Gedanken zu: Vier „Lügen“ über die katholische Kirche – und die Wahrheit

Lesezeit: ~ 12 Min.

Vier „Lügen“ über die katholische Kirche – und die Wahrheit, Kommentar zu einem Artikel von Christoph Paul Hartmann auf katholisch.de

Darum geht es

Der katholische Katholik und Wissenschaftler Gerard Verschuuren konstruiert eine Reihe von Strohmännern, um Kritik an der katholischen Kirche als „Lüge“ zu entlarven. Seine religiöse Wahrheiten erweisen sich als wenig überzeugend.

In einem katholisch.de-Beitrag vom 8.6.2019 präsentierte Christoph Paul Hartmann vier kritische Behauptungen über die katholische Kirche, die er als „Lüge“ bezeichnet.

Grundlage des Beitrages ist ein Buch des offenbar durch und durch katholischen Katholiken, Wissenschaftlers und Publizisten Gerard Verschuuren.

Von den insgesamt 40 im Buch behandelten „Lügen“ hat Hartmann vier herausgesucht. Natürlich samt der „Wahrheiten“, mit denen Verschuuren diese vermeintlichen Lügen zu entkräften versucht.

Immerhin weist Hartmann darauf hin, dass die „Wahrheiten“ des katholischen Wissenschaftlers (offenbar innerhalb der katholischen Kirche, weil, wen sollte das sonst interessieren?) nicht unumstritten sind.

Quelle: Screenshot katholisch.de
Quelle: Screenshot katholisch.de

Fun Fact (1) vorab: Die Überschrift des Artikels auf katholisch.de ist nochmals überschrieben. Und zwar mit: Ohne Kirche gäbe es keine Wissenschaft.

Eigentlich würde man an dieser Stelle ja ein Beispiel für eine der angeblichen Lügen erwarten. Später im Artikel wird aber genau diese Behauptung als wahr ausgegeben.

Fun Fact (2): Im Artikel setzt der Autor die Begriffe Lüge und Wahrheit jeweils in Gänsefüßchen. Außer in der Überschrift: Hier ist nur die Lüge apostrophiert. Nicht aber die (eigene) Wahrheit. Ob dies nur im Artikel von Hartmann so ist oder auch im Buch, konnte ich leider nicht ermitteln.

Und schon gehts los mit Verschuurens Strohmann-Parade:

1. These: Die Beichte macht es einfach

„Die Lüge“: Katholiken haben mit der Beichte eine willkommene Möglichkeit, sich durch einen Priester von allen Sünden reinwaschen zu lassen. Danach können sie wieder in aller Ruhe neue Sünden begehen.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Ohne Kirche gäbe es keine Wissenschaft – Vier „Lügen“ über die katholische Kirche – und die Wahrheit, Artikel auf katholisch.de, abgerufen am 2.10.2020)

Darüber, warum Herr Hartmann die Begriffe „Lüge“ und „Wahrheit“ jeweils in Anführungszeichen setzt, kann man zunächst nur spekulieren.

Womöglich ist er sich doch nicht so ganz sicher bezüglich des Wahrheitsgehaltes der Thesen. Und, abgesehen von der  Überschrift, wohl auch nicht mehr bezüglich der Wahrheit, die Herr Verschuuren beisteuert.

„Die Wahrheit“: Gerard Verschuuren schreibt, dass nicht der Priester Sünden vergibt, sondern Gott selbst. Ein Geistlicher ist dabei nur der Mittler.

Verschuurens Strohmann-ParadeWer solches behauptet, tut freilich gut daran, dieser angeblichen Wahrheit ein paar dicke Gänsefüßchen zu verpassen.

Götter sind bis zum Beweis des Gegenteils rein menschliche Fiktionen. Ersonnen aus Unwissenheit, Angst, hoffnungsvoller Illusion und immer zu bestimmten Zwecken. Genauso fiktiv, genauer: eingebildet kann eine göttliche Vergebung deshalb auch nur sein.

Tatsächlich beginnt also schon die erste katholische Wahrheit schon im ersten Satz mit einer Lüge.

