Darum geht es
Statt sich mit der banalen Tatsache der Endlichkeit des eigenen Daseins abzufinden, halten gläubige Christen lieber Behauptungen für wahr, die sie zumeist nur deshalb nicht als absurde Fiktion identifieren können, weil sie zufällig ins christliche Glaubenssystem hineingeboren worden wurden.Feine, aber grundlegende Unterschiede
Im Festsaal einer Schule hängt der Spruch: „Das Beste liegt nie hinter uns, sondern immer vor uns.“ Diesen Spruch hat wohl jemand angebracht, um den Kindern Mut zu machen, fleißig zu lernen und in die Zukunft zu schauen. Das Leben liegt ja noch vor ihnen, wie man so zu sagen pflegt. „Das Beste liegt nie hinter uns, sondern immer vor uns.“
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Impulse von Stadtpfarrer Buß: Allerseelen – „Das Beste liegt immer vor uns…“, veröffentlicht am 6.11.2021 von osthessennews.de)
Bei einer kurzen Recherche habe ich mögliche Quellen zu diesem und zu einem sehr ähnlichen Zitat gefunden (wobei ich für keine der Quellen wirklich hinreichende Belege finden konnte).
Paul Jaeger vs. Bertrand Russell
In der von Pfarrer Buß zitierten Formulierung wird es „Paul Jäger“ zugeschrieben. Ob es sich dabei um den Weihbischof aus dem 16. Jahrhundert oder um den Theologen Paul Jaeger1Nach 1933 entwickelte er [Paul Jaeger, Anm. v. mir] sich zu einem überzeugten Befürworter der völkisch-nationalsozialistischen Weltanschauung. Er schloss sich den Deutschen Christen an und erklärte im Jahre 1939 seine Bereitschaft zur Mitarbeit beim Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben. Während des Zweiten Weltkrieges übernahm Jaeger zahlreiche Urlaubs- und Krankheitsvertretungen. Wegen seines nationalsozialistischen Engagements wurde ihm nach Kriegsende von der Badischen Landeskirche die weitere Ausübung pfarramtlicher Tätigkeiten untersagt. Seither wirkte er als Schriftsteller und verfasste bis ins hohe Alter zahlreiche religiöse Texte. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Jaeger_(Theologe) handelt, war nicht zu ermitteln – vielleicht hat jemand aus der geschätzten Leserschaft hierzu noch eine verbindliche Quelle?
Es dürfte jedenfalls wesentlich wahrscheinlicher sein, dass Stadtpfarrer Buß von der Inschrift einer „Paul-Jaeger-Schule“ berichtet als vom Motto einer „Bertrand-Russell-Schule.“
Denn eine sehr ähnliche, von der Aussage her aber deutlich verschiedene Version soll vom englischen Philosoph und Mathematiker Bertrand Russell stammen. Sie lautet (Hervorhebung von mir):
- „Das Beste sollte nie hinter uns, sondern immer vor uns liegen.“
Die von Buß zitierte ad hoc-Behauptung, dass das Beste nie hinter, sondern immer vor uns liege, passt natürlich perfekt zu einer theologisch verstrahlten Weltanschauung. Was Herr Buß, wie kaum anders zu erwarten, gleich auch noch dementsprechend thematisieren wird.
Denn wie wir aus vielen seiner bisherigen Impulse wissen, scheint für Pfarrer Buß ja die Vorstellung unerträglich oder zumindest völlig abwegig zu sein, dass Menschen von sich aus und im Diesseits überhaupt auf einen halbwegs grünen Zweig kommen können.
Wäre der Spruch tatsächlich in dem Sinn gemeint, wie Herr Buß es hier zunächst interpretiert – also um Kindern Mut zu machen – dann wäre die zweite Version die passendere: Hier wird keine unbewiesene, weil unbeweisbare Behauptung über die Zukunft aufgestellt.
Sondern tatsächlich dazu motiviert, nicht zu resginieren. Und sich darum zu bemühen, das zu erlangen, was man für „das Beste“ hält. Also zum Beispiel, das eigene Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und nach einem glücklichen und erfüllenden Leben zu streben.
The best is yet to come?
Aus christlicher Sicht spielt das Diesseits freilich nur eine untergeordnete Rolle, wie wir später auch noch in einem Leserbrief weiter unten erfahren werden:
Gilt dieser Spruch nur für Kinder oder auch für Sechzig-, Siebzig-, Achtzigjährige? Gilt er auch noch in der Todesstunde? Christlicher Glaube sagt: Ja! Das Beste liegt auch dann noch vor dir!
Für Menschen, die in ihrer Todesstunde (oder natürlich auch schon vorher) schweres Leid ertragen müssen, mag diese Behauptung sogar zutreffen: Das Beste für sie ist dann die Erlösung. Natürlich nicht die Fiktiv-mythologische aus der biblisch-christlichen Mythologie. Sondern die ganz natürliche. Die von ihrem Leid.
Das ist freilich nicht das, was der christliche Glaube sagt. Aber dafür stimmt es (wie immer bis zum Beweis des Gegenteils) nun mal wesentlich wahrscheinlicher mit der Wirklichkeit überein als alle Stories, in denen Geister, Götter und Gottessