammenhang zwischen dieser biblischen Metapher und der Ankedote vom Marathonläufer erschließt sich mir trotz mehrmaligen Durchlesens nicht wirklich. Klar, auch beim Marathon gibt es die Ersten und die Letzten. Und es kann gut möglich sein, dass das Durchhalten des „Letzten“ diesem mehr bedeutet als dem „Ersten“ sein Sieg.

Aber was hat das mit dem biblischen Versprechen einer ausgleichenden göttlichen Gerechtigkeit zu tun?

Ob Frau Behnken davon ausgeht, dass ihr Gott dereinst dann mal nachschauen wird? Wer damals eigentlich diesen Marathon gewonnen hatte? Und dann den Sieger, der sich seinen ersten Platz ja hoffentlich ohne Doping oder sonstige Tricks ehrlich erlaufen hatte, vor der Pforte zur himmlischen Herrlichkeit abfängt? Und ihn erstmal schön ans Ende der Schlange schickt?

Um gleich danach den Letzten nach vorne zu holen? Den, der sich nochmal die Teilnahme am Marathon zugemutet hatte, um etwas gegen sein schlechtes Gewissen zu tun? Weil er seine Frau nicht, wie von ihr gewünscht, heimgeholt, sondern allein hatte sterben lassen? Wohl kaum.

Oder hat die biblische Aussage gar nichts mit der Story zu tun? Bis auf die Tatsache, dass es „die Ersten und Letzten“ eben nicht nur in der Bibel, sondern auch bei einem sportlichen Wettkampf gibt?

Mir erschließt sich nicht, was hier die „Moral von der Geschicht'“ sein soll. Oder genauer: Der Zusammenhang zwischen der Bibelstelle und der Geschichte. Vielleicht hat ja eine/r meiner geneigten Leser*innen eine Idee?

Achso, und: Kein gesegneter Sonntag heute…!? Na dann: Ein schönes Restwochenende allerseits!

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2 Gedanken zu „Die Letzten werden … – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Mit viel gutem Willen könnte eventuell davon ausgegangen sein, dass die vom „Besenwagen“ aufgelesen als erstes im Ziel sein werden, da sie ja mit dem Auto fahren und somit den Rest überholen.

    Beste Grüße und einen angenehmen Sonntag,
    C. Waack

    Antworten
    • Interessante Überlegung. Allerdings sind zu diesem Zeitpunkt die Ersten ja schon längst im Ziel angekommen und diejenigen, die der Besenwagen zum Ziel fährt bleiben ja trotzdem die „Letzten.“ Die Motivation des Marathonläufers in der Geschichte war ja sein schlechtes Gewissen, weswegen er nochmal die Strapazen auf sich genommen hatte. Somit hatte er mit dieser Aktion etwas für sich selbst getan (weder seine verstorbene Frau, noch sonstwer hatte irgendetwas von seiner Teilnahme). Inwiefern stellt dies dann einen Grund dar, ihn vom Verlierer zum Gewinner, vom Letzten zum Ersten zu machen? Und der Besenwagen hatte ihn ja nicht zur Belohnung für irgendetwas eingesammelt, sondern nur deshalb, weil der Marathon vorüber und er noch nicht am Ziel angekommen war.

      Könnte es vielleicht eine Metapher dafür sein, dass alle irdischen Maßstäbe irrelevant sind, wenn der liebe Gott (der ja zunächst jemanden „Letzten“ hatte sein lassen) dereinst mit dem göttlichen Besenwagen angefahren kommt? Weil es ihm, wie im Artikel schon angedeutet, eben nur darauf ankommt, ob sich ihm jemand zu Lebzeiten unterworfen hatte oder nicht? Dann verstehe ich die Analogie zur Marathongeschichte aber trotzdem noch nicht…

      Antworten

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