Die natürlich aus katholischer Sicht nicht als Lüge gelten würde. Und wie wir am Beispiel Verschuuren gerade vor Augen geführt bekommen, sind auch Wissenschaftler nicht zwangsläufig bzw. nicht unbedingt immer so konsequent wissenschaftlich unterwegs, wie es Wissenschaftlichkeit erfordert. Dazu später mehr.

Schon in diesem ersten Kritikpunkt hat sich Verschuuren einen Strohmann eingebaut: Denn ob der Priester nun aus eigener Kraft oder vermittels vermeintlich göttlicher Legitimierung die Beichte hört und Sünden vergibt, macht faktisch keinen Unterschied, wenn  es um den Wert einer Vergebung durch einen völlig Unbeteilligten (egal ob in Form eines Priesters oder eines magisch-esoterischen Himmelswesens) geht.

Von vorne anfangen zu sündigen

Die Beichte ist auch keine Einladung, neue Sünden zu begehen, sondern die Möglichkeit, noch einmal von vorne anzufangen.

Meme: Jesus died for nothing
Quelle: Netzfund

Da Menschen laut katholischer Lehre gar nicht anders können als sich falsch zu verhalten und sündhaft handeln, bedeutet „von vorne anzufangen“ natürlich auch „weiter zu sündigen.“

Um Fehlverhalten zu bereuen und nach Möglichkeit einen entstandenen Schaden wieder gut zu machen, braucht es keine Demut vor fiktiven Götterwesen.

Das ist eine rein natürliche, (zwischen-)menschliche Angelegenheit. Und genausowenig braucht es für diesen Vorgang eine priesterlich vermittelte, göttliche und deshalb auch genauso nur eingebildete Freisprechung. Götter mögen sich, sollte es sie geben, gefälligst um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern.

Ein Priester, der dem Beichtenden gegenüber behauptet, er, der Priester, sei in der Lage, göttliche Sündenvergebung weiterzuleiten, der – lügt.

Wie allerdings mit Katholiken umgegangen werde soll, die die Beichte in dieser Weise gebrauchen, sagt der Wissenschaftsphilosoph nicht.

Verständlich. Denn ohne eine vernünftige Begründung, warum eine Beichte keine Möglichkeit zum erneuten Sündigen sein sollte, bleibt es bei einer bloßen Behauptung. Und was ohne Beweis behauptet werden kann, kann auch ohne Beweis verworfen werden. Weitere Überlegungen zum absurden Konzept der Beichte gibts in diesem Beitrag.

2. These: Katholiken behindern die Wissenschaft

„Die Lüge“: Die katholische Kirche hat den wissenschaftlichen Fortschritt immer aufgehalten. Sie glaubt lieber an die Version der Bibel, nach der die Erde flach ist und sich die Sonne um die Erde dreht.

Hier bastelt sich der Autor erneut schon in der „Lüge“ einen klassischen Strohmann.

Sicherlich finden sich auch in der katholischen Abteilung Gläubige, die an den offenkundig falschen biblischen Aussagen über die Beschaffenheit der Dinge unbeirrt (sic!) festhalten. Das stimmt, weils in der Bibel steht.

Allerdings hat sich auch in Kirchen- und Religionskritischen Kreisen herumgesprochen, dass „die katholische Kirche“ wohl oder übel wissenschaftliche Erkenntnisse nach und nach irgendwann dann doch noch anzuerkennen pflegt. Wenns gar nicht mehr anders geht.

Kritik an kirchliche Existenzaussagen war lebensgefährlich, auch ohne Dogma

„Die Wahrheit“: Über die Beschaffenheit der Erde oder ihre Stellung im Universum hat sich die katholische Kirche laut Verschuuren nie dogmatisch geäußert. Das ist auch nicht ihr Metier, denn ihr geht es um die Beziehung mit Gott.

Zumindest war sich die katholische Kirche viele Jahrhunderte lang (solange sie die Macht dazu hatte) ihrer vermeintlich übergeordneten und ewigen göttlichen Wahrheit so sicher (oder unsicher?), dass sie unzählige Menschen ermordete. Nämlich dann, wenn diese Erkenntnisse präsentierten, die biblisch-christliche Wahrheiten als falsch entlarvten. Oder diese auch nur in Frage stellten.

Kirche und moderne Wissenschaft

Aber die Kirche hat eine lange Beziehung mit der Wissenschaft – denn ohne die Kirche wäre die moderne Wissenschaft nicht denkbar.

WahrheitDas Interesse der Kirche an der Wissenschaft lässt sich damit erklären, dass man sich durch sie den lang ersehnten und bis heute nicht gefundenen gültigen Gottesbeweis zu finden erhoffte. Mir ist indes kein einziges Beispiel bekannt, wo eine religiöse Behauptung jemals als richtigere, gültige Aussage allgemein anerkannt worden wäre.

Das weiß sicher auch Herr Verschuuren. Der seine Kirche deshalb vorsichtshalber aus der Schusslinie nimmt. Indem er anmerkt, dass die Wissenschaft ja gar nicht ihr Metier sei.

Die kirchliche Beziehung zur Wissenschaft hat keine religiöse, sondern in erster Linie historische Gründe: Früher war die Wissenschaft noch im kirchlichen Milieu angesiedelt.

Heute ist es umgekehrt: Die Theologie ringt darum, trotz der Unwissenschaftlichkeit ihres Gebietes auch weiterhin noch am wissenschaftlichen Universitätsbetrieb teilnehmen zu dürfen.

Auch der Atomforscher Oppenheimer hat dereinst gesagt,…

Wenns bei einem Gläubigen um Kirche und Wissenschaft geht, darf ein Argumentum ad verecundiam, zu deutsch Autoritätsargument natürlich nicht fehlen:

Diesen Standpunkt vertrat bereits der britische Philosoph Alfred North Whitehead in den 1920er Jahren. Auch der Atomforscher J. Robert Oppenheimer hielt fest, dass „das Christentum für die moderne Wissenschaft notwendig war.“

Na, wenn die das gesagt haben, dann muss es natürlich stimmen! Was alle religiösen Wissenschaftler tatsächlich belegen: Manchen Menschen gelingt es tatsächlich, vernünftiges, wissenschaftliches Denken und irrationalen religiösen Glauben irgendwie unter einen Hut zu bekommen.

…und was im Buch der Weisheit steht, muss ja stimmen…

Und schon gehts munter weiter mit den altbekannten Scheinargumenten, wie sie in theologischen Verkündigungen und Publikationen (man möchte fast sagen: zwangsläufig, mangels gültiger Argumente) an der Tagesordnung sind.

Als nächstes ist ein Non sequitur, also ein „Es folgt nicht“-Argument an der Reihe:

Das liegt am Gottesbild des Christentums: Es geht davon aus, dass die Erde von einem rationalen Intellekt geschaffen wurde und damit erforschbar ist. So steht etwa im Buch der Weisheit: „Du aber hast alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet.“ (Weish 11,20)

Auch etwas, das nicht von einem rationalen Intellekt geschaffen wurde, ist erforschbar. Oder umgekehrt: Damit etwas erforschbar ist, muss es nicht unbedingt von einem rationalen Intellekt geschaffen worden sein.

Und nochmal anders: Niemand kann sagen, ob es nicht auch etwas geben könnte, was zwar von einem rationalen Intellekt geschaffen wurde, aber (für Menschen bzw. bis auf Weiteres) trotzdem nicht erforschbar ist.

Schon gar nicht folgt aus einer Erforschbarkeit, dass die Erde von einem Berge-Wetter-Wüsten-Kriegs-Rache-Stammes-Provinzgott namens Jahwe geschaffen wurde.

Da hilft es auch nichts, wenn man sowas in ein Buch schreibt, dieses dann „Buch der Weisheit“ nennt und damit ein weiteres Autoritäts-Scheinargument bastelt.

Die Erforschung der Ordnung des unergründlichen Gottes

Im Gegensatz etwa zum Islam, der die Schöpfung Gottes als fern jedes menschlichen Verständnisses sieht, ist es für das Christentum also ein Weg, Gottes Ordnung näher zu kommen, indem seine Schöpfung erforscht wird, schreibt Verschuuren.

Die Verdienste um die Wissenschaft, die der Islam (zumindest zu bestimmten Zeiten) vorzuweisen hat(te), sind beachtlich.

Christen wechseln problemlos zwischen „Gottes Wege sind unergründlich“ und „Gottes Wege sind sehr wohl ergründlich und wir kennen sie ganz genau“ hin und her. Wie es ihnen gerade in den Kram passt.

Diese Aussage bestätigt nochmal die gerade aufgestellte These, dass die Kirche hauptsächlich deswegen für Wissenschaft interessierte, weil sie sich davon eine Bestätigung ihrer Gottesvorstellung erhofft hatte.

Schlappe 360 Jahre später…

Womit die Kirche allerdings ein Problem habe, so Verschuuren, sei der ausschließliche Glaube an die Wissenschaft. Denn für die Kirche gebe es noch mehr. Weiter als Verschuuren ging Papst Johannes Paul II. 1992, als er Fehler seitens der Kirche im Fall Galileo Galilei einräumte.

Glaube ist immer ein Problem. Nicht nur in Bezug auf Wissenschaft. Deshalb findet Glaube im religiösen Sinn auch keine Anwendung im wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn.

Wie oben schon kurz beschrieben, hat die Kirche Fehler immer erst dann eingeräumt, wenn es gar nicht mehr anders ging.

Im Falle Galileis dauerte diese Einsicht nach der Eröffnung des ersten Verfahrens gegen ihn bis zu seiner päpstlichen Rehabilitation schlappe 360 Jahre.

Leider erfahren wir nicht, was es denn kirchlicherseits „noch mehr“ geben soll: Sprechende Schlangen, brennende Dornbüsche und ein unmenschliches Belohnungs-Bestrafungskonzept aus der Bronzezeit? Dieser „Mehrwert“ ist mehr als entbehrlich, gerade wenn es um wissenschaftliche Erkenntnis geht.

Und auch als Grundlage für moderne ethische Standards sind Religionen nicht nur ungeeignet, sondern sogar hinderlich.

3. These: Katholiken sind gegen moderne Ideen

„Die Lüge“: Die katholische Kirche ist gegen moderne Ideen wie Materialismus, Rationalismus, Relativismus, Humanismus oder das Vertrauen auf den wissenschaftlichen Fortschritt.

„Die Wahrheit“: Laut Verschuuren hat die Kirche nichts gegen irgendeine dieser Ideen – wohl aber gegen deren alleinigen Geltungsanspruch.

Wissenschaft vs. GlaubeSolange die Kirche noch die Macht dazu hatte, lehnte sie jegliche moderne Idee vehement ab. Und zwar nicht nur verbal oder inhaltlich. Sondern inklusive Ermordnung aller, die es wagten, solche Ideen öffentlich zu vertreten. Der Geltungsanspruch spielte für die Inquisitoren und Henker dabei keine Rolle.

Auch hier bekommen wir wieder einen dicken Strohmann aufgestellt:

Denn moderne Ideen erheben nicht a priori einen alleinigen Geltungsanspruch. Genau das ist es ja, was moderne Ideen von Dogmen unterscheidet: Moderne Ideen gelten nur genau so lange, bis sie durch bessere, richtigere Ideen oder bessere Konzepte abgelöst werden.

Warum die Kirche modernen Ideen einen alleinigen Geltungsanspruch unterstellt und einen solchen kritisiert, liegt auf der Hand: Schließlich möchte man zumindest noch einen Fuß in der Tür haben, um das eigene Glaubenskonstrukt doch noch irgendwie und irgendwo als relevant unterbringen zu können.

