Religionskritik: Muss man da nicht differenzieren?

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Religionskritik: zwei paar Schuhe
Religionskritik: Mehr als zwei paar Schuhe…

Wenn man beginnt, sich mit dem Thema Religionskritik auseinanderzusetzen, dann ist es sinnvoll, zwischen verschiedenen Bereichen zu differenzieren, die damit zu tun haben.

Denn ich habe zum Beispiel schon oft Sätze gehört wie: „Naja, mit der Kirche habe ich schon lange nichts mehr am Hut. Aber ich glaube trotzdem an Gott/ die Bibel/ eine höhere Macht…“

Tatsächlich macht es einen Unterschied, ob man zum Beispiel Kritik an einer Institution oder an einer Ideologie äußert, oder ob man sich mit Gläubigen über deren private Glaubensüberzeugungen unterhält.

Religionskritik: Versuch einer Differenzierung

Und deshalb will ich heute mal versuchen zu erklären, was meine Hauptkritikpunkte zu den einzelnen Bereichen sind.

  • Los gehts mit der Kirche als Institution. Denn Kirchenkritik dürfte das erste Thema sein, das Menschen einfällt, wenn es um Religionskritik geht.
  • Es folgen einige Gedanken, warum ich Religionen allgemein für frag- und kritikwürdig halte.
  • Der letzte Punkt, die Kritik an der Methode des Glaubens, dürfte den wenigsten Menschen bewusst sein. Dabei geht es weniger um die Glaubensinhalte, als viel mehr um die Unbrauchbarkeit des Glaubens  als Methode zum Erkenntnisgewinn.

1. Institution Kirche

Stop fruehkindliche IndoktrinationDas Geschäftsgebaren der Kirchen dürfte für die meisten Menschen der hauptsächliche Grund sein, ihre Glaubenszugehörigkeit kritisch zu hinterfragen. Denn was über 1000 Jahre (die Zeit, in der die christliche Kirche noch das Sagen hatte, auch bekannt als das „Finstere Mittelalter“) hervorragend und unvorstellbar gewinnbringend funktioniert hatte, ist heute zum Glück überwunden.

Aufklärung und Säkularisierung haben der Kirche den sprichwörtlichen Zahn gezogen, das Reich Gottes auf Erden mit Gewalt, Korruption, Raub und Mord zu errichten.

Denn dem unbestreitbar Guten, was Menschen im Namen ihres vermeintlichen Gottes getan haben und täglich tun, steht eine beispiellose, zehnbändige Kriminalgeschichte des Christentums* gegenüber. Wie viele Millionen Menschen im Namen des biblischen Wüstengottes Jahwe ermordet wurden, bevor dieser vom Kriegs- zum lieben Gott umdefiniert wurde, lässt sich heute nur noch erahnen.

Kirchenkritik ist umfangreich dokumentiert

Eine recht umfassende Übersicht zum Thema Kirchenkritik findet sich hier zur römisch-katholischen Kirche und hier zu den evangelischen Kirchen. Deshalb an dieser Stelle nur beispielhaft einige Themen, die immer wieder in diesem Zusammenhang auftauchen:

  • Umfangreichste Verflechtungen zwischen Staat und Kirche, trotz gesetzlich festgeschriebener Trennung
  • Milliardenschwere staatliche Subventionierung der „Großkirchen“, direkt und indirekt (z. B. durch Steuererlass)
  • Vielfältige Sonderprivilegierungen, die heute mit nichts mehr begründbar sind (z. B. Konkordatsverträge, eigene Parallel-Gerichtsbarkeit, eigenes Arbeitsrecht…)
  • undurchschaubare, undemokratische Strukturen
  • Vielfältige Täuschungen, wie z. B. soziale Dienstleistungen als Werke der Barmherzigkeit zu verkaufen (Legende von der kirchlichen Wohlfahrt)
  • Systematische, staatlich tolerierte und geförderte frühkindliche Indoktrination (Religionsunterricht, religiöse Erziehung)
  • Einmischung in politische und gesellschaftliche Themen
  • Zurschaustellung brutalster Gewalt in Kirchen (zum Beispiel dokumentiert im Kirchenkunstreport 2016)

2. Religion(en)

Hier ist zunächst wichtig zu wissen, was der Begriff überhaupt genau bedeutet. Es gibt hier nämlich sehr unterschiedliche Interpretationen. Wikipedia zum Beispiel definiert Religion wie folgt (Hervorhebung von mir):

  • Religion (von lateinisch religio ‚gewissenhafte Berücksichtigung‘, ‚Sorgfalt‘, zu lateinisch relegere ‚bedenken‘, ‚achtgeben‘, ursprünglich gemeint ist „die gewissenhafte Sorgfalt in der Beachtung von Vorzeichen und Vorschriften.“, ist ein Sammelbegriff für eine Vielzahl unterschiedlicher Weltanschauungen, deren Grundlage der jeweilige Glaube an bestimmte transzendente (überirdische, übernatürliche, übersinnliche) Kräfte und damit verbundene heilige Objekte ist, die nicht im Sinne der Wissenschaftstheorie bewiesen werden können, sondern auf intuitiver Erfahrung beruhen.
  • Religion bezeichnet soziale und kulturelle Phänomene, die menschliches Verhalten, Handeln, Denken und Fühlen prägen und Wertvorstellungen normativ beeinflussen. In diesem Zusammenhang kann Religion eine Reihe von ökonomischen, politischen und psychologischen Funktionen erfüllen. Diese weitreichenden gesellschaftlichen Verflechtungen bergen zwangsläufig ein großes Risiko der Bildung religiöser Ideologien. (Quelle: Wikipedia)

Religion bedeutet Beachtung von Vorzeichen und Vorschriften

ReligionenSchon aus diesen Sätzen geht hervor, was der Hauptkritikpunkt an Religionen ist. Religionen verlangen also von ihren Anhängern die gewissenhafte Beachtung von Vorzeichen und Vorschriften. Diese Vorschriften basieren auf der Annahme, es gäbe bestimmte übernatürliche Kräfte, die aber nur auf intuitiver Erfahrung beruhen und ausdrücklich nicht bewiesen werden können.

Bis hierher gäbe es noch kaum Grund zu Religionskritik. Schließlich mag sich ein jeder seine Wirklichkeit gestalten, wie sie ihm gefällt. Wer sich gerne vor über- oder außerirdischen Mächten fürchten möchte oder sich eine Belohnung von ihnen für ein bestimmtes Verhalten erhofft, sollte das tun. (Ich persönlich würde mir dann allerdings eine sympathischere Gottheit ausdenken oder auswählen, zum Beispiel das Fliegende Spaghettimonster. Das Wirken des Fliegenden Spaghettimonsters habe ich übrigens selbst intuitiv erfahren. Wer das in Frage stellt, verletzt meine religiösen Gefühle.)

Religionen bedienen sich vieler Tricks, um sich gegen Religionskritik zu immunisieren. Beispiele dafür finden sich in vielen Artikeln auf AWQ.DE. Da ich hauptsächlich mit der christlichen Lehre zu tun hatte, bezieht sich meine Religionskritik hauptsächlich auf das Christentum.

Vermischung von Wunsch und Wirklichkeit

Problematisch und kritikwürdig wird es erst durch den zweiten Absatz – die normative Beeinflussung menschlichen Verhaltens. Denn gerade monotheistische Religionen wie das Christentum sorgen für Trennung zwischen den Menschen. Auch wenn Religionsverkünder das heute nicht gerne zugeben.

Die Gesamtaussage der Bibel ist in dieser Hinsicht erstaunlich eindeutig und unmissverständlich: Nur wer an Gott glaubt, darf zumindest auf Erlösung hoffen. Wer nicht an Gott glaubt, wird deswegen auf ewig verdammt. Ihr seid die Guten, die anderen sind die Bösen. Gott liebt nicht alle Menschen. Sondern nur die, die ihn lieben. Solange das Christentum noch auf der Bibel basiert, wird sich auch an dieser katastrophalen dualistischen Gut-Böse-Einteilung nichts ändern.

Einige Kritikpunkte an Religionen

  • Religionen basieren auf rein von Menschen erdachten, nicht seriös beweisbaren Grundlagen.
  • In Religionen stehen nicht die Würde und Freiheit des Menschen an oberster Stelle, sondern ein erfundener Gott.
  • Die Anerkennung dieses Gottes und dessen angeblichen Anordnungen und Absichten ist durch Dogmen vorgeschrieben.
  • Trotzdem maßen sich Religionen an, Aussagen über Moral und Ethik der Weltbevölkerung im 21. Jahrhundert zu machen.
  • Religionen und Ideologien mit religiöser Struktur haben für mehr Leid gesorgt als irgendetwas anderes, seit es Menschen gibt.
  • Religionen dienen in erster Linie dazu, Menschen zu führen, und zwar zu bestimmten Zwecken (wie der Hirte seine Schafe führt).
  • Das identitätsstiftende Element von Religionen basiert auf Abgrenzung (ingroup – outgroup) – mit bekannt fatalen Folgen.
  • Selbst wenn Religionsführer heute die positiven Seiten ihrer Religion hervorheben, bergen Religionen immernoch ein ungeheueres Gefahrenpotential (Fanatismus, Partikularismus, Fundamentalismus…).

3. (Religiöser) Glauben

Religiöse Immunisierung
Religiöse Immunisierung

Schon öfters haben mir Gesprächspartner erklärt, dass sie sich von Kirche und Religion ja schon längst befreit hätten. Das sei ja sowieso alles nur „von Menschen gemacht“ und hätte mit dem eigentlichen Glauben nichts mehr zu tun. Interessant wird es, wenn man dann diesen „eigentlichen Glauben“ mal näher hinterfragt.

Denn was heißt es eigentlich, im religiösen Sinne zu glauben? Darüber hatte ich schon mal hier einige Überlegungen aufgeschrieben, deshalb hier nur kurz folgende Definition: Religiöser Glaube bezeichnet die Behauptung einer angeblichen absoluten Wahrheit. Und zwar unabhängig von Fakten, Theorien und Regeln und immun gegen Infragestellung, Kritik oder gar Veränderung.

Wer im religiösen Sinne glaubt, hält Dinge für wahr, die er außerhalb seiner eigenen Religion niemals auch nur ansatzweise als „wahr“ akzeptieren würde.

(Selbst-) verordneter Denkverzicht

Religiöser Glaube ist somit ein verordneter Denkverzicht. Ein Verzicht auf Vernunft, Verstand, Logik und intellektuelle Redlichkeit. Je mehr ein gläubiger Mensch bereit ist, unbewiesene und bislang unbeweisbare Dinge als wahr anzuerkennen, umso tugendhafter, frommer, gläubiger, besser darf er sich fühlen.

Kinder werden gelobt, wenn sie an Gott glauben. Und sie werden gelobt, wenn sie dann irgendwann mal den Osterhasen als Phantasiewesen durchschaut haben. Wer, meist schon vom Kleinkindalter an, gelehrt wurde, dass Nichtdenken und Nicht-Hinterfragen positiv bewertet werden, wird vermutlich auch später dazu neigen, dieses Muster beizubehalten.

Zum Erkenntnisgewinn ist die Methode des „Glaubens“ denkbar ungeeignet. In der natürlichen Wirklichkeit haben sich andere Methoden wesentlich besser bewährt. Zum Beispiel empfiehlt es sich, vor dem Überqueren einer viel befahrenen Schnellstraße nach links und rechts zu schauen. Statt daran zu glauben, dass schon kein Auto kommen wird.

Kritik am Glauben bezieht sich also weniger auf die jeweiligen Glaubensinhalte. Sondern auf das Glauben an sich. Egal, ob jemand an Götter, Gottessöhne, Geister, Chemtrails oder an die Zahnfee glaubt.

Einige Hauptkritikpunkte am religiösen Glauben

  • Glaube bedeutet, so zu tun, als seien Dinge real, die (bis zum Beweis des Gegenteils) nicht real sind.
  • Glaube kann das klare, logische Denken beeinträchtigen, weil es einen Denkverzicht voraussetzt („Das kann man nicht wissen, das muss man glauben“).
  • Glaubensinhalte sind völlig beliebig. Man kann alles Beliebige glauben oder nicht glauben.
  • Alle Glaubensinhalte entspringen rein menschlicher Phantasie. „Göttliche Offenbarung“ ist eine reichlich überhebliche Lüge.
  • Glaubensinhalte basieren nicht auf Erkenntnis, sondern auf unbewiesenen Behauptungen, die von Religionen dogmatisch unabänderlich und zeitlich unbegrenzt festgelegt werden.

Fazit

Diese grobe Übersicht zum Thema Religionskritik erhebt natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Zu jedem einzelnen Punkt gäbe es noch viel zu ergänzen. Ich hoffe, ich konnte darstellen, dass ich das Thema Religioniskritik sehr differenziert betrachte. Während ich zum Beispiel religiöse, öffentliche Verkündigungen wie NACHGEDACHT oder Wort zum Sonntag aus weltlich-rationaler Sicht kommentiere, vermeide ich eine Bewertung von persönlichen, privaten Glaubensüberzeugungen und Ansichten.

Durch eine Richtigstellung solcher persönlichen Ansichten ist dem Gläubigen selten geholfen. Wohl aber kann man gläubige Menschen dabei unterstützen, ihre Glaubensgewissheiten selbst zu hinterfragen – wenn sie daran Interesse haben.

Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass Religionsvertreter mir unterstellen, ich würde mich ja über Gläubige lustig machen. Es sei arrogant, sich für schlauer zu halten als andere. Wer so „argumentiert“, hat diese Unterscheidung nicht verstanden.

Ich gebe, anders als Gläubige, eben nicht vor, Dinge zu wissen, die ich nicht weiß. Ich mache mich nicht über persönliche Ansichten lustig. Allerdings kann ich nicht ausschließen, dass so manche religiöse Behauptung durchaus lächerlich erscheinen mag, wenn man sie ohne religiöse Immunisierung betrachtet. Nicht selten spielt hier auch die kognitive Dissonanz eine Rolle.

Und ich bin nicht bereit, eine religiöse Scheinwirklichkeit mit Göttern, Geistern und Gottessöhnen oder -müttern als real anzuerkennen. Oder bis zum Beweis des Gegenteils so zu tun, als ob es sich dabei um etwas Reales handeln würde.

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