Widerstehen – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Widerstand

Lesezeit: ~ 6 Min.

Widerstehen – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Widerstand verkündigt von Ilka Sobottke, veröffentlicht am 09.11.2019 von ARD/daserste.de

Darum geht es

In ihrer heutigen Fernsehpredigt spricht sich Frau Sobottke für eine offene und freie Gesellschaft aus. Dafür dankt sie dem Grundgesetz – und ihrem Gott.

Frau Sobottke erinnert an die Bürgerrechtlerin Katrin Hattenhauer. Wir erfahren, dass sich Frau Hattenhauer unter großem persönlichen Einsatz für Abschaffung der DDR eingesetzt hatte.

Berufschristen kolportieren solche Beispiele gerne, um damit zur Legendenbildung um die Bedeutung der Kirche für die Wiedervereinigung beizutragen.

Widerstand: Die Rolle Einzelner und die Rolle der Kirche

Widerstand DDRKeine Frage: Menschen aus dem kirchlichen Milieu spielten eine Rolle bei der Vorbereitung und Durchführung der friedlichen Proteste. Und man würde diesen Leuten sicher Unrecht tun, wenn man ihr Engagement im Widerstand nicht anerkennen und würdigen würde.

Allerdings sollte man in diesem Zusammenhang auch immer daran erinnern, dass es eben nicht die Kircheninstitutionen waren, von denen Protest und Widerstand ausgegangen waren.

Kirchenangestellte, die sich zu dieser Zeit gegen den Staat auflehnten, bekamen es nicht nur mit der STASI zu tun. Sondern auch – mit ihrer Kirche. Dass die biblisch-christliche Lehre das Buckeln unter der (politischen, weltlichen) Obrigkeit vorschreibt, ist nicht erst seit Martin Luther bekannt.

Allzu gerne versuchen Kirchenvertreter, die „Friedliche Revolution“ für sich zu vereinnahmen.  Um damit das Kirchenimage aufzupolieren. Offenbar mit Erfolg.

Denn das Narrativ von der Kirche, die quasi die friedliche Revolution gestartet und durchgeführt habe dürfte heute öfter zu hören sein als die Tatsache, dass die DDR zu diesem Zeitpunkt schlicht und ergreifend politisch, vor allem aber auch wirtschaftlich am Ende war.

Deshalb ist festzuhalten, dass die Rolle der Kirche bezüglich der friedlichen Revolution anders zu bewerten ist als das Engagement der Einzelnen, die sich gegen den staatstreuen, zumindest aber nicht oppositionellen Kurs der Kirche stellten und für ein Ende der Freiheitsberaubung durch den DDR-Staat demonstrierten.

Freiheit, die ich meine… aber welche?

[…] In der Bibel sagt einer dazu: Zur Freiheit hat uns Christus befreit, Bleibt aufrecht, lasst euch nicht unterjochen! So lebt Katrin auch heute. Sie hört nicht auf sich einzusetzen, denn Freiheit und Demokratie sind bedroht von rechter Hetze und von Gewalt – in West und Ost.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Widerstehen – Wort zum Sonntag, verkündigt von Ilka Sobottke, veröffentlicht am 09.11.2019 von ARD/daserste.de)

Das, worum es in dem Text geht, aus dem diese Zeile stammt, hat mit dem, was wir heute im Allgemeinen unter dem Begriff Freiheit verstehen herzlich wenig zu tun. Dort geht es auch nicht um Demokratie, Pluralismus, Gedanken-, Rede- oder sonstige persönliche Freiheit. Sondern um den Versuch, das Juden- und das Christentum miteinander in Einklang zu machen.

Mit „Freiheit“ ist hier die Freiheit von den umfangreichen jüdischen Verhaltensregeln und Vorschriften gemeint. Allem voran die Vorschrift der Vorhautamputation.

Worum es eigentlich geht

Dem anonymen Bibelschreiber mit Pseudonym Paulus geht es nicht um den Wert der körperlichen Unversehrtheit, wenn er seinen männlichen Lesern die Freiheit einräumt, ihren Penis im Originalzustand zu belassen.

Vielmehr muss er einen Weg finden, das gerade im Entstehen begriffene Christentum sowohl für Juden, als auch für Heiden und Anhänger aller beliebigen anderen Gottheiten schmackhaft zu machen. Oder zumindest genießbar.

Nachdem sich Paulus (dessen in der Bibel geschilderte Vorstellungen, Ansichten und Ideen eine psychische Erkrankung vermuten lassen) ausführlich über das Thema „Bedeutsamkeit von Vorhautamputationen“ ausgelassen hat, scheinen ihn seine Sexphantasien so überwältigt zu haben, dass er den Galatern schnell doch noch einen Tipp mitschicken muss.

Nicht dass sein Publikum das mit der Freiheit vielleicht noch falsch interpretiert:

  • Wenn ihr euch aber untereinander beißt und fresst, so seht zu, dass ihr nicht einer vom andern aufgefressen werdet.
    (Quelle: Galater 5,15 LUT – Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.)

