Kommentar zu NACHGEDACHT 162: Ein Hoch auf den Alltag

Lesezeit: ~ 3 Min.

Kommentar zu NACHGEDACHT 162: Ein Hoch auf den Alltag, Originalartikel verfasst von Christina Leinweber, veröffentlicht am 14.02.16 von Osthessennews

Dieser Artikel entspricht inhaltlich in vielen Punkten dem Artikel NACHGEDACHT 38: Feiern Sie doch mal Ihren Alltag vom 29.9.2013, den ich bereits hier kommentiert habe.

„Der Tag war ganz normal, es gab keine Zwischenfälle.“ – ein Satz, der vielleicht langweilig klingt.*

Was jemand als normal oder als langweilig empfindet, kann sich von Mensch zu Mensch stark unterscheiden. Glücklicherweise haben wir heute so viel Freiheit wie noch nie, für uns selbst zu definieren, was für uns normal ist. Wir haben unvorstellbar viele Möglichkeiten, unser Leben so zu gestalten, wie wir es haben möchten – ob aufregend, langweilig, „normal“ – oder auch außerhalb jeder Norm.

Die einfache, einleuchtende und allgemeinverbindliche Spielregel lautet nämlich:

„Tu, was du willst, ohne dabei gleichberechtigte Interessen Anderer zu verletzen.“

Dieser Wert, die höchstmögliche individuelle Freiheit unter Berücksichtigung gleichberechtigter Interessen Anderer, ist zum Glück auch der Wert, dessen Schutz in unserem Grundgesetz verankert ist.

Das war keineswegs schon immer so und auch heute gibt es noch Institutionen wie zum Beispiel christliche Kirchen, die meinen, sich in die Privatangelegenheiten von Menschen einmischen zu dürfen.

Obwohl das Zusammenleben der Gesellschaft schon durch Gesetze und Menschenrechte umfangreich und wirkungsvoll geregelt ist, betreibt zum Beispiel die christliche Kirche eine parallele, eigene Gerichtsbarkeit, das Kirchengericht. Etwas, wovor gerade die christlichen Fundamentalisten (oder solche, die so tun, als wären sie welche) so vehement warnen – wenn andere Religionen ebenfalls solche Parallelwelten aufzubauen versuchen.

Die christliche, besonders die katholische Kirche maßt sich an, zum Beispiel über das Zusammenleben, das Sexualverhalten, die Kindererziehung und in vielen weiteren persönlichen Bereichen bestimmen zu können. Sie verbietet, dass an Aschermittwoch „Heidi“ in Kinos gezeigt werden darf. Sie erteilt gnädig ihren Segen, wenn ein Karnevalsumzug in ihrer „Fastenzeit“ nachgeholt wird. Sie verhindert, dass Menschen in Würde selbstbestimmt sterben dürfen (obwohl sie andererseits ja verspricht, dass die Menschen im Jenseits in irgendeiner geheimnisvollen Form weiterexistieren und jeder Gläubige ja scharf darauf sein müsste, möglichst bald in diesen glückseligen Zustand ewigen Friedens eingehen zu dürfen? Oder steigert ein ausgedehntes Leiden zum Lebensende vielleicht die Chancen auf einen besonders guten Platz im Himmel? Der christlichen „Logik“ wäre das durchaus zuzutrauen…).

Die ständige, umfassende Einmischung der Kirche in das Leben aller Menschen ist einer der Hauptkritikpunkte und der wohl wichtigste Grund für die Forderung, den Staat endlich und wirklich von der Kirche zu befreien. Den größten Teil ihrer Macht bezieht die Kirche aus der Tatsache, dass sie vom Staat künstlich am Leben erhalten wird – durch unverschämt umfangreiche finanzielle Subvention, aber auch durch Einräumung eines rechtlichen Sonderstatus‘, der mit nichts zu rechtfertigen ist.

Diese unglückselige Allianz** war und ist eine Win-win-Situation für Kirche und Staat: Beide profitieren jeweils gegenseitig voneinander – auf Kosten der Bevölkerung, egal ob religiös oder freidenkend. So wusste angeblich schon Seneca:

  • „Religion gilt dem gemeinen Manne als wahr, dem Weisen als falsch und dem Herrschenden als nützlich.“

Was wir haben, ist der Moment. Und wenn dieser auch vielleicht ein bisschen alltäglich ist, so ist er dennoch nicht selbstverständlich und ein Geschenk der Zeit, die wir haben.

Dass wir Momente „haben“ ist kein Geschenk der Zeit, sondern die Folge der Tatsache, dass es uns, anders als unvorstellbar viele andere „Möglichkeiten“, tatsächlich gibt. Aus einer riesigen Menge an Atomen, die nicht das Schicksal hatten, für einen winzigkleinen Moment zu einem Lebewesen zusammengesetzt existieren zu können, waren es genau diese, aus denen wir ursprünglich bestanden.

Seitdem wurden diese Atome, je nachdem, wie alt wir sind, schon mehrfach komplett ausgetauscht. Trotzdem sind wir dabei „wir“ geblieben.

Vereinfachend kann man sich einen Computer vorstellen, dessen Komponenten man nach und nach austauscht. Auch das Betriebssystem und die Programme werden mit der Zeit aktualisiert, aber die eigenen Dateien bleiben. Erst wenn die Festplatte, auf der die eigenen Dateien gespeichert sind, zerstört wird, sind diese unwiederbringlich gelöscht.

Die Tatsache, dass es uns gibt und dass wir deshalb zum Beispiel auch die Zeit und damit Momente wahrnehmen können, ist, wie alles andere auch, die Folge von Ursachen, die dazu geführt haben.

Bei einer theologischen Betrachtung zu diesem Thema sollte man eigentlich davon ausgehen, dass auch Gott in irgendeiner Weise eine angebliche Rolle spielen müsste. Schließlich widerspricht die christliche Schöpfungslehre ja dem Determinismus und auch der Evolution.

Nach der christlichen Lehre  hat Gott die Menschen dazu verdonnert, ihr irdisches Dasein leidvoll zu erdulden, als Strafe dafür, dass eine sehr alte Frau angeblich mal von einer sprechenden Schlange dazu überredet wurde, einen Apfel, den es damals sicher noch nicht gab, zu essen. Erst im Jenseits besteht Hoffnung auf Erlösung, aber nur für die, die ihr Leben möglichst klaglos und ohne Fragen zu stellen ertragen haben.

Höchste Zeit also, diese verstörenden, gestörten und zum Glück völlig irrelevanten Unterdrückungsmechanismen, Märchen und Mythen hinter sich zu lassen und sich tatsächlich, wie von der Autorin gefordert, der unglaublichen Einzigartigkeit unseres Daseins bewusst zu sein, statt die wertvolle, äußerst kostbare, weil einmalige Lebenszeit mit der Verehrung von erfundenen Göttern sinn- und zwecklos zu verschwenden!

*Das Online-Portal Osthessennews fordert jede Woche unter der Rubrik „NACHGEDACHT“ mit „liberal-theologischen“ Gedanken von Christina Leinweber zum Nachdenken auf. Alle Zitate stammen aus dem oben genannten und verlinkten Artikel.

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