Kirche(n) von heute – Das Wort zum Wort zum Sonntag, Thema: Moderne Kirchen

Lesezeit: ~ 11 Min.

Kirche(n) von heute – Das Wort zum Wort zum Sonntag von Gereon Alter, Essen zum Thema moderne Kirchen, veröffentlicht am 15.06.2019 von ARD/daserte.de

ACHTUNG: Dieser Artikel enthält Darstellungen von menschlichem Leid, wie sie in katholischen Kirchen auch für Kinder öffentlich zugänglich zur Schau gestellt werden und die auf nicht religiös indoktrinierte Menschen verstörend wirken könnten.

[…] Dann hab ich einen Tipp für Sie: die „Straße der Moderne“. Ist im Internet ganz leicht zu finden: „Straße der Moderne“. Auf dieser Seite sind völlig verrückte Kirchen zu sehen. Kirchen, die auf den ersten Blick überhaupt nicht wie Kirchen aussehen. (Die so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem Wort zum Sonntag: Kirche(n) von heute, verkündigt von Gereon Alter, veröffentlicht am 15.06.2019 von ARD/daserste.de)

Naja. Als „völlig verrückt“ würde ich die meisten der dort gezeigten Gebäude nicht unbedingt bezeichnen. Eher als „…verzweifelt bemüht, einem längst überholten Glaubenskonstrukt wenigstens durch eine ausgefallene Architektur noch etwas Aufmerksamkeit zu verschaffen.“

…was tut man nicht alles…

Es gibt kaum eine moderne Bauform, die es nicht geschafft hat, zu einer Kirche zu werden.

PfauenfedernKaum erstaunlich. Kirchen im klassischen Stil sind in vielerlei Hinsicht nach heutigen Maßstäben  ja auch schlicht unsinnig. Bautechnisch wie ökonomisch. Sie stammen aus längst vergangenen Zeiten. In denen man es eben noch nicht besser wusste. Vergleichbar etwa mit Dampfloks, Ochsenkarren oder Dreschflegeln. Nostalgie für Liebhaber.

Bei Kirchen kommt noch ein weiterer Aspekt dazu: So diente ein hoher Kirchturm dereinst nicht nur der Beschallung durch viertelstündliches Glockengebimmel. Ein solcher Turm, gerne noch durch eine unsinnigerweise möglichst hoch verlängerte oder um eine Zwiebelform ergänzte Spitze, signalisierte weithin sichtbar: „Wir hier können es uns leisten, ein im Grunde völlig nutzloses Bauwerk zu errichten und zu unterhalten. SO wichtig ist uns das.“

Ein ähnlicher Effekt also wie zum Beispiel bei einer stets gemähten und ansonsten ungenutzten Rasenfläche. Oder bei den sehr schönen, aber auch sehr unpraktischen und, abgesehen vom optischen Show-Effekt nutzlosen Schmuckfedern des Pfaues.

„Asservatenkammer skurriler Objekte“

Ich selbst wohne neben einer solchen Kirche und arbeite darin. So bekomme ich ziemlich gut mit, wie eine moderne Kirche auf Menschen wirkt. Am Anfang steht meist die Irritation. „Das ist doch keine Kirche!“ hat mir kürzlich noch ein älterer Herr gesagt. „Darin kann man nicht beten!“ höre ich manchmal. Oder: „Das ist doch nicht mehr katholisch!“.

Herr Alter, schicken Sie diesen Kunden einfach nach Bayern. Hier wird er sicher voll auf seine Kosten kommen, versprochen!

