Leere Versprechungen – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 6 Min.

Leere Versprechungen – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Christian Rommert, veröffentlicht am .3.2021 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Pfarrer Rommert prangert alle möglichen leeren Versprechungen an – ausgenommen freilich die leeren Versprechungen seiner Religion. Und das, obwohl er die „Wahrheit die weh tut“ der „Lüge, die tröstet“ vorzieht?

…Obacht geben, länger leben…

Zum Einstieg erzählt Pfarrer Rommert von seiner Kindheit in der DDR. Wo er schon am ersten Schultag lernte, dass es nicht unbedingt immer sinnvoll ist, alles zu sagen, was man so denkt. Besonders dann, wenn schon ein unbedachtes Wort dramatische Konsequenzen haben kann. Wie das in der DDR nun mal der Fall war.

Die Meinungs- und Redefreiheit sind sehr hohe Werte, die mühsam erkämpft werden mussten. Nicht nur in politischen Diktaturen. Sondern auch zu Zeiten, in denen das Christentum an der Macht war.

Unzählige Leute hätten ein Lied davon singen können, wenn sie vorher nicht wegen der Äußerung vermeintlich falscher Behauptungen ermordet worden wären. Wie zum Beispiel Giordano Bruno. Weil seine Erkenntnisse über die Beschaffenheit des Universums nicht mit den (falschen) Vorstellungen des christlichen Klerus übereingestimmt hatten.

Umso mehr aus der Zeit gefallen erscheint da der so genannte Blasphemie-Paragraph § 166 I StGB.

Der stammt aus einer Zeit, in der man noch befürchtete, eine Verunglimpfung oder Beschimpfung religiöser Bekenntnisse (also nicht etwa religiös gläubiger Menschen) könne unter Umständen geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu gefährden. Der Blasphemieparagraph erscheint heute wie ein Relikt aus gar nicht so lange, aber trotzdem definitiv vergangener Zeit.

Irdische Realität vs. christliches Gebot

Aber zurück zum kleinen Christian, der in Eisenach derzeit früh beigebracht bekommen hatte:

„Du darfst alles denken, aber nicht alles sagen!“.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Leere Versprechungen – Wort zum Sonntag, verkündigt von Christian Rommert, veröffentlicht am .3.2021 von ARD/daserste.de)

Das wiederum war offenbar mit den in der Familie Rommert relevanten biblisch-christlichen Ansichten schwer vereinbar:

Andererseits: wir waren auch Christen und kannten das Wort Jesu aus der Bergpredigt: „Eure Rede sei ja, ja oder nein, nein. Alles andere ist vom Bösen.“ Eine Leitlinie für Christinnen und Christen. Ihr sollt nicht schwören! Bei Euch soll ein einfaches Ja genügen. Man soll sich auf Euer Wort verlassen können. Das schreibt Jesus seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern ins Stammbuch. Nicht „Ihr sollt Euch um die Wahrheit drücken und Euch herauswinden.“ Ihr Gläubigen seid frei von den Zwängen dieser Welt, ihr sollt Euch anders verhalten.

Warum haben wir uns an dieses Gebot Jesu nicht gehalten? Damals… in der DDR… Wir waren vorsichtig. Mussten wir sein! „Schaut Ihr Westfernsehen?“ … Ja, ja! Nein, nein?

„Du darfst alles denken, aber nicht alles sagen.“

Als Kind musste ich lernen: es ist klüger, nicht immer alles heraus zu posaunen. Das ist notwendig in solch einem System wie der DDR. Wo Du Angst hattest, dass Dir aus allem ein Strick gedreht werden kann. Über 30 Jahre ist das her.

Tja. Das ist eines der Probleme, mit denen man konfrontiert sein kann, wenn man in einer Diktatur lebt, in der ein falsches Wort fatale Folgen haben kann.

Und eines der Probleme, das man sich einhandelt, wenn man sich gleichzeitig an einer längst überholten Schwarz-Weiß-Moral orientieren muss. Weil man zufällig in eine Religion hineingeboren wurde, die ihren Anhängern eine solche Moral verordnet.

Alles andere ist vom Bösen?

Da bleibt einem dann wohl nur die Wahl, sich entweder für eine Märtyrer-Karriere zu entscheiden. Frei von den Zwängen dieser Welt. Aber eben vielleicht auch nicht mehr lange auf eben jener zugegen.

Oder man macht sich die Mühe, mal die Tauglichkeit dieser „Leitlinie für Christinnen und Christen“ kritisch zu hinterfragen. Die in der Bibel diesbezüglich so aussieht:

Eure Rede sei ja, ja oder nein, nein. Alles andere ist vom Bösen.

