„Wie Leben gelingt“ – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 6 Min.

„Wie Leben gelingt“ – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Pfarrer Wolfgang Beck, Hildesheim, veröffentlicht am 4.1.2020 von ARD/daserste.de

Darum geht es

In seiner heutigen Fernsehpredigt empfiehlt Fernsehpfarrer Beck seinem Publikum, nicht egoistisch zu sein, weil dann ihr Leben gelingen würde. Als Vorbild nennt er den Gottessohn, dessen biblische Legenden er sich bedarfsgerecht zurechtbiegt.

Seine einleitende Fragestellung, was denn ein Leben zu einem „gelingenden Leben“ machen würde, beantwortet Herr Beck selbst: Nur, wem auch das Wohlergehen seiner Mitmenschen ein Anliegen sei, könne darauf hoffen, dass auch sein eigenes Leben als „gelungen“ gelten könne.

Bezugnehmend auf die Erfahrungen einer Ordensfrau mit einem indigenen Volk in Peru erzählt Beck:

Sie [die Angehörigen eines Stammes in Peru, Anm. v. mir] haben klar: ich kann gar nicht glücklich sein, wenn das auf Kosten eines anderen Menschen geht. Ich kann gar nicht glücklich sein, wenn es auf Kosten der Umwelt und damit der nächsten Generationen geht. Hier gilt ein Leben als gelungen, wenn die Anderen auch mit im Blick sind. Das Glück der Einzelnen wäre Unsinn, gar Selbstbetrug.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Pfarrer Wolfgang Beck, Hildesheim, veröffentlicht am 4.1.2020 von ARD/daserste.de)

Offenbar haben diese Leute Selbstbetrug besser klar als die Religionsverkündiger, deren ganze (zumindest berufliche) Existenz ja auf Selbstbetrug basiert. Denn jeder halbwegs glückliche Gläubige ist ja das beste Beispiel dafür, dass man sich auch mit dem Fürwahrhalten von unbewiesenen, absurden Behauptungen (=Unsinn) und Selbstbetrug durchaus auch glücklich fühlen kann.

Genauso gibt es sicher auch nicht wenige Egoisten, die von sich behaupten, ihr Leben sei sogar perfekt gelungen.

„Gelungen“ kann alles Mögliche bedeuten

Gelingendes Leben„Gelungen“ ist demnach kein brauchbares Kriterium, um das Leben bzw. Verhalten eines Menschen aus ethischer Sicht zu beurteilen. Die Frage, wie es der Weltbevölkerung gelingen könnte, wirklich fair miteinander umzugehen (und darum scheint es Herrn Beck ja zu gehen), lässt sich nicht in ein paar kurzen Sätzen beantworten.

Bei allem noch (bzw. wieder) vorhandenem Egoismus und bei aller wirtschaftlichen und politischen Ungerechtigkeit weltweit sollte man nicht vergessen, dass sich in vielen Bereichen Dinge gerade in den letzten Jahrzehnten auch zum Positiven verändert haben. Etwa was die Abnahme von extremer Armut weltweit angeht. Oder auch den Zugang zu sauberem Wasser, medizinischer Versorgung und Bildung.

Interessanterweise korrelieren dabei viele Parameter mit einem zurückgehenden Einfluss von Religion: Je geringer der religiöse Einfluss in einem Land ist, desto höher liegen (mit wenigen Ausnahmen) Werte wie Wohlstand, Zufriedenheit, Gesundheit, Bildung und Berufschancen. Heute sterben mehr Menschen an den Folgen von Über- als von Unterernährung.

Wie in religiösen Verkündigungen üblich klammert Herr Beck auch diesmal das Konzept des Eigennutzes (als ethisch okaye Alternative zum Egoismus) komplett aus.

Mir soll es an dieser Stelle aber nicht um eine Ethikdiskussion gehen. Sondern um die Frage, was denn eine monotheistische Religion wie das Christentum meint, dazu beitragen zu können. Denn mit diesem Anspruch tritt Herr Beck ja auf, wenn er nun Jesus als Vorbild für das Verhalten der Menschen im 21. Jahrhundert ins Spiel bringt.