Etliche Kirchen allein schon hier in Nordbayern dürften leidaffine Katholiken in einen wahren Blutrausch versetzen mit all dem Blut, den abgeschlagenen Köpfen, durchstochenen Hälsen, schmerzverzerrten Gesichtern, grotesk verrenkten, geschundenen, gefesselten und von Pfeilen durchsiebten Körpern… Und was die katholischen Gotteshäuser hier noch so alles an Splatter-Darstellungen brutalster Gewalt weit jenseits von FSK18 zu bieten haben. Also – wenn es das sein sollte, was dem älteren Herren in Ihrer modernen Kirche gefehlt hatte, natürlich…

Da sind dann meist Bilder von einer Kirche im Kopf, wie sie leider auch im Fernsehen häufiger zu sehen sind: klischeehafte Bilder. Bilder von einer Kirche, die wenig mit unserem modernen Leben zu tun hat. Kirche als Museum, das Vergangenes konserviert. Als Asservatenkammer skurriler Objekte, die nichts mehr mit uns zu tun haben. Dunkel, muffig und vor allem: von gestern.

Von gestern

„Von gestern“ sind inzwischen auch die meisten der Kirchen, die auf der von Herrn Alter vorgestellten Webseite aufgelistet sind. Denn die meisten Kirchen entlang der „Straße der Moderne“ waren in den 1920er Jahren und in den beiden Nachkriegsjahrzehnten erbaut worden.

Moderne Kirchen - Statistik
Quelle der Jahreszahlen: Angaben auf der Webseite strasse-der-moderne.de

Lücken und Häufungen

Die Häufungen nach den Weltkriegen lassen sich leicht erklären. Damals hatte man Kirchen, die im Krieg zerstört worden waren, durch (zumindest architektonisch) modernere Bauwerke ersetzt.

Dazu kommt, dass der Anteil an religiös Gläubigen damals noch deutlich größer war als heutzutage. Bei der Bedarfskalkulation musste man damals noch von einem Gläubigenanteil von 80% der Gesellschaft und mehr ausgehen.

Woher die Lücke in den 1990er Jahren, also nach der Wiedervereinigung kommt und warum zur Jahrtausendwende offenbar mehr Kirchen neu gebaut wurden als davor und danach, wäre mal eine Frage für jemanden, der sich besser damit auskennt als ich.

Natürlich erhebt diese Auswahl keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Dargestellt sind nur die Weihejahre der Kirchen, die auf strasse-der-moderne.de vorgestellt werden. Wie viele Kirchen seit 1900 tatsächlich deutschlandweit insgesamt erbaut und wie viele abgerissen oder profanisiert wurden, konnte ich ich bisher leider nicht abschließend ermitteln.

Seit 2000: 583 Kirchen aufgegeben, 49 neu erbaut

Zahlen, die zeigen, wo die Reise hingeht, hatte ich allerdings doch gefunden:

  • Laut eines Berichtes im katholischen Onlinemagazin Kirche+Leben wurden in Deutschland zwischen 2000 und 2018 insgesamt 538 Kirchen aufgegeben und 49 neu gebaut.
  • Die Neue Rhein/Neue Ruhr Zeitung spricht in diesem Bericht ebenfalls von über 500 Kirchengebäuden, die seit dem Jahr 2000 in Deutschland als Gottesdienstorte aufgegeben wurden.
  • Summiert man die auf Wikipedia aufgelisteten Profanisierungen oder Abrissen von katholischen Kirchen, kommt man deutschlandweit auf rund 620 solcher Fälle in den letzten Jahrzehnten.

Offenbar vermag auch eine ausgefallene Architektur diese Entwicklung nicht zu stoppen. Selbst in den Bistümern, in denen aktuell noch keine Kirchen verkauft oder abgerissen werden, legt man Pfarrgemeinden zusammen. Um dann in der Zeitung mit einer voll besetzten Kirche angeben zu können, muss man nur den Einzugsbereich vergrößern. Und zur größten Not die leeren Bänke eben mit Protestanten auffüllen. Gelebte Ökumene ist das dann. Notgedrungen.

Klischeehafte Bilder? Nein. Der ganz reale Wahnsinn.