Hätte die Kirche in irgendeinem Bereich überzeugende(re) Argumente dafür, dass das von ihr vertriebene magisch-esoterische Belohnungs-Bestrafungskonzept bessere oder richtigere Ideen liefern könnte als die Ideen, die bis zum Beweis des Gegenteils heute als allgemein gültig anerkannt sind, könnte sie diese Argumente ja einfach präsentieren. Und damit die Menschheit davon überzeugen, dass ihre Ideen moderner, wahrer, gerechter, gültiger sind als die bisherigen.

Den Vorwurf, der hier als Lüge präsentiert wird, vermag Verschuuren nicht zu entkräften. Vielmehr nennt er Beispiele, die belegen, wie schwer sich die Kirche immer wieder mit modernen Ideen tat und bis heute tut.

Wind aus den Segeln nehmen: Der Antimodernisteneid

Dass beim Stichwort „moderne Ideen“ und „Kirche“ jedem Kirchenkritiker sofort der „Antimodernisteneid“ in den Sinn kommt, weiß sicher auch der katholische Katholik Verschuuren.

Seine altbekannte Bewältigungsstrategie: Problem benennen und dann schnell weiter zum nächsten Thema. Ohne nochmal argumentativ darauf einzugehen.

Vom längst überholten Neuthomisus, der zu Verschuurens katholischen Lieblingsthemen zu gehören scheint kommt er zum Beleg für katholischen Antimodernismus:

In ihm [dem Antimodernisteneid, Anm. v. mir] heißt es unter anderem, dass Gott „der Ursprung und das Ende aller Dinge“ ist und es unveränderliche Glaubenslehren gibt, die keine menschlichen Erfindungen sind, sondern direkt von den Aposteln kommen. Die Kirche betonte also, dass Wahrheiten von gestern auch morgen gelten und eine unmoralische Handlung von heute nicht morgen moralisch sein kann.

Unveränderliche Glaubenslehren, die keine menschliche Erfindungen sind?

Dass sich eine solche Idee heute nicht mehr vertreten lässt, wenn man noch halbwegs ernst genommen werden möchte, hatte irgendwann (wie immer gewohnt sehr spät) sogar die Kirche erkannt:

Der Antimodernisteneid wird heute nicht mehr verlangt, ihrer Haltung bleibt die Kirche laut Verschuuren aber treu: Dass sie gegen Meinungsmonopole ist, durch die in ihren Augen wichtige Errungenschaften von Leben, Gesellschaft und Tradition zerstört werden. Allerdings bewerten die meisten katholischen Kirchenhistoriker etwa den „Syllabus errorum“ Papst Pius IX. über Irrtümer der Moderne kritisch. Darauf geht das Buch nicht ein.

Moderne Ideen sind nicht automatisch „Meinungsmonopole.“ Deshalb entkräftigt eine Kritik an Meinungsmonopolen nicht den Vorwurf, dass es sich bei dem Statement um eine „Lüge“ handelt.

Auch hier hätte Verschuuren redlicherweise auf die einzelnen Punkte eingehen müssen. Statt sich mit „moderne Ideen“ eine pauschalisierende Verallgemeinerung zu schaffen.

4. These: Katholiken sind gegen Frauen

„Die Lüge“: In der katholischen Kirche ist kein Platz für Frauen. Das Priesteramt bleibt ihnen von den Männern verwehrt und sie können ihr Potential nicht ausleben.

Na, da bin ich jetzt aber ganz besonders auf die katholische „Wahrheit“ zu dieser „Lüge“ gespannt:

„Die Wahrheit“: Die katholische Kirche ist nicht gegen Frauen. Schon Jesus Christus hat Frauen und Männer stets gleichwertig behandelt. Nicht zuletzt standen Frauen am Fuße des Kreuzes und waren die ersten Zeuginnen der Auferstehung. Der Apostel Paulus drückt es so aus: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.“ (Gal 3,28)

Das Verhalten des biblischen Jesus Frauen gegenüber, das als historisch und nicht als nachträglich eingefügt angesehen wird, ist keineswegs durchgehend gleichwertig. Zum Beispiel hier, wo Jesus seine eigene Mutter verleugnet:

  • Da kamen seine Mutter und seine Brüder; sie blieben draußen stehen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen, während gerade eine große Volksmenge um ihn herum saß. Als man ihm nun meldete: »Deine Mutter und deine Brüder [und deine Schwestern] sind draußen und fragen nach dir«, gab er ihnen zur Antwort: »Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder?« (Markus 3,31-34 MENG)

Die biblische Mythen- und Legendensammlung bietet mehr als genug Stoff für für jene Kirchenvertreter und Gläubige, die genau das Frauenbild vertreten, das der hier als „Lüge“ bezeichneten Aussage zugrunde liegt.