Dass es so einfach nicht immer ist, hat Herr Rommert ja mit seinem DDR-Beispiel gerade selbst bewiesen.

Nimmt man die biblischen Ge- und Verbote und Verhaltensregeln ernst, dann fällt auf, dass diese – kaum erstaunlich – selbst für einen Großteil der zeitgenössischen Mainstream-Christenschar praktisch keine Rolle mehr spielen.

Wer hält schon tatsächlich auch die linke Backe hin, wenn er auf die rechte Backe geschlagen wurde? Und wer vertraut heute noch wirklich ernsthaft darauf, dass sich der liebe Gott schon um einen kümmern wird wie um die Vögel auf dem Felde? Wenn man ihn nur aufrichtig darum bittet?

Ganz zu schweigen von den unzähligen Anweisungen aus dem „Alten Testament.“ Es soll gar schon Frauen gegeben haben, die mit Kurzhaarfrisur und Kleidung aus Mischgewebe vor der Versammlung das Wort ergriffen haben! Und – wer weiß – womöglich auch noch heimlich ihres Nächsten Sklaven begehrten, während sie am Buffet Klippdachs-Filet und Shrimps naschten oder am Sonntag im Wald Stöckchen sammelten! Letzteres ein Vergehen, das laut Bibel mit kollektiver Steinigung durch die Gemeinde zu ahnden ist.

Aber nicht nur die viel gepriesenen biblisch-christlichen „Leitlinien“ entpuppen sich bei näherer, objektiver Betrachtung als überwiegend trivial, irrelevant oder überholt.

Leere Versprechungen

Auch alle Versprechungen sind offenbar selbst für immer mehr Gläubige heute völlig irrelevant. Zumindest die, die sich auf die irdische Wirklichkeit beziehen und somit überprüfbar sind.

Das sollte doch eigentlich jetzt möglich sein…! Angst brauche ich keine mehr haben! Ich darf sagen, was ich denke. Jede und jeder darf was sagen, andere könnten, Behörden, könnten Regierungen könnten… Kirchen könnten, aber – sie tun es nicht. Warum müssen Betroffene sexueller Gewalt Jahrelang auf Gerechtigkeit warten?

Oder: War es nicht absehbar, dass das nicht klappen kann mit den Tests bis zum erneuten Schulstart? Ich kann es nicht glauben, dass das nicht schon einen Tag vorher klar sein konnte. Aber warum sagt es keiner der Verantwortlichen? Die Wahrheit!

Oder Impfungen, groß seit Jahresbeginn angekündigt. Aber keiner sagte, dass wir gar nicht genug Impfstoff haben.

Warum nicht? Haben sie Angst? Wovor?

Hier ist, wie so oft, ein differenzierter Blick sinnvoll. Und ein solides ethisch-humanistisches Fundament. Statt archaischer Gut-Böse-Einteilungen.

Man könnte zum Beispiel versuchen abzuschätzen, welche Folgen ein gesprochenes oder verschwiegenes Wort für sich und andere haben könnte.

Mögliche Gründe, nicht die Wahrheit zu sagen

Meme Wahrheit suchenIm Beispiel der DDR verhält es sich ähnlich wie beim oft genannten Beispiel aus der Nazidiktatur. Wo es Menschen schnell mal ihre Freiheit, aber auch ihr Leben kosten konnte, wenn sie sich konsequent dem Bibelspruch entsprechend verhalten hätten. Wie zu der Zeit, als die Kirche noch die Macht dazu hatte, unliebsame Meinungen nicht nur per Gesetz, sondern auch per kurzem Prozess zu unterbinden.

Anders sind die Situationen zu bewerten, in denen Menschen lügen, weil sie befürchten, dass ihre Aussagen ihrem Ansehen schaden könnten. „Alles, was Sie jetzt sagen, kann gegen Sie verwendet werden.“

Und nochmal anders sieht es aus, wenn es um Aussagen geht, die sich einfach noch nicht sicher sagen lassen können. Weil die Faktenlage zu einem bestimmten Zeitpunkt noch keine verbindliche Aussage zulässt.

Dazu kommt noch das „Rumgeeiere“, als das Herumreden um den heißen Brei. Neben so manchen PolitikerInnen ist hier natürlich die Zunft der TheologInnen zu nennen. Deren primäre Aufgabe genau darin besteht. Kostproben liefert der AWQ-Theologie-Generator TheoGen2.

Ob in der Politik oder in der Religion: Wenn andere Gründe ausscheiden, geht es meist darum, nicht auf seine Behauptungen festgenagelt werden zu können. Um sich damit nicht agreifbar zu machen.