Im Jahr 2016 hatte ich über zwei Dutzend Kirchen in den Landkreisen Rhön-Grabfeld und Bad Kissingen persönlich besucht. Darunter waren auch zwei oder drei moderne Kirchengebäude. Modern zumindest verglichen mit den sonst anzutreffenden Kirchen, die alle schon mindestens 150 Jahre und (teils wesentlich) älter gewesen sein dürften.

Deshalb erlaube ich mir die Einschätzung, dass Herrn Alters Beschreibung „Bilder von einer Kirche, die wenig mit unserem modernen Leben zu tun hat. Kirche als Museum, das Vergangenes konserviert. Als Asservatenkammer skurriler Objekte, die nichts mehr mit uns zu tun haben. Dunkel, muffig und vor allem: von gestern.“ nicht nur ein klischeehaftes Bild ist.

Denn genau diesen Eindruck hatte ich in den allermeisten Kirchen, die ich damals besucht hatte.

Angetäuschte Flucht nach vorne

Einmal mehr wendet Herr Alter auch diesmal das altbekannte theologisch-rhetorische Manöver: „Angetäuschte Flucht nach vorne“ an: Sprich ein Problem klar und offen aus und fahre dann mit deiner Rede fort, ohne näher darauf eingegangen zu sein und erwecke so den Eindruck, du hättest dich zu dem Problem geäußert.

Denn die eigentlich spannende Frage, wer oder was die Kirche davon abhält, die skurrilen und vor allem nicht selten unvorstellbar grausamen oder auch diskriminierenden Statuen, Reliefs und Bilder tatsächlich in besagte Asservatenkammer zu entsorgen, beantwortet Herr Alter nicht.

Vielmehr tut er so, als sei das ja sowieso nur ein „klischeehaftes Bild.“ Mit dem man, wenn überhaupt, vielleicht mal  im Fernsehen konfrontiert wird. Gerade so, als wäre es ein Bild, mit dem Andere die Kirche als etwas aus der Zeit Gefallenes, Unzeitgemäßes darstellen möchten.

Exkurs: Kirchenkunstreport – nichts für schwache Nerven

Was einen Erwachsenen oder ein Kind erwartet, wenn er oder es sich in eine der von mir besuchten nordbayerischen Kirchen verirrt, ist im Kirchenkunstreport 2016Teil 1, Teil 2, Teil 3 und Teil 4 dokumentiert. Achtung: Nichts für schwache Nerven!

Auch wenn diese Bilder aus dem Jahr 2016 stammen gehe ich davon aus, dass seitdem nicht auch nur eine einzige dieser Darstellungen entfernt worden sein dürfte.

Die wenigen „modernen“ Kirchen auf meiner Tour habe ich als mehr oder weniger originell geschnittene Betonbauten in Erinnerung. Nicht unebdingt muffig. Aber teils sogar noch er- und bedrückender als zum Beispiel einige architektonisch oder künstlerisch wirklich interessante alte Kirchen. Das waren teils reich und bunt verzierte Häuser, in denen man sich fast wohl fühlen könnte. Würde man die Todesfolterungsdarstellungen und Beichtstühle entfernen.

Eine dieser „Betonkirchen“ habe ich als ganz besonders absurd und anachronistisch in Erinnerung: Tollkühn geschwungene Wände, große, bunt leuchtende Glasmosaikfassade, von der Menschen früher sicher mindestens so beeindruckt gewesen wären wie es Naturvölker ohne zivilisatorischen Kontakt heute noch von Glasperlen wären, viel freier Raum…

Und vorne links neben dem Altar: Ein überdimensionaler Kochtopf, in dem gerade eine betende Frau über offener Flamme zu Tode gekocht wird.

Damit die Kundschaft immer daran erinnern wird, was andere bereit waren, für ihren Glauben alles in Kauf zu nehmen. Und natürlich, um das Feindbild der bösen Un- und Andersgläubigen in den Köpfen präsent zu halten.

Das Schild, auf dem die Firmlinge dieses Jahres namentlich aufgefordert worden waren, das „Licht und Salz der Erde“ zu sein, hatten die Verantwortlichen kurzerhand vor die ausnahmsweise mal weibliche Folterszene gestellt.

Ob zwischen diesen beiden Bildern („Kochtopf über offener Flamme“ und „Licht und Salz“) während des Firmunterrichtes ein inhaltlicher Zusammenhang hergestellt worden war oder ob sich die unfreiwillige Ironie erst durch die Positionierung der beiden Elemente direkt nebeneinander ergeben hatte, konnte ich damals nicht mehr ermitteln. Vielleicht war es auch einfach nur Betriebsblindheit. Oder Ignoranz.

Quelle: AWQ.DE Kirchenkunstreport 2016

Gegenwart meets Mittelalter

Offenbar fällt es den dafür zuständigen Kirchenangestellten (oder wer auch immer das entscheidet) schwer, ihre öffentlichen Räume von den teils grotesken, abstoßenden und oft absichtlich möglichst realistisch und furchterregend gestalteten Geköpften, Geräderten, Gegarten, Gefesselten, von Pfeilen Durchbohrten etc. zu befreien. Das  könnte erklären, warum auch moderne Kirchen heute noch Ausstellungsorte solcher Darstellungen sind.

Engel
Kriegsengel

Nun könnte man einwenden, dass menschlichesLeid ja zum Beispiel auch in der Kunst und Literatur immer wieder eine Rolle spielt. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass eine als Kirche genutzte Kirche nicht einfach nur eine Kunsthalle ist.

Alles, was man hier zur Schau stellt, hat einen bestimmten Zweck. Eine bestimmte message. Das Argument, solche „Kunstwerke“ müssten halt aus künstlerisch-historischen Gründen erhalten bleiben, zieht deshalb nicht, wenn es um Kirchen geht, die als Versammlungsräume für religiöse Zeremonien genutzt werden. Denn hier ist nichts dem Zufall überlassen.

A propos Zufall:

Wie es der Zufall will, hatte ich gerade eben erst einen dritten Versuch unternommen, von der katholischen Kirche eine vernünftige Antwort auf die Frage zu bekommen, warum es die katholische Kirche für notwendig, sinnvoll oder zumindest unvermeidbar erachtet, in einer kleinen Dorfkirche in Nordbayern den Sieg Gottes über das Böse durch einen weißen Kriegsengel zu visualisieren, der auf einem Menschen steht, der unzweifelhaft mit dunkler Hautfarbe und afrikanisch anmutender Physiognomie ausgestattet wurde. Und der sich gerade im Todeskampf windet und krümmt.

Auf dem Schild des Engels steht die gerade in diesem Kontext maßlos zynische rhetorische Frage: „Wer ist wie Gott?“

Was meinen Sie, Herr Alter?

Nachdem meine bisherigen diesbezüglichen Anfragen vom zuständigen Bistum Würzburg unbeantwortet geblieben waren und ein Mitarbeiter der Deutschen Bischofskonferenz zwar einräumte, dass es da durchaus Dinge gäbe, für die man sich heute schämen müsse, wozu auch dieser Erzengel und der Afrikaner gehören könne, er aber zum konkreten Fall nichts sagen könne, weil es ja sein könne, dass es da noch einen ihm unbekannten Kontext gibt und schließlich gäbe es ja auch heute noch Leid in der Welt und erniedrigte und gefolterte Menschen, an die erinnert werden müsse, weil sie unsere Solidarität bräuchten (dass die Gewalt hier vom Gotteskrieger ausgeht, war ihm offenbar entgangen) frage ich hiermit einfach mal Sie, Herrn Alter:

Was meinen Sie, Herr Alter:  Wie lange wird diese Skulptur, deren diskriminierende, Menschen verachtende Botschaft sich nicht wegdiskutieren lässt, noch in in einer nordbayerischen Dorfkirche zur Schau gestellt werden? Und warum?

