Repost eines Beitrages von Dr. Andreas Edmüller auf blog.projekt-philosophie.de
Vorbemerkung
Dieser Gastbeitrag steht in Zusammenhang mit den Reaktionen eines Teils der GWUP-Vorstandschaft auf einen Vortrag von Dr. Andreas Edmüller, in dem dieser die These vertritt, dass Menschen, die mit schlechten Argumenten für sinnvolle Anliegen kämpfen, also etwa für Antirassismus und gegen Diskriminierung, der guten Sache schaden, für die sie eigentlich argumentieren wollen. Mehr zu den Hintergründen…
Worum geht es?
Am 11.5.24 sind vorgezogene Vorstandswahlen bei der GWUP angesetzt, einer ausgesprochen seltsamen deutschen „Skeptiker“organisation. Ich bin zwar kein Mitglied – Sorry, Herr Hümmler, das wird auch nichts mehr mit uns – habe es aber irgendwie geschafft, zur Hassfigur des aktuell amtierenden Vorstandes zu werden.
Zur intellektuellen Bereicherung seines „Wahlkampfes“ hat der Vorsitzende der GWUP, Herr Dr. Hümmler, zwei anonyme (!) Pamphlete verbreitet, in denen meine Argumente zur Debatte um das Bildungssystem in Neuseeland „diskutiert“ werden.
Ich persönlich werde natürlich auch wieder als inkompetent hingestellt – aber das kennen wir ja schon und entspricht dem bekannten Stil des Hauses Hümmler: Der international hoch angesehene Skeptical Inquirer hat „Team Hümmlers“ Argumente seit Oktober 2023 ausgewertet, analysiert und ist zu dem eindeutigen Schluss gekommen, es handle sich um eine Verleumdungskampagne („defamation campaign“) gegen mich.1)
- Damit ist bereits alles klar: Wer glaubt denn ernsthaft daran, dass zwei anonyme Pamphlete keine Fortsetzung dieser Schmutzkampagne darstellen würden?
In meinem letzten Blog vom 3. Mai habe ich erklärt, wie und warum ich trotzdem und gegen meine sonstigen Gepflogenheiten auf diese anonymen Dokumente argumentativer Hilflosigkeit eingehen werde. Im ersten Schritt nehme ich mir das mit dem Titel Mātauranga Māori – Was ist passiert? vs. Was wird propagiert? (MMWW) vor.
Überraschung: MMWW widerlegt „Team Hümmler“ in wesentlichen Punkten!
Erstens: MMWW widerlegt erfreulicherweise Team Hümmlers erste zentrale „Argumentationsstrategie“ gegen mich. Was heißt das? Hümmler & Co hatten sich als Reaktion auf meinen Vortrag zum WOKE-Phänomen im Rahmen der Langen Nacht der Wissenschaften in Nürnberg im Oktober 2023 ein Verschwörungsmärchen ausgedacht.
Genauer: „Team Hümmler“ hat monatelang behauptet, es gehe bei der ganzen Debatte in Neuseeland lediglich um oberflächliche und harmlose Änderungen wie eine Neuformulierung von Textaufgaben in Schulbüchern. Damit könne man besser als bisher an die Erfahrungswelt von Schülern mit Maori-Hintergrund anknüpfen. Alles andere wäre Panikmache und erlogen – niemand habe jemals vorgeschlagen, inhaltliche Änderungen am Curriculum der wissenschaftlichen Fächer vorzunehmen.2)
Das anonyme „Autor*innenkollektiv“ von MMWW hat zumindest kapiert, dass sich die Debatte tatsächlich um die Gestaltung der Lehrpläne dreht, also um inhaltliche Fragen. Und sie haben kapiert, dass die Debatte um das Verhältnis von Wissenschaft und Matauranga Maori schon sehr lange läuft – genau meine Behauptung.3)
Also: Ein deutlicher Fortschritt gegenüber „Team Hümmlers“ Verschwörungsmärchen – es geht nur um die Neuformulierung von Textaufgaben und der Edmüller phantasiert – und eine Bestätigung meiner Linie: Es geht nicht um die Textaufgaben, sondern um substantielle Änderungen am Curriculum.4)
Zweitens: MMWW widerlegt indirekt „Team Hümmlers“ zweite zentrale „Argumentationsstrategie“ gegen mich. Man behauptet ja immer noch, dass die Verwendung des Begriffes Woke entweder den Schluss auf eine rechtsextreme Gesinnung des Verwenders erlaubt oder zumindest zum Vorwurf berechtige, ungewollt rechtsextreme „Narrative“ zu übernehmen. Kurz: Woke sei ein rechtsextremer Kampfbegriff – und nichts anderes.
Um diesen Unsinn zu widerlegen, habe ich schon in meinem ersten Blog zum Thema eine lange und „bunte“ Liste an Büchern, Artikeln, Podcasts, Fernseh- und Rundfunksendungen angeboten.5) Diese Liste zeigt klar und unmissverständlich, dass der Begriff Woke ein sehr schillernder ist und von allen möglichen Diskutanden mit ganz unterschiedlichem politischen Hintergrund verwendet wird. Wer ernsthaft behaupten möchte, diese Diskutanden seien alle rechtsextrem oder alle so dumm, rechtsextremen „Narrativen“ auf den Leim zu gehen, macht sich schlicht und einfach lächerlich.
Während „Team Hümmler“ diese Liste bis heute ignoriert, geht MMWW relativ ausführlich darauf ein und akzeptiert damit, dass es diese bunte Vielfalt an Verwendungen des Begriffes Woke gibt! Auch hier gilt, dass unsere anonymen Helden den argumentativen Zusammenhang zwar nicht richtig verstehen – aber immerhin nehmen sie meine Belege zur Kenntnis! Und das gilt nunmehr auch für Herrn Hümmler und seine Truppe, die ja MMWW zustimmend in Umlauf gebracht haben.6)
Zum Stand der Debatte in Neuseeland
Die vom Erziehungsministerium bzw. der Regierung Neuseelands ursprünglich intendierte enge inhaltliche Verzahnung Matauranga Maoris mit den Inhalten der Fächer Biologie, Chemie (und Physik) ist mittlerweile gescheitert. Ein aussagekräftiges Beispiel: Die seit spätestens 2021 betriebene Einführung des Vitalismuskonzeptes Mauri in den Lehrplan für Biologie und Chemie wurde wieder aufgegeben. Erstens war der Widerstand der Lehrer im Rahmen der Pilotprojekte zu groß und zweitens macht es wissenschaftlich schlicht und einfach keinen Sinn:
- Weder an der LMU noch der TU München weiß man z.B. um Mauri als Kraft, die unser Universum in jeder Sekunde in der Existenz hält, alle belebten und unbelebten Dinge verbindet, durchpulst und freundlicherweise von den beiden Gottheiten Rangi und Papa permanent abgestrahlt wird. Ich habe bei ein paar Bekannten an den zuständigen Fakultäten nachgefragt – man hat Mauri bisher noch nicht bemerkt und auch keine dementsprechende Mitteilung vom Erziehungsministerium Neuseelands oder der GWUP erhalten.
Unter anderem deshalb haben sich in NZ wesentliche Akteure kürzlich für einen Neuanfang mit einem anderen strategischen Ansatz entschieden: Matauranga Maori soll als epistemisch gleichwertiges Wissenssystem im Unterricht der naturwissenschaftlichen Fächer diesen als Ganzes gegenüber- und gleichgestellt werden, ohne Verzahnung einzelner Elemente.
Was das wiederum genau heißen soll, ist aktuell unklar – es erinnert aber fatal an den Traum der Kreationisten in den USA. Aber: Es geht offensichtlich und unbestreitbar erneut um die Fächer Biologie, Chemie, Physik.7)
Bevor „Team Hümmler“ und die anonyme Stümpertruppe jetzt in Schnappatmung verfallen: In diesem Video erläutert Rosemary Hipkins, warum man den bisherigen Verzahnungsansatz aufgegeben hat bzw. das tun sollte und die neue Alternative verfolgt: https://www.sciencelearn.org.nz/resources/3228-enduring-competencies-for-designing-science-learning-pathways.8)
Meine Bitte an „Team Hümmler“ und „Team Anonym“: Wenden Sie sich bei Rückfragen zur Debatte um Matauranga Maori in Zukunft an das zuständige Ministerium in Neuseeland. Die kriegen im Moment von vielen Seiten ordentlich auf die Mütze und freuen sich garantiert über etwas zum Lachen.
So, damit wäre die Sache auf inhaltlicher Ebene – wieder einmal – eindeutig geklärt. Bleibt noch, zur Abrundung in Teil 2 (oder vielleicht auch 3 und 4 – schau ma mal …) einen Blick auf typische Manipulationstaktiken der anonymen Verfasser des Schmutzpamphletes MMWW zu werfen. Das ist wichtig, um Herrn Hümmlers erneute Bewerbung um den Vorsitz der GWUP angemessen beurteilen und einordnen zu können.