Die Grenzen der Toleranz

Zu Thema Hetze und Gewalt ist anzumerken: Gegen alles, was Freiheit und Demokratie bedrohen sollte man sich einsetzen – egal, aus welcher politischen, religiösen, ideologischen oder sonstigen Ecke es kommt.

Woher der Wind hier wahrscheinlich weht, liegt indes auf der Hand: EKD-Chef Bedford-Strohm hat derzeit alle Hände voll zu tun, die konservative Abteilung seiner Schäflein davon zu überzeugen, dass sie auch dann noch willkommen ist, wenn sich die Kirche von rechtsradikalem Gedankengut, wie es jetzt in Texten des sächsischen Landesbischofs Rentzing aufgetaucht war distanziert.

Immer dann, wenn es Berührungspunkte zwischen religiöser Phantasie- und realer Welt gibt, wird die Unbrauchbarkeit von Glaubenslehren als Moralquelle offensichtlich: Selbst grundlegende Fragen lassen sich, zum Beispiel biblisch-christlich in sich schlüssig begründet, völlig gegensätzlich beantworten. Sehr zur Freude der Theologen, denen deshalb wohl auch in Zukunft nie langweilig wird.

Grundgesetz und Gott sei Dank!?

Es ist absurd, dass Leute von Rechts behaupten, sie(!) wären Widerstandskämpfer. Gegen was? Eine Meinungsdiktatur, sagen sie! Ja, es ist nicht erlaubt gegen Minderheiten zu hetzen Es ist nicht erlaubt Menschen zu bedrohen, weil sie anders sind oder weil sie eine andere Meinung haben. Unserem Grundgesetz und Gott sei Dank!

Nächstenliebe - (c) Jacques Tilly
Nächstenliebe – (c) Jacques Tilly

Wissen Sie, was mindestens genauso absurd ist, Frau Sobottke? Göttern im Allgemeinen und dem biblisch-christlichen Monogott im Besonderen für irgendetwas zu danken.

Geradezu zynisch, zumindest aber heuchlerisch bzw. ignorant finde ich es, ausgerechnet diesem Gott Dank zu sagen – für ausgerechnet die Werte, auf denen die Freiheit beruht, die wir heute hierzulande genießen dürfen.

Denn diese Werte mussten von Vertretern der Aufklärung und Säkularisierung gegen den erbitterten Widerstand des christlichen Klerus hart erkämpft werden.

Während der gut 1000 Jahre, in denen das Christentum die Macht dazu hatte, hatte die christliche Kirche alles unternommen, Menschen daran zu hindern, frei und selbstbestimmt zu leben. Und alles bedeutet hier wirklich alles.

Damit kommen wir zu einem der Hauptkritikpunkte an der Kirche in Deutschland: Denn bis heute maßt sich diese Kirche an, die persönliche Freiheit aller Bürger (und nicht etwa nur die ihrer Anhänger) in vielen Bereichen zu beschneiden (um beim biblischen Wording zu bleiben).

Das beginnt vor der Geburt und endet noch nicht mal mit dem Tod.

Wem gebührt wirklich Dank?

Die 6 Europäischen Werte
Die 6 Europäischen Werte. (c) TeamFreiheit.info – Humanistischer Verein für Demokratie und Menschenrechte

Daran, dass Frau Sobottke ihrem magischen Himmelsfreund für die Werte einer offenen und freien Gesellschaft dankt, bestätigt sie die eingangs schon angesprochene These:

Weil einige Kirchenmitglieder – anders als die Institution Kirche – ihre Glaubenslehre als Motivation zum friedlichen Freiheitskampf verstanden hatten, verbreitet die Kirche heute gerne das Narrativ von der christlichen Kirche (oder, wie im heutigen „Wort zum Sonntag“, das vom hauseigenen lieben Gott), die bzw. der quasi die Wende herbeigeführt bzw. unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung und Gesetzgebung initiiert hätte.

Eine wunschgemäße, aber eben auch reichlich verzerrte Darstellung und Verkennung der Tatsache, dass die DDR in erster Linie einfach komplett pleite war. Und der Tatsache, dass die meisten Religionen erst überwunden bzw. entmachtet werden müssen, bevor an Freiheit überhaupt nur zu denken ist.

Frau Sobottke, wenn Sie jemandem für Ihre Freiheit danken möchten, dann danken Sie doch allen Menschen, die sich, aus welcher Motivation heraus auch immer, für eine friedliche Wiedervereinigung eingesetzt hatten.

Danken Sie den Leuten, die, mitunter unter Einsatz ihres Lebens dafür eintraten, dass nach über 1000jähriger Kirchenherrschaft und kirchlich legitimierter und begünstigter politischer Unterdrückung wieder die Grundlagen geschaffen wurden, auf denen eine offene und freie Gesellschaft erst entstehen konnte.

Göttern gebührt kein Dank. Auch nicht dem, um den es hier geht. Den seine Anhänger zum Monogott gemacht hatten. Die Spaltung der Gesellschaft in Gut (=rechtgläubig) und Böse (=un- und andersgläubig) ist eine, wenn nicht die grundlegende Eigenschaft und Funktion des Monotheismus.

Das Toleranz-Paradoxon

Ein offenes Land und freie Menschen das bedeutet gerade heute, zusammen zu stehen mit allen, die Angst haben müssen vor der Grausamkeit der Worte und Taten: Juden und Muslime, Frauen, Schwule und die nicht zu vergessen, die sterben an den Grenzen Europas. Ein offenes Land und freie Menschen – diese Forderung ist noch lange nicht erfüllt, aber sie gilt!

Frau Sobottke, es freut mich, dass Sie die Vorzüge einer offenen und freien Gesellschaft zu schätzen wissen. Auch dass für eine solche Gesellschaft die Grenzen der Toleranz festgelegt werden müssen, deuten Sie in Ihrer heutigen Fernsehpredigt an – auch, wenn Sie irrtümlicherweise Ihrem Gott dafür danken.

  • Das Toleranz-Paradoxon wird wirksam, wenn eine tolerante Macht aufgrund ihrer Toleranz intoleranten Kräften erlaubt oder ermöglicht, die eigene Toleranz einzuschränken oder abzuschaffen.
    (Quelle: Wikipedia)

Und genau deshalb gilt es, die Grenzen der Toleranz auszuhandeln und festzulegen, welche Maßstäbe hierzu sinnvollerweise gelten sollen.

Die Freiheit, die wir hierzulande und heutzutage genießen dürfen, basiert auf den 6 europäischen Werten. Schon bei den drei Grundsäulen (Humanistisches Denken, Rationalität und Säkularität) scheidet Religion als Moralquelle aus.

Deshalb ist es auch ein für einen Säkularstaat untragbarer Zustand, dass bis heute etliche Gesetze unserer Verfassung auf religiösen Phantasievorstellungen basieren.

Die Gedanken sind frei – auch die religiösen

Was natürlich nicht heißt, dass nicht auch religiöse und anderweitig magische oder esoterische Weltanschauungen alle unter dem Stichwort „Gedankenfreiheit“ in einer offenen und freien Gesellschaft ihren Platz haben können  – solange dadurch keine gleichberechtigten Interessen Anderer verletzt werden.

Im Falle von Religion kommt jedoch noch Kritikpunkt hinzu: Auch Mainstreamvertreter, die ihr Glaubensverständnis weitestgehend mit modernen ethischen Standards harmonisiert haben, tragen durch ihr Festhalten an den jeweiligen „Heiligen Schriften“ dazu bei, dass diese auch Glaubensfundamentalisten und religiös motivierten Verbrechern ebenfalls als vermeintlich übergeordnete, göttliche Wahrheit zur Legitimierung ihrer Verbrechen zur Verfügung stehen.

Dabei wäre das meist gar nicht nötig. Denn fühlt man Christen auf den Zahn, so stellt sich oft heraus, dass sie die biblischen Mythen und Legenden eigentlich auch einfach weglassen und ihren Standpunkt mit vernünftigen Argumenten begründen könnten. Allzu oft stellt sich in Diskussionen heraus, dass viele Christen einfach nur noch an die Legende von der christlichen Moral glauben.

Dass selbst eine noch so windelweich gespülte EKD-Kuschelversion der christlichen Lehre auch Verbrechern zumindest indirekt in die Hände spielt, ist meiner Erfahrung zufolge den wenigsten Gläubigen bewusst. Und dass zwischen ihrer harmlosen Realitätsflucht und dem menschenverachtenden und oft kriminellen Gebaren von (überwiegend evangelikalen oder erzkatholischen) Hardlinern ein Zusammenhang besteht, wollen sie meist nicht wahrhaben.

Das Christentum hätte viele Jahrhunderte lang die Gelegenheit gehabt, die Tauglichkeit seiner Lehre als Grundlage für eine offene und freie Gesellschaft unter Beweis zu stellen. Diese Zeit ist heute bekannt als das Finstere Mittelalter.

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2 Gedanken zu „Widerstehen – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Widerstand“

  1. Ach, Frau Sobottke … Schauen Sie doch mal, wie Ihre christlichen Glaubensgenossen in Polen, Ungarn, Russland usw. erbitterten Widerstand leisten – gegen die offene Gesellschaft und deren Werte. Und schauen Sie doch mal, wer den harten Kern der Wähler Trumps bildet, der diese Werte auch für Unsinn hält. Na, klingelt`s endlich? Wenigstens ein bisschen?

    Antworten
  2. Es ist doch immer wieder verwunderlich, was die Mehrzahl der Religionen meint, für sich zu reklamieren zu müssen.
    Sei es (Denk)Freiheit, (Welt)Frieden, oder Umwelt(Klima)schutz!
    Davon ist weder im Koran, noch im alten-, wie im neuen Testament etwas zu finden.
    Und alles „Unschöne“, was in der Bibel steht, ist entweder als Gleichnis zu verstehen, oder wird mit dem Mantel der „Nächstenliebe“ zugedeckt! Es wird dann von den Gläubigen ein Gebet gesprochen, sich selbstgefällig zurückgelehnt und die Welt ist in Ordnung! Gott wird’s ja schon richten! Das ist einfach nur einfältig und kindlich naiv!

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