Bibelsprüche fürs Patriarchiat

Hier nur eine kleine exemplarische Auswahl an Bibelstellen, auf die sich das katholische Patriarchiat bis heute berufen kann:

  • Da ließ Gott der HERR einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, so daß er einschlief; dann nahm er eine von seinen Rippen heraus und verschloß deren Stelle wieder mit Fleisch; die Rippe aber, die Gott aus dem Menschen genommen hatte, gestaltete er zu einem Weibe und führte dieses dem Menschen zu. (1. Mose 2, 21-22)
  • Zum Weibe aber sagte er: »Viele Mühsal will ich dir bereiten, wenn du Mutter wirst: mit Schmerzen sollst du Kinder gebären und doch nach deinem Manne Verlangen tragen; er aber soll dein Herr sein!« (1. Mose 3, 16 MENG)
  • Ihr Frauen, seid euren Männern untertan, wie es sich im Herrn gebührt! (KOL 3,18 MENG)
  • Wer seine Frau entläßt und eine andere heiratet, begeht Ehebruch, und wer eine von ihrem Gatten entlassene Frau heiratet, begeht auch Ehebruch. (Lukas 16,18)
  • Die Frau suche (beim Gottesdienst) Belehrung durch stilles Zuhören in aller Unterordnung; dagegen gestatte ich keiner Frau, Lehrvorträge zu halten oder sich die Gewalt über den Mann anzumaßen; nein, sie soll in stiller Zurückhaltung verbleiben. Denn Adam ist zuerst geschaffen worden, danach erst Eva; auch hat nicht Adam sich verführen lassen, sondern die Frau ist dadurch, daß sie sich hat verführen lassen, in Übertretung geraten. Sie wird jedoch dadurch gerettet werden, daß sie Kindern das Leben gibt, vorausgesetzt, daß sie im Glauben, in der Liebe und in einer mit Besonnenheit vollzogenen Heiligung verharren. (1.Timotheus 2,11-14 MENG)

…und noch ein paar Highlights:

  • Die Frauen sollen in den Gemeindeversammlungen schweigen, denn es kann ihnen nicht gestattet werden zu reden, sondern sie haben sich unterzuordnen, wie auch das (mosaische) Gesetz es gebietet (1.Mose 3,16). Wünschen sie aber Belehrung über irgend etwas, so mögen sie daheim ihre Ehemänner befragen; denn es steht einer Frau übel an, sich in einer Gemeindeversammlung hören zu lassen. (1.Korinther 14,34-35 MENG)
  • Ich möchte euch aber zu bedenken geben, daß das Haupt jedes Mannes Christus ist, das Haupt der Frau aber ist der Mann, und das Haupt Christi ist Gott. Jeder Mann, der beim Beten oder beim prophetischen Reden eine Kopfbedeckung trägt, entehrt dadurch sein Haupt; jede Frau dagegen, die mit unverhülltem Haupte betet oder prophetisch redet, entehrt dadurch ihr Haupt, denn sie steht damit auf völlig gleicher Stufe mit einer Geschorenen. Denn wenn eine Frau sich nicht verschleiert, so mag sie sich auch das Haar abschneiden lassen; ist es aber für eine Frau schimpflich, sich das Haar kurz zu schneiden oder es sich ganz abscheren zu lassen, so soll sie sich verschleiern! Der Mann dagegen darf das Haupt nicht verhüllt haben, weil er Gottes Abbild und Abglanz ist; die Frau aber ist der Abglanz des Mannes. Der Mann stammt ja doch nicht von der Frau, sondern die Frau vom Manne; auch ist der Mann ja nicht um der Frau willen geschaffen, sondern die Frau um des Mannes willen. (1.Korinther 11,3-9 MENG)

Natürlich haben fleißige Theologen Bewältigungsstrategien entwickelt, um all diese Stellen irgendwie so umzubiegen, dass sie zumindest oberflächlich unverfänglich erscheinen.