PD Dr. Andreas Edmüller, 5. Mai 2024
References
1. | ↑ | https://skepticalinquirer.org/exclusive/the-german-dilemma-continues-skepticism-in-the-face-of-ideological-conflict/. Hier die deutsche Übersetzung: https://de.richarddawkins.net/articles/das-deutsche-dilemma-geht-weiter |
2. | ↑ | Herr Hümmler schreibt ja Bücher über Verschwörungstheorien. Was sagt er darin eigentlich über Leute, die sich Verschwörungsmärchen ausdenken und verbreiten? |
3. | ↑ | Lustigerweise belegt das sogar ein Dokument der NZ Skeptics aus dem Jahre 1994 (!): https://skeptics.nz/journal/issues/32/maori-science. Es läuft zur Zeit wirklich miserabel für „Team Hümmler“. |
4. | ↑ | Hier meine sehr ausführliche Darstellung der Debatte: https://blog.projekt-philosophie.de/woke-phaenomen/das-woke-phaenomen-zur-debatte-um-matauranga-maori/ |
5. | ↑ | https://blog.projekt-philosophie.de/liberalismus/das-woke-phaenomen/ |
6. | ↑ | Ich glaube übrigens nicht, dass es personelle Überschneidungen von „Team Hümmler“ mit „Team Anonym“ gibt: Wer ist schon dumm genug, sich dermaßen offensichtlich selber abzuschießen? |
7. | ↑ | Es wurden letzten Herbst gleich nach den Wahlen von der neuen Regierung drei Kommissionen zur Überarbeitung aller Lehrpläne in Neuseeland eingesetzt. Meine Vermutung nach Gesprächen mit Freunden: Diese Kommissionen werden die Lehrpläne für die Naturwissenschaften von esoterischen und mythologischen Elementen konsequent befreien und diesen seltsamen Gleichstellungsansatz auch nicht akzeptieren. |
8. | ↑ | Rosemary Hipkins ist die Mutter von Chris Hipkins, bis 2022 Minister of Education und politisch Hauptverantwortlicher für das Debakel um das Curriculum. Er wurde im Januar 2023 nach ihrem Rücktritt Nachfolger Jacinda Arderns als Prime Minister und hat dann im Herbst darauf die Wahlen verloren. Science Learning Hub ist ein regierungsfinanzierter Think Tank zum Thema Bildung und & Erziehungssystem. |
Entschuldige die Frage,
aber was haben die Karriere-/Konkurenzprobleme des Herrn Edmüller bitte mit dem Inhalt dieser Seite zu tun? Abgesehen davon, dass einige Maori gerne Ihren Schöpfungsmythos in neuseeländischen Schulbüchern haben wollen.
Ich kapiers grade nicht. Ist doch seine Privatangelegenheit, wenn er sich von jemandem persönlich attakiert fühlt.
Hallo FLO, tatsächlich geht es hier in keiner Weise um Karriere-/Konkurrenzprobleme von Andreas Edmüller (der ist Privatier, ist nicht und war noch nie Mitglied der GWUP und steht deshalb auch mit niemandem dort in irgendeiner Konkurrenz), sondern darum, wie sich der derzeitige Vorstand der GWUP positioniert bzw. reagiert. Edmüller geht es also sicher nicht um sich, sondern um die Aufklärung.
Wenn du die zugegeben inzwischen recht umfangreichen Beiträge durchliest wirst du sehen, dass es nicht darum geht, dass jemand den Maori ihren Schöpfungsmythos wegnehmen möchte. Edmüllers Kritik bezieht sich auf die Leute, die solche Falschdarstellungen in die Welt setzen.
Dass das eigentliche Thema keine Privat-Fehde, sondern ein Thema von allgemeinem Interesse ist, zeigt auch der Umstand, dass inzwischen auch Medien wie zB der Sceptical Inquirer dazu Beiträge veröffentlicht haben: https://skepticalinquirer.org/exclusive/the-german-dilemma-continues-skepticism-in-the-face-of-ideological-conflict/
Trotzdem, was hat das bitte mit der Thematik dieser Seite zu tun?!
Wäre dieser Artikel nicht beim HPD o.ä. besser aufgehoben?
Jeder, der nicht in diese Sache involviert ist, bzw. Herrn Edmüller persönlich kennt, denkt sich nur: „Was ist das denn, da ist weder Kontext noch Sinn bezüglich des eigentlichen Inhalts dieser Seite, wtf?!?“
Hallo Flo,
doch – das direkte Thema gehört genau zu awq.de und allen anderen säkularen Blogs etc. Es geht im Kern der Debatte letztlich darum, ob Kreationismus (wieder) in den Schulunterricht der wissenschaftlichen Fächer als akzeptables Modell integriert werden soll. Auch wenn es sich um „indigenen“ Kreationismus handelt – wir alle wissen, wer als nächstes anklopft, falls es in NZ gelingen sollte.
Die Debatte in NZ wird deshalb auch schon lange international geführt: Richard Dawkins, Jerry Coyne, Lawrence Krauss, Steven Pinker etc. schreiben, bloggen und posten regelmäßig (!) dazu. In Kürze gibt es auch in Science was dazu.
Auch die Einbettung in die Woke-Debatte geht uns Atheisten sehr wohl an: Dort geht es um den Status der Naturwissenschaften, religöser Aussagen und um Dinge wie Meinungsfreiheit, die zum atheistischen Survival Kit gehören.
Das Problem ist eher, dass man bei uns wieder einmal sehr schlafmützig, geistig träge und atemberaubend provinziell reagiert, vielleicht liegt es auch an der Sprachbarriere. Das ist aber ehrlich gesagt auch schon lange mein Eindruck zur deutschen Atheistenszene: Man kann schon froh sein, wenn der Blick bis zum Tellerrand geht, geschweige denn darüber hinaus. In den meisten Blogs redet man über das was im Nachbarblog gebloggt wurde und umgekehrt: Bücher und Fachartikel werden kaum rezipiert; internationale Debatten werden selten wirklich in der angemessenen argumentativen Tiefe und Intensität wahrgenommen. geistige Trägheit können sich Atheisten aber nur im Ausnahmefall leisten – der Feind schläft nicht! 😊
Daran arbeiten wir aber: Im Januar habe ich den Vortrag bei der Dawkins Foundation gehalten, am 23. Mai bin ich an der Uni Konstanz auf Einladung der GBS und im September bei DA! in Düsseldorf.
Mit meiner „Karriere“ hat das nichts zu tun. Die hatte ich schon – eine sehr schöne. Ich bin (wie Marc richtig bemerkt) Privatier und kriege für die allermeisten Vorträge gar kein Honorar, manchmal einen vernachlässigbaren Betrag als Anerkennung.
Vielen Dank für die ausführliche Antwort.
Dass es um Kreationismus geht, habe ich durchaus begriffen.
Doch von dieser GWUP habe ich bestenfalls mal als Randvermerk in nem Artikel gelesen, hatte ich überhaupt nicht auf dem Schirm, dass da schon länger ne Fehde im Gange ist.
So gehts wahrscheinlich auch vielen anderen, die mit dieser Sache und Organisation nichts am Hut haben. Deshalb hat sich der Artikel auch so befremdlich gelesen, da er direkt in ihren persönlichen Konflikt mit Herrn Hümmler einsteigt.
Das war schon recht schwammig für Aussenstehende.
Nochmals Danke für die Aufklärung.
Fight the go(o)d fight!
Gruss
FLO
Hallo FLO, deinen Kommentar habe ich zum Anlass genommen, um den Beiträgen zu diesem Thema noch einen Hinweis voranzustellen, damit besser ersichtlich ist, worauf sie sich beziehen.
Hallo Flo,
sachliche Antwort: 👍 Respekt! Bist ein Guter.
Zum Hintergrund: Die GWUP ist Teil der internationalen Skeptikerbewegung (Michael Shermer ist doch bekannt, oder?), in Europa sogar m.W. die mitgliederstärkste Vereinigung. Man kann und sollte sie im Verbund der säkular-humanistischen Verbände sehen. Da gibt es m.W. auch informelle Absprachen zur Arbeitsteilung und Energiebündelung: GBS knöpft sich die Religiösen vor, GWUP Esoteriker und Pseudowissenschaftler.
Die GWUP hat als Aushängeschild den Einsatz gegen Pseudomedizin wie Homöopathie – daher ist sie eigentlich auch in der Öffentlichkeit gut bekannt. International arbeiten z.B. der Skeptical Inquirer und die Dawkins Foundation sehr eng zusammen – es ist ein Netzwerk mit vielen Energiezentren. (Die GWUP gibt den bisher sehr guten „Skeptiker“ heraus.)
Wenn aus diesem Netzwerk oder Verbund ein wichtiger Partner aussteigt und auf Schwurbelkurs geht, dann entsteht nicht nur eine inhaltliche Lücke, sondern auch ein Einfalltor für Pseudokram und Irrationalität jeder Coleur. Die ganzen Themen kann man ja inhaltlich gar nicht scharf voneinander trennen – wie die Debatte in NZ sehr schön zeigt. Zudem hat man dann plötzlich Spinner „im eigenen Lager“ – alleine für die Außenwirkung ist so etwas fatal.
Darum geht es bei den Vorstandswahlen der GWUP auch für uns Atheisten um etwas: Verlieren wir einen wichtigen Verbündeten oder kommt die GWUP wieder auf Kurs?
Mehr dazu kann man in meinen Blogs nachlesen (auch und von Anfang an auf awq.de – Danke lieber Marc!) – und meine Bilder sind doch auch schön, oder? 🤗
Beste Grüße,
Andreas Edmüller