Hart an der Grenze…

Und diese Vereinnahmung scheint alles andere als einfach zu sein. Das lassen die Ausführungen mit Schwurbelfaktor 10+ jedenfalls vermuten:

[,,,] Diese Anderen immer wieder mit in den Blick zu nehmen, findet sich auch in der Art, wie Jesus Menschen begegnet. In biblischen Texten begegnet er Menschen, die krank sind oder als Sünder gelten. Aber in diesen Begegnungen beschreibt die Bibel nicht nur, dass Jesus diesen Menschen vergibt oder dass sie von einer Krankheit geheilt werden. Immer wieder kommt es dann auch zu dem Hinweis, dass mit der Begegnung die Ausgrenzung überwunden wird. Menschen werden davon geheilt, Grenzen zu ziehen.

Das heißt auch, dass hier alle mit betroffen sind, alle werden geheilt. Sie werden geheilt davon, Grenzen zu ziehen. Sie werden davon geheilt, nur auf die eigenen Bedürfnisse zu schauen. Sie werden von einer zu kleinen Perspektive auf das eigene Glück befreit. Bei Jesus werden nicht nur die Kranken geheilt, sondern auch alle drumherum. Es wird eine Gesellschaft geheilt, die vor allem auf Ausgrenzungen aufbaut und in der Menschen nur das eigene Gelingen sehen können.

Was für ein Unsinn.

Bei allem Verständnis fürs freie Interpretieren biblischer Mythologie und das theologisch-rhetorische Pirouetten-Drehen: Was ist das denn für ein Unsinn!?

  • Natürlich musste Jesus die Kranken und Sünder in den Blick nehmen. Wer sonst hätte sich denn für seine Wunderheilungen und seine Weltuntergangsprophezeiung interessiert? Richtig: Niemand.
  • Die Darstellung, Jesus habe Menschen davon geheilt, Grenzen zu ziehen, halte ich geradezu für schizophren. Schließlich war er es, der laut biblischer Mythologie unmissverständlich klar stellte, dass die unbedingte und exklusive Unterwerfung unter seinen Gott die einzige Möglichkeit auf eine Vermeidung dessen sei, was eben dieser Gott Menschen androhte, die dazu nicht bereit waren. Die dem biblisch-christlichen Belohnungs-Bestrafungskonzept zugrunde liegende Abgrenzung findet sich zusammengefasst in Mk 16,16.
  • Jesus befreite sein Publikum eben nicht von einer „zu kleinen Perspektive auf das eigene Glück“. Im Gegenteil: Seine ganze Mission bestand doch darin, Menschen zu erklären, wie sie sich verhalten sollten, um für sich selbst die besten Chancen auf eine göttliche Belohnung bzw. Vermeidung göttlicher Strafe zu erreichen.
  • Die biblischen Legenden beschreiben Jesus als Partikularist par excellence. Und nicht etwa als Föderalist.

Monotheistische Religionen eignen sich ideal zur Ab- und Ausgrenzung

Gerade die monotheistischen Buchreligionen sind quasi wie dazu gemacht, ein (ursprünglich kleines) Volk durch die eigene Überhöhung („Wir, die Guten, die von Gott Auserwählten, die dereinst erlöst werden“) und durch Erniedrigung aller anderen („Die Anderen, die Bösen, die von Gott wegen ihres Un- und Andersglauben Verdammten“) von eben diesen „Anderen“ abzugrenzen.

Kaum eine Ideologie dürfte besser zur Aus- und Abgrenzung geeignet sein als eine monotheistische Religion.

Das zeigt sich nicht nur in der 10bändigen „Kriminalgeschichte des Christentums„. Sondern zum Beispiel auch an dem Aufschwung, den das Christentum heutzutage im Schulterschluss mit Nationalisten und Populisten aller Art feiert.

Doch auch in der Gegenwart lassen sich die Beispiele quasi beliebig vermehren:

Während Herr Beck seinen Jesus als Held der Grenzüberwindung feiert, flehen ihn zum Beispiel tausende polnische Katholiken an, er (also Jesus, bzw. dessen auch Mutter) möge doch bitte die polnische Landesgrenze gegen Un- und Andersgläubige absichern.

Grenzen im Namen Gottes

Eine weitere Grenze, für deren Existenz gar nur unterschiedliche Auffassungen über die biblisch-christliche Lehre grundlegend mitverantwortlich sind, ist die nach wie vor bestehende Grenze zwischen Katholiken und Protestanten im Nordirlandkonflikt. Eine Grenze, an der bisher rund 3500 Menschen starben. Zuletzt, und obwohl der Konflikt zumindest außerhalb Nordirlands schon fast in Vergessenheit geraten war, 2019 (!) die Journalistin Lyra McKee.

Amerikas President und diverse (hauptsächlich südamerikanische) Demagogen, Nationalisten und Populisten behaupten von sich, von Gott u. a.  zur Abgrenzung ihres Volkes gegenüber Anderen eingesetzt worden zu sein.