…richtig angenehm

Meine Kirche sieht anders aus.

Wenn man hinein kommt, schaut man in einen weiten Raum. Das Licht, die Farben, die geschwungenen Formen… „Ach, das ist ja richtig angenehm. Und man sitzt in einem großen Halbkreis um den Altar.“ Es ist total faszinierend zu beobachten, wie jemand reagiert, der den modernen Raum erst mal auf sich wirken lässt. „Da hängen ja gar nicht mehr diese Bilder, die uns früher so viel Angst gemacht haben.“ – „Da gibt es ja gar nicht mehr dieses autoritäre Gegenüber zwischen dem einen, der alles weiß und kann, und den anderen, die nur passiv dasitzen.“ – „Hier muss ich unbedingt mal nen Gottesdienst mitfeiern“, sagen manche.

Hier fällt zunächst eine interessante Veränderung auf: Der Mensch rückt mehr und mehr in den Vordergrund.

War früher bei den Katholiken noch eine Messe in Lateinisch und mit Rücken zum Publikum die einzig vorstellbare Form des Gottesdienstes, sind solche Anwandlungen heute höchstens noch bei erzkonservativen Fundamentalistenchristen anzutreffen. Solche, die der Klapperstorch mindestens ein halbes Jahrhundert zu spät ausgeliefert hatte.

Wobei evangelikale Spinner (solche, die diese Bezeichnung wirklich verdienen) gerade auf dem besten Weg sind, ihren katholischen Glaubensfanatikern den Rang abzulaufen. Zumindest, was Radikalität, Fundamentalismus, Arroganz, Aggression und Realitätsverweigerung angeht.

Welche Bedeutung hatte das hier noch gleich…?

Konservative Kirchenvertreter hegen zumeist größte Bedenken gegen alle Veränderungen. Besonders immer dann, wenn sie ein Verblassen ihrer Glaubensinhalte befürchten.

Und diese Bedenken sind natürlich gerechtfertigt:

Irgendwann kommt der Tag, an dem sich niemand mehr erinnern wird, was genau eigentlich nochmal die tiefere Bedeutung war von diesem kreuzartigem Gebilde. Mit dem man irgendwann mal die lebensechte, aus allen Nägeln blutendende Darstellung eines Menschen, der gerade am Kreuz brutal und zu Tode gefoltert wird ersetzt hatte.

Der Beantwortung der Frage, warum sich die katholische Kirche zumindest inhaltlich so schnell nicht ändern wird, ist dieser Artikel gewidmet.

Moderne Kirche ist etwas anderes als moderne Kirchen

[…] Moderne Kirchen sind wichtig für uns alle. Denn sie helfen den christlichen Kirchen up to date zu sein.

Wenn Sie mit „uns alle“ die Christenschar meinen, dann mögen Sie recht haben. Wobei ja auch von diesen längst nicht alle scharf auf Modernisierung sind.

Wie praktisch, dass mit „Kirche“ sowohl das Gebäude, als auch die Institution gemeint sein kann. So lässt sich durch entsprechend vernebelte, bewusst doppeldeutige Rhetorik bequem ein bisschen Gebäudemodernisierung auf die Institution übertragen. Das Spiel mit dieser Doppeldeutigkeit ist schon im Titel der heutigen Fernsehpredigt erkennbar.

Jedoch: An der biblisch-christlichen Grundlage ändert sich nichts, wenn man sie statt in einer dunklen und muffigen Dorfkirche zum Beispiel in einer hypermodernen Mega-Church verkündigt. Oder in Herrn Alters Wellnesskirche. Dafür hat man ja seine Dogmen. Damit die Lehre den ach so gefürchteten „Zeitgeist“ unbeschadet übersteht. Und erst recht alle architektonischen Modernisierungen und sonstige Alfanzereien.