Wer möchte, kann aber trotzdem jederzeit darauf bestehen, dass diese Aussagen genau so und nicht anders gemeint sind. Das ist eines der großen Probleme, wenn man behauptet, die eigenen „heiligen“ Schriften seien göttlicher Offenbarung entsprungen. Und ewig und übergeordnet gültig.

Achso, ja, nee –Bischöfin und Priesterin geht natürlich nicht…

Die Gleichberechtigung kennt nur eine Ausnahme: Das Priesteramt. Obwohl es schon zu seiner Zeit Priesterinnen bei den Römern gab, hat Jesus ausschließlich Männer dazu berufen – an diesen Grundsatz hält sich die Kirche bis heute.

Genau dieser Umstand war doch gerade noch als „Lüge“ bezeichnet worden? Also doch nicht gelogen?

Die geschickte Formulierung der „Lüge“ ermöglicht es auch hier dem Autor, den einen Punkt, um den es eigentlich geht (keine Gleichberechtigung von Frauen bei Weiheämtern) bequem biblisch begründet auszuklammern, den Rest aber vermeintlich entkräften zu können.

Denn natürlich haben Frauen einen Platz in der katholischen Kirche: Am besten schweigend, schmückend und dienend.

Für höhere Ämter oder gar für die Verzauberung von Backoblaten in Menschenfleisch und Wein in Menschenblut zu Konsumzwecken reicht das weibliche Potential dann doch nicht. Jesus will das so. Anordnung von ganz oben. Sorry. Und: Selber schuld (Stichwort: Apfel-Diebstahlsdelikt). Aber protestiert mal schön weiter. Any press is good press. Und überhaupt:

Außerhalb des Weiheamts gebe es aber vor allem in neuerer Zeit viele Positionen in Seelsorge und Leitung, die von Frauen nicht nur ausgeübt werden können, sondern auch ausgeübt werden, so der Biologe. Allerdings gibt es auch Stimmen, die sich ebenfalls theologisch begründet etwa für ein Diakonat der Frau aussprechen.

Frau in der KircheTja. theologisch lässt sich alles Beliebige begründen. Und das genaue Gegenteil.

Ich gehe nicht davon aus, dass die Initiative Maria 2.0, die aus mir unerfindlichen Gründen für eine tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen im katholischen Männerverein kämpft in absehbarer Zeit Erfolg haben wird.

Und deshalb wird auch diese angebliche „Lüge“ wohl auch noch bis auf Weiteres eben doch der katholischen Wahrheit entsprechen.

Fazit

Zumindest mit den hier vorgestellten Beispielen liefert Verschuuren Beispiele für verschiedene Scheinargumente, wie sie (nicht nur, aber bevorzugt) in theologischen Kreisen gerne zur Anwendung kommen.

Sein beliebtestes Manöver scheint dabei der Strohmann zu sein: Die angeblichen „Lügen“ sind so formuliert, dass sich darin neben tatsächlich berechtigter Kritik (Beispiel: „Frauen dürfen keine katholische Priesterinnen sein“) auch Positionen befinden, die unzulässig verallgemeinernd formuliert und daher leicht angreifbar sind („Frauen haben keinen Platz in der Kirche, können dort ihr Potential nicht enfalten…“).

Als Wissenschaftler müsste Verschuuren die Unredlichkeit dieser Taktik (er-)kennen. Allerdings bleibt einem wohl nichts anderes übrig, als mit solchen sprachlichen Taschenspielertricks zu arbeiten, wenn man Kirche und Religion gegen sachliche Kritik verteidigen möchte.

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