Und als wäre das nicht schon schlimm genug: Das Ganze funktioniert auch noch (bzw. wieder). Die Schafe fallen in Scharen darauf herein. Und lassen sich bis heute von einer fiktiven göttlichen Legitimierung beeindrucken. Von den Führern, die genau den Egoismus an den Tag legen, den Herr Beck gerade kritisiert hat.

Anhand welcher Kriterien wird der liebe Gott wohl entscheiden, ob er die Gebete für Trump erhört, oder ob er doch lieber dem Segenswunsch von Herrn Beck nachkommt, weil ihm sein Sohn in der von Pfarrer Beck behaupteten Rolle besser gefällt?

Ethische Bedenken verblassen schnell, wenn Menschen die Hoffnung haben, vom Egoismus ihrer Anführer selbst profitieren zu können. Und wenn die dann auch noch in göttlichem Auftrag handeln, dann muss es ja gut sein…

Jesus, der alte Hippie

Der Versuch, Jesus zu einem Protagonisten für moderne Werte wie zum Beispiel Demokratie oder, wie in diesem Falle für Gerechtigkeit und Fairness umzubiegen, treibt mitunter sonderbare Blüten.

Dabei handelt es sich nicht um ein neues Phänomen. Schon 1979 hatte sich der Liedermacher Robert Long in seinem Lied „Jesus führt“ über solche Anwandlungen lustig gemacht:

  • Die teuren Kirchen stehen leer,
    die Jugend leider kommt nicht mehr,
    die Pfarrer sorgen sich um ihre Rente,
    und wie man auch die Jungen kriegen könnte.
    Drum geben sie sich progressiv
    und statt aus dem Korintherbrief
    da predigen sie —sonderbar—
    das Jesus auch ein Hippie war.
    (Robert Long: Jesus führt, Zit. n. berndschwerdt.de)

Schon allein aufgrund der beliebig und damit auch völlig widersprüchlichen Auslegbarkeit der biblisch-christlichen Mythologie scheidet das Christentum (wie jede andere Religion auch) als Moralquelle für ethsiche Standards im 21. Jahrhundert aus. Weil diese Lehre nicht mal die Mindestanforderungen erfüllt, um als Moralquelle wenigstens theoretisch in Frage zu kommen.

„Sehen“ reicht nicht und „Segnen“ nützt nichts

Diese Anderen auch zu sehen, kann schwer erträglich sein. Dann sehe ich nämlich Menschen, die für Hungerlohn mein T-Shirt nähen. Dann sehe ich Menschen, die als afrikanische Landarbeiter in Italien meine Orangen ernten. Dann sehe ich Menschen, die auf den Containerschiffen arbeiten oder mit dem LKW meine Waren anliefern.

Ein gelingendes Leben und ein gelingendes Jahr müsste damit anfangen, wenigstens ein paar dieser „Anderen“ zu sehen.

Wenn mir das Schicksal dieser „Anderen“ tatsächlich ein Anliegen ist, dann genügt es nicht, diese nur zu sehen. Das kann bestenfalls der erste Schritt sein.

Dass Menschen es problemlos schaffen, das Leid anderer Menschen sehenden Auges geflissentlich zu „übersehen“, lässt sich täglich beobachten.

Aber auch Herrn Beck scheint durchaus bewusst zu sein, dass er sich schnell unbeliebt machen würde, wenn er bezüglich des Umganges mit (selbst unterstützter bzw. direkt oder indirekt verursachter) Ungerechtigkeit mehr als „Sehen“ von seinem Publikum fordern würde. Als Vertreter eines Multimilliardenkonzerns, der sich gerne wie eine selbstlose Hilfsorganisation darstellt, kann man sich mit solchen Appellen schnell ein Eigentor schießen. Wo es doch um das Vertrauen in die Kirche sowieso schon (aus kirchlicher Sicht) so schlecht wie nie bestellt ist…

Wer sich an einer Diskussion um ethische Fragen beteiligen und dabei auch ernst genommen werden möchte täte gut daran, sich zumindest diesbezüglich von magisch-esoterischer Mythologie und absurdem Götterglauben zu verabschieden. Und sich den leider ganz realen Herausforderungen, vor denen die Weltbevölkerung steht mit tatsächlich wirksamen Mitteln zu stellen. Anstatt „gesegnete Sonntage“ zu wünschen, was ja die tatsächliche Existenz eines fiktiven magischen Himmelswesens voraussetzen würde.

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