Nachdem der Trick, so zu tun, als würde eine Modernisierung von Kirchengebäuden auch direkt eine Modernisierung der dort verbreiteten Lehre bedeuten gerade schon mal so gut funktioniert hatte, legt Herr Alter gleich nochmal nach:

Reine Gefühlssache?

Entscheidend ist doch, ob ich mich in einer Kirche gut aufgehoben fühle und ob sie mir etwas für mein heutiges Leben zu sagen hat. Moderne Kirchen können das. Denn sie sprechen die Sprache unserer Zeit. All das, was uns als moderne Menschen bewegt, kommt in diesen Kirchen vor. Da ist Raum für meine Zweifel und Zukunftsängste. Da kann ich Kraft tanken für mein Engagement. Da finde ich Trost und Zuspruch, wenn es mir nicht gut geht. Ich muss mich nur hinein begeben und den Raum auf mich wirken lassen.

Das Ringen um religiöse Relevanz nimmt mitunter groteske Züge an. Auch schon vor 100, 500, 1000 und mehr Jahren haben Gläubige vermutlich in ihren Kirchen gezweifelt (vorzugsweise still, wenn ihnen ihr Leben lieb war) und Zukunftsängste gehegt. Nachdem auch der biblisch-christliche Gott seit seiner Erfindung durch Abwesenheit und Untätigkeit glänzt, soll es jetzt offenbar die Architektur richten. Die existiert wenigstens tatsächlich.

Für ausnahmslos alles, was Herr Alter hier beschreibt – vom Gefühl, gut aufgehoben zu sein bis hin zum vermeintlichen Trost und Zuspruch – braucht es die katholischen Glaubensinhalte, um die es hier ursprünglich mal ging offenbar gar nicht mehr.

Zumal ja Menschen das hier Beschriebene mindestens genauso intensiv und eindrücklich auch in beliebigen anderen Gebäuden erleben können. Im Wald, auf Berggipfeln – oder in der Badewanne.

Ganz ohne Darstellung, Einbildung und Verzehr eines Menschen, den sich ein lieber Gott zu seiner eigenen Befriedigung im Interesse von Menschen, die er vorher selbst als erlösungsbedürftig erschaffen hatte vorübergehend zu Tode hatte foltern lassen, um diese dann vor seinem eigenen Zorn verschonen zu können.

…und dann muss trotzdem wieder geglaubt werden

bunte BasteleiWie gerade schon angedeutet: Ganz gleich, ob Gläubige die Atmosphäre ihrer Kirche als beklemmend und bedrückend, oder aber als befreiend und angenehm empfinden: Die Äußerlichkeiten ändern nichts an der Absurdität und Unmenschlichkeit des biblisch-christlichen Belohnungs-Bestrafungskonzeptes, um das es hier nun mal grundsätzlich geht.

Und wenn die Kommunionkinder noch so schön gebastelt, die Landfrauen den Blumenschmuck noch so schön gestaltet haben und der Jugendpfarrer noch so schön Gitarre spielt: Früher oder später heißt es wieder: „Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach. Aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.“

– und was sich sonst noch so alles an Behauptungen in der katholischen Lehre findet, die ein Katholik eigentlich glauben müsste. Um sich redlicherweise als Katholik bezeichnen zu können.

Kurioserweise ist gerade das, was die meisten Mainstream-Christen heute an der katholischen Kirche kritisieren genau das, was diese Institution derzeit noch unterscheidbar macht.

Eine Aufgabe dieser Standpunkte wäre aus humanistisch-rationaler Sicht freilich wünschenswert. Sie würde allerdings auch sehr wahrscheinlich dazu führen, dass die RKK der EKD noch schneller in die Bedeutungslosigkeit folgen würde, als sie das gerade ohnehin schon tut.

Warten Sie nicht allzu lange!

Kennen Sie eine moderne Kirche in Ihrer Nähe? Wenn nicht, dann gehen Sie doch mal auf die „Straße der Moderne“ im Internet. Da finden Sie Dutzende moderner Kirchen. Oder besser noch: Machen Sie mal einen Ausflug zu einer solchen Kirche. Eine liegt bestimmt in Ihrer Nähe. Ich habe auf diese Weise schon so manches Kleinod entdeckt – und dabei so ganz nebenbei erlebt, dass Kirche eben doch nicht nur von gestern ist.

…aber beeilen Sie sich. Denn auch die Kirchen, die heute als „moderne Kirchen“ gelten, sind von der Aufgabe gleichermaßen bedroht wie die verbliebenen alten und sehr alten Kirchengebäude.

Folgenutzung von Kirchen – und was wird aus der Kirche?

Da bei Beton und anderen modernen Baustoffen die Bausubstanz oft noch besser ist als bei Fachwerk oder altem Gemäuer, werden moderne Kirchen allerdings eher noch mal erhalten und einer Folgenutzung zugeführt. Aus solchen Kirchen werden dann zum Beispiel Restaurants, Galerien, Cafés, Begegnungsstätten, Ateliers oder Kneipen…

Besonders dann, wenn es sich um historisch bedeutsame und architektonisch erhaltenswerte Bauwerke handelt, ist eine solche Folgenutzung sicher eine gute Möglichkeit, diese Gebäude auch dann noch zu erhalten, wenn es für ihre ursprünglich zugedachte Funktion gar keine Nachfrage mehr gibt. Stichwort Dampflok.

Meine Prognose: Weder moderne Kirchen, noch die Verschiebung des Focusses weg vom göttlichen (und/oder klerikalen?) Bedürfnis nach Verehrung und Unterwerfung durch die versammelten Schafe hin zur Befriedigung der Bedürfnisse des Publikums wird das Schrumpfen der Herde aufhalten können. Existentiell wird sich diese Entwicklung, wie immer in solchen Fällen, auf diejenigen auswirken, die mit der Verbreitung dieses Glaubens derzeit noch ihr Geld verdienen.

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1 Gedanke zu „Kirche(n) von heute – Das Wort zum Wort zum Sonntag, Thema: Moderne Kirchen“

  1. Danke für den guten Artikel!

    Meine Vermutung wäre, dass die mittelalterliche Märchenwelt vom Jesuskind und seiner jungfräulichen Mutter nur dann glaubwürdig ist, wenn sie in einem mittelalterlichen Umfeld erzählt und dargestellt wird. Der Besucher taucht in diese alte Märchenwelt ein, wenn er eine alte Kirche betritt.

    Hingegen verbleibt die eigene Phantasie beim Besuch einer modernen Kirche in der Moderne. Und dann funktioniert der erwünschte Selbstbetrug mit dem Jesuskind nicht mehr. Der Kontrast ist unübersehbar.

    Auch die ganzen Gesänge, die Psalmen und Lobsprüche sind in mittelalterlicher und schwülstiger Sprache verfasst. Diese Schwülstigkeit ist zudem ein beliebtes Vehikel in Predigten, um Widersprüche zu verschleiern, oder um Ausdrücke in bestimmten Stellen der Predigt möglichst zweideutig oder nebulös zu halten, oder um ein besonderes Pathos zu erzeugen. All das funktioniert in einer modernen Beton-Kirche nicht so gut.

    Die Gläubigen, die sich oft mürrisch über die modernen Kirchen äußern, wollen vermutlich eine ganz bestimmte Realitätsflucht geboten bekommen; deswegen sind sie ja gekommen.

    Am Ende bleibt es ein Schauspiel, bei dem sich Priester und Gläubige gegenseitig etwas vorspielen. Kirchen sind Bühne und Kulisse. Sobald man das Licht anknipst und all das Pappmaché erkennt, ist der Zauber doch vorbei.

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