Klarheit! Statt hin und her

Da wünsche ich mir Klarheit: Ja, ja bis Montag ist alles da! Oder Nein, nein wir schaffen das nicht rechtzeitig! Klarheit! Stattdessen: hin und her. Versprechungen machen und nicht einhalten können.

Leere VersprechungenEiner solchen Kritik dürften wohl die meisten Menschen zustimmen. Natürlich kann Herr Rommert sicher sein, mit einem solchen Standpunkt einen Großteil seines Publikums auf dem Allgemeinplatz um sich versammeln zu können.

Allerdings kommt mir bei „Versprechungen machen und nicht einhalten können“ unweigerlich auch das biblisch-christliche Heilsversprechen in den Sinn.

Und beim Stichwort Klarheit! das Geschwurbel, mit dem Theologen die Tatsache gekonnt vernebeln, dass schon die Prämissen ihrer Überlegungen von einer rein menschlichen Einbildung/Wunschvorstellung nicht zu unterscheiden sind.

Wie war das noch gleich mit dem biblischen Balken im eigenen Auge…? Ah, da ist er ja schon:

Balken im Auge, wiedermal

Auch bei der nun folgenden Selbstreflexion scheint Pfarrer Rommert überhaupt nicht zu bemerken, dass zu seinen „Balken im eigenen Auge“ nicht nur kleine Alltagslügen, sondern auch seine religiösen Versprechen gehören:

Ok, soweit im Großen. Aber wer mit einem Finger auf andere zeigt, zeigt mit drei Fingern auf sich selbst. Oder: Was siehst Du den Splitter im Auge des Anderen und siehst den Balken in Deinem nicht. Wie ist das denn bei mir im Privaten mit dem Ja, ja und nein nein?

„Sag mal, meinst Du, ich hab zugenommen?“. „Äh, nein!“

„Papa, schau mal, was ich gemalt habe!“. „Oh, wie schön das geworden ist!“

Zum Thema Notlügen empfehle ich die Lektüre dieses Beitrages, der sich mit damit befasst.

Wahrheit die wehtut vs. Lüge, die tröstet

Und zum Schluss fordert Pfarrer Rommert knallhart und schonungslos „die Wahrheit und nichts als die Wahrheit“:

Ich jedenfalls bin so: mir sagt man lieber eine Wahrheit, die wehtut, als eine Lüge, die tröstet! Vielleicht geht das anderen genauso? Dann mal los: Eure Rede sei ja, ja oder nein, nein!

Meine Rede ist nicht ja, ja oder nein, nein und auch nicht vom Bösen, sondern immer offen für gute Gegenargumente. Sie lautet:

  • Herr Rommert, Ihr Gott ist bis zum Beweis des Gegenteils ein von vergleichsweise primitiven Menschen aus Unwissenheit, hoffnungsvoller Illusion und Angst heraus ersonnenes Phantasieprodukt. Ursprünglich designt, um einen halbnomadischen Wüstenstamm in der ausgehenden Bronzezeit einfacher führen zu können. Und später so umdefiniert, dass die zugehörige Glaubenslehre als Staatsreligion taugte.
  • Ausnahmslos alle auf dem Bibelgott basierende Heilsversprechen sind bis zum Beweis des Gegenteils genauso fiktiv wie die Höllendrohungen, die mit diesen untrennbar einhergehen.
  • Zweifellos haben Götter samt ihren zugehörigen Narrativen einen mythomotorischen Effekt, der Menschen zu ethisch und menschlich richtigem, allerdings genauso auch zu unethischem, unmenschlichen Verhalten verleiten kann.
  • Bis zum Beweis des Gegenteils sind auch die biblisch-christlichen Heilsversprechen genau das, was Sie zurecht anprangern: Leere Versprechungen.

Herr Rommert, wenn Ihnen die Wahrheit, die durchaus auch mal weh tun kann lieber ist als eine Lüge, die tröstet: Wieso haben Sie sich dann ausgerechnet für den Beruf des Pfarrers entschieden?

Wo Sie da ja von Berufs wegen die Augen vor der Wahrheit (Gott existiert bis zum Beweis des Gegenteils nur in der menschlichen Phantasie, andernfalls bräuchte ja niemand an ihn zu glauben) verschließen müssen? Und stattdessen Lügen verbreiten, die trösten (der biblische Gott existiert und liebt alle Menschen, die sich von ihm bei Androhung von endloser Dauer-Höllenfolter lieben lassen möchten)?

Dann mal los!

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