„Nur Mut!“ – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Gereon Alter, Essen, veröffentlicht am 13.3.2021 von ARD/dasterste.de
Darum geht es
Pfarrer Alter fordert Mut und Kreativität beim Umgang mit Krisen. Auch diesmal erscheint der religiöse Bezug nicht nur entbehrlich, sondern widersprüchlich, weil die Hoffnung Mensch lautet und nicht Gott.
Eigentor in der ersten Spielminute
Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie „betriebsblind“ Berufschristen mitunter zu sein scheinen, wenn sie nicht bemerken, dass ihre Politik- oder Gesellschaftskritik auch sie betrifft:
„Wir haben es! Wir haben es fast geschafft! Es fehlt nur noch ein winziger Schritt! Dann haben wir es!“ – Klingt ungewohnt, nicht wahr? Wir haben eher anderes im Ohr: „Ja, aber … Sooo einfach geht das nicht! Da müssen wir doch erst einmal …, denn sonst könnte ja … wenn wir das nicht absichern … und überhaupt: so haben wir das noch nie gemacht!“ Ich bin diesen Bürokratismus so unendlich leid. Dieses von Angst getriebene Zögern und Zaudern. Dieses Verkomplizieren von Dingen, die sich auch viel einfacher handhaben ließen. Manchmal fehlt wirklich nur noch ein winziger Schritt, aber er wird nicht getan, weil es an Mut oder Verantwortungsbereitschaft fehlt.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: „Nur Mut!“ – Wort zum Sonntag, verkündigt von Gereon Alter, Essen, veröffentlicht am 13.3.2021 von ARD/dasterste.de)
Herr Alter, ist Ihnen aufgefallen, dass Ihre hier geäußerten Ansichten exakt auch auf die Religion passen, die Sie vertreten und verbreiten? Wenn auch nicht primär auf bürokratischer, dann aber doch sehr wohl auf menschlicher Ebene.
Von Angst getriebenes Zögern und Zaudern findet sich als fundamentaler religiöser Bestandteil genauso wie das Verkomplizieren von Dingen, die sich auch viel einfacher handhaben ließen. Indem man den eigentlich tatsächlich nur winzigen Schritt von einer magisch-esoterisch-theozentrischen zu einer rationalen und humanistischen Weltanschauung wagt. Von der Hoffnung Gott zur Hoffnung Mensch.
Wir Deutschen…
Nur: wer aus der Sorge, womöglich zu schei-tern, erst gar nicht handelt, der ist schon gescheitert. Egal auf welche Krise ich schaue – die Corona-Pandemie, den Missbrauchsskandal oder die vielen anderen Herausforderungen, mit denen wir es derzeit zu tun haben: ich habe fast immer den Eindruck, wir Deutschen stellen uns gerne selbst ein Bein.
Herr Alter, was versprechen Sie sich von solchen Pauschalisierungen („Egal, auf welche Krise…“, „wir Deutschen…“)? Wäre nicht gerade bei einer Thematik wie dem Umgang mit Krisen ein differenzierter Blick sinnvoller als solche Verallgemeinerungen und eine negativ-emotionale Aufladung? Wo Sie doch eigentlich zu mehr Mut aufrufen möchten?
Was zum Beispiel den Missbrauchskandal der katholischen Kirche angeht: Hier sind von „uns Deutschen“ die verantwortlich, die die Verbrechen begangen, nicht verhindert, sondern ermöglicht, begünstigt und systematisch vertuscht haben, um ihren Milliardenkonzern vor möglichem Schaden zu bewahren. Und indirekt alle, die die katholische Kirche durch ihre Mitgliedschaft unterstützen und so am Leben erhalten. „Naja, so sind wir Deutschen halt…“?
Anstatt auf das zu schauen, was möglich ist und kreativ damit umzugehen, wie es in vielen anderen Län-dern gemacht wird, suhlen wir uns förmlich in unseren Ängsten, Sorgen und Bedenken.
Auch diese Verallgemeinerung halte ich für fragwürdig. Denn längst nicht alle Deutschen suhlen sich förmlich in Ängsten, Sorgen und Bedenken. Und auch anderswo leiden Menschen unter ihren Ängsten, Sorgen und Bedenken.
Deshalb sei einmal mehr auf die Vorteile einer möglichst wirklichkeitskompatiblen, rational-kritischen Weltanschauung hingewiesen. Eine Verallgemeinerung, verbunden mit einer emotionalen Aufladung („suhlen wir uns förmlich…“) ist das Gegenteil eines sachlichen Umganges mit den Ursachen von Ängsten und deren Auswirkungen.
Verstockung made by Gott
Die Bibel findet drastische Worte dafür. Sie spricht von „Verstockung“, „Erstarrung“, „Taub-heit“ … Und sie wird nicht müde, zur Umkehr zu rufen.
Sie, Herr Alter, werden nicht müde, sich Ihre Bibelstellen zweckmäßig aus dem Kontext heraus zusammenzupicken. Und offenbar darauf zu vertrauen, dass sich sowieso niemand mehr die Mühe machen wird, mal nachzuschauen, was da jeweils noch so zu finden ist in der biblischen Mythen- und Legendensammlung.
Tatsächlich wird die Bibel nicht müde, darauf hinzweisen, dass „Verstockung“ eine der Methoden ist, mit denen der Gott aus der biblischen Mythologie Menschen bestraft:
- So erbarmt er [Gott, Anm. v. mir] sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will.
(Röm 9,18 LUT)
Bekanntestes Beispiel für eine solche göttlich veranlasste Verstockung ist die Geschichte, in der Gott das Herz des ägyptischen Pharaos verstockt. Um so genug Zeit zu gewinnen, um das Volk der Ägypter erst in Ruhe mit seinen zahlreichen Plagen bestrafen und quälen zu können.
Der Pharao hatte also gar keine Chance, „umzukehren“, solange der liebe Gott sein Herz verstockt hatte.
Ergriffen… wovon?
Zu einer Umkehr unseres Blickes erst einmal – auf die Möglichkeiten, die vor uns liegen. „Nicht, dass ich es schon erreicht hätte oder vollkommen wäre“, sagt der Apostel Paulus zum Beispiel, „aber ich strebe danach, es zu ergreifen, weil auch ich ergriffen worden bin!“ (Phil 3,12).
Im selben Abschnitt erfahren wir auch, dass es Paulus hier eben nicht um kreative und vor allem tatsächlich effektive Lösungsansätze für irdische Probleme geht.
Über diejenigen, die er als „Feinde des Kreuzes Christi“ bezeichnet sagt er:
- Ihr Ende ist die Verdammnis, ihr Gott ist der Bauch und ihre Ehre ist in ihrer Schande; sie sind irdisch gesinnt. Wir aber sind Bürger im Himmel; woher wir auch erwarten den Heiland, den Herrn Jesus Christus, der unsern geringen Leib verwandeln wird, dass er gleich werde seinem verherrlichten Leibe nach der Kraft, mit der er sich alle Dinge untertan machen kann.
(Philipper 3,19-21 LUT)
Worum es ihm eigentlich geht, beschreibt der biblische Paulus so (Hervorhebung von mir):
- Meine Brüder und Schwestern, ich schätze mich selbst nicht so ein, dass ich’s ergriffen habe. Eins aber sage ich: Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich aus nach dem, was da vorne ist, und jage nach dem vorgesteckten Ziel, dem Siegespreis der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus.
(Philipper 3,13-14 LUT)
Bisher kann wohl keine Religion für sich beanspruchen, dass sie die Welt nachhaltig besser, fairer oder friedlicher gemacht hätte, indem sie Menschen dazu gebracht hat, sich von ihren Göttern zu irgendetwas berufen gefühlt zu haben.
Begeisterung statt Sorgen und Bedenken
Da ist sie wieder: diese Begeisterung, dieses Nachvorne-Schauen, dieses Ergreifen von Möglichkeiten, das mir manchmal so fehlt. Damit kommt man auf die Idee, Impfungen bei IKEA anzubieten – wie in Israel – oder Schnelltests in Discountern und Drogerien wie jetzt bei uns. Und damit würden wir auch die anderen Krisen viel besser in den Griff bekommen als mit all den Sorgen und Bedenken.
Hilft nicht gerade eine sachliche, wissens- und vernunftbasierte Analyse der Erfolge, die mit verschiedenen Maßnahmen etwa zur Eindämmung der Pandemie erzielt werden konnten, um die eigene Strategie festzulegen und entsprechend weiterzuentwickeln?
Die Wirksamkeit von Problemlösungsansätzen lässt sich immer erst rückblickend beurteilen. Deshalb halte ich die Idee, zu vergessen, was dahinten ist nicht für eine wirklich gute. Wenn es nicht gerade, wie bei Paulus, um die Einbildung einer fiktiven göttlichen Berufung, sondern um die irdische, natürliche Wirklichkeit geht.
Herr Alter, mit den überall und für alle verfügbaren Schnelltests liefern Sie ja ein Beispiel, das Ihrer eingangs genannten These widerspricht. Es gibt also offenbar sehr wohl auch hierzulande, bei uns Deutschen kreative und möglicherweise auch unkonventiell erscheinende Lösungsansätze. Sorgen und Bedenken müssen nicht zwangsläufig lähmend sein. Sie können auch als Motivation zur Problemlösung dienen.
Als andere Krise hatten Sie weiter oben den Missbrauchsskandal angesprochen. Mangelt es hier an Begeisterung, Nachvorne-Schauen, am Ergreifen von Möglichkeiten?
Ich meine: Nein. Es mangelt an ordentlicher, konsequenter Trennung von Staat und Kirche. Und an einer Abschaffung der Sonderbehandlung von Glaubensgemeinschaften, was die Kirche mit einem beispiellosen Lobbyapparat bis heute erschreckend erfolgreich mit allen Mitteln zu verhindern versucht.
Die klerikalen Vertuscher und Verheimlicher legen bewiesenermaßen eine erstaunliche Kreativität an den Tag, wenn es darum geht, eine Aufklärung und konsequente Strafverfolgung zu verhindern. Auch sie würden am liebsten nicht mehr zurückschauen auf die tausende Verbrechen, die sie (mit-)zuverantworten haben. Oder wollten Sie vielleicht gerade das zum Ausdruck bringen?
Paulus: Fanatischer religiöser Fundamentalist
Was den Apostel Paulus antreibt, ist nicht ein blinder Eifer oder eine flüchtige Euphorie. Er hat sich von Jesus ergreifen lassen. Einem Menschen, der einen sehr klaren Blick auf die Wirklichkeit hatte, der Probleme und Nöte gesehen hat, Mitleid empfinden konnte … aber nicht dabei stehen geblieben ist, sondern das feste Vertrauen hatte, dass es besser wer-den kann, dass es Heilung gibt, ja, dass wir in Richtung einer anderen Welt unterwegs sind.
Der biblischen Beschreibung zufolge war Paulus ein fanatischer religiöser Fundamentalist. Seine in der Bibel beschriebenen Vorstellungen legen die Vermutung nahe, dass bei ihm auch psychisch einiges arg im Argen gelegen haben dürfte.
Jemandem, der in Richtung eines fiktiven Jenseits unterwegs ist und der sein ganzes Leben am vermeintlichen Willen eines magischen Himmelwesens ausrichtet, kann man kaum einen sehr klaren Blick auf die Wirklichkeit attestieren.
Hier sei auch angemerkt, dass für diesen Paulus alles Natürliche, Irdische und vor allem alles Menschliche „Probleme und Nöte“ darstellten. Mitleid hatte er mit allen Menschen, die nicht wie er bereit waren, sich selbst möglichst vollständig aufzugeben, um seinem Gott damit seine Unterwürfigkeit zur Schau zu stellen.
Dinge sehen, die es zwar noch nicht gibt, die aber doch möglich sind…
Ich glaube, das ist der entscheidende Unterschied. Wer nur auf das schaut, was schwierig ist oder nicht geht, der wird nicht viel verändern können. Wem es dagegen gelingt, über das Hier und Jetzt hinaus zu schauen und Dinge zu sehen, die es zwar noch nicht gibt, die aber doch möglich sind… der wird handlungsfähig und dem wird es tatsächlich gelingen, Vieles zum Besseren zu wenden.
Wenn ein Berufschrist davon spricht, man solle versuchen „über das Hier und Jetzt hinaus zu schauen und Dinge zu sehen, die es zwar noch nicht gibt, die aber doch möglich sind…“, dann liegt der Verdacht nahe, dass damit auch dem biblisch-christlichen Glaubenskonstrukt wenigstens ein bisschen Relevanz verliehen werden soll.
Sollte dies die Intention gewesen sein, dann haben wir es einmal mehr mit dem Scheinargument des Lückenbüßer-Gottes zu tun: Solange wir es (noch) nicht wissen, könnte es ja auch unser Gott gewesen sein.
Laetare – Freut euch! …aber worauf eigentlich genau?
In der katholischen Kirche gibt es sogar einen entsprechenden Tag dazu: Den morgigen Sonntag. Der trägt den schönen Namen „Laetare“ – „Freut euch!“ Freut euch auf das, was vor euch liegt! Vertraut darauf, dass noch etwas kommt und dass es besser wird als das, was ihr bisher kennt.
Vor lauter Freude auf irgendetwas blenden Christen gerne aus, was im Anschluss an die Bibelstelle, auf die sich Laetare (Jes 66,10-11) bezieht noch zu lesen ist:
- Denn siehe, der HERR kommt im Feuer heran, wie der Sturm sind seine Wagen, um in Glut seinen Zorn auszulassen und sein Drohen in feurigen Flammen. Denn mit Feuer und seinem Schwert geht der HERR ins Gericht mit allem Fleisch und die vom HERRN Durchbohrten werden zahlreich sein. Die sich heiligen und reinigen bei den Gärten hinter dem einen, der in der Mitte steht, die Schweinefleisch, Abscheuliches und Mäuse essen, alle zusammen nehmen sie ein Ende – Spruch des HERRN.
(Jesaja 66,15-17 EU) - Und sie werden hinausgehen und die Leichen der Männer sehen, die mir abtrünnig geworden sind. Denn ihr Wurm stirbt nicht und ihr Feuer erlischt nicht und sie werden ein Abscheu sein für alles Fleisch.
(Jesaja 66,24 EU)
Damit sich in der Bibel irgendetwas zum Besseren wendet, ist stets göttliches Eingreifen erforderlich. Denn jede Verbesserung dient hier als Beweis des allgnädigen Gottes. Und als Beweis der menschlichen Unfähigkeit, von sich aus auf einen grünen Zweig kommen zu können.
Maßstab für menschliches Verhalten ist die Gottgefälligkeit: Das göttliche Wohlwollen seinen Anhängern gegenüber geht stets einher mit der gnadenlosen Bestrafung und Vernichtung aller, die sich keinen oder anderen Göttern unterwerfen.
Zur einfacheren Führung eines vergleichsweise primitiven Wüstenstammes mögen solche Narrative bestens funktioniert haben. Aber zur Lösung der Probleme, vor denen die globale Weltbevölkerung im 21. Jahrhundert steht…?
Sonderbarer Sonntagmorgen: Nur Mut!
Egal, ob Sie diesen sonderbaren Sonntagmorgen begehen, ob Sie Christ sind oder nicht: ich wünsche Ihnen wie auch mir selbst, dass wir wieder mehr Mut und Kreativität entwickeln und dass es uns gelingt, die Möglichkeiten, die sich uns bieten, auch mit Freude und Tat-kraft zu ergreifen.
Herr Alter, wenn es für Ihren Appell sowieso egal ist, ob jemand Christ ist oder nicht, hätten Sie sich dann das ganze religiöse Beiwerk nicht einfach sparen können? Wo es bei diesem doch sowieso nur um eine bestenfalls hoffnungsvoll erscheinende Illusion handelt? Während Sie doch selbst gute Gründe nennen, die für die Hoffnung Mensch sprechen. Und nicht für eine Hoffnung auf einen Gott, der sich, sollte es ihn geben, exakt so verhält, als gäbe es ihn nicht?
Gute Gründe, um Mut fassen zu können, findet die Menschheit bei sich selbst. Ein Vertrauen oder eine Hoffnung auf einen eifersüchtigen Rachegott, der Menschen danach beurteilt, ob sie sich ihm unterwerfen oder nicht, braucht es dazu nicht.
Statt das Denken mit religiöser Mythologie unnötig zu verkomplizieren und statt sich von einem absurden und unmenschlichen Belohnungs-Bestrafungskonzept in die Irre zu führen und einschüchtern zu lassen, helfen zur effektiven Problemlösung Vernunft, Besonnenheit und ein klarer, sachlicher und nicht ideologisch getrübter Blick – auf Probleme und Chancen. Nur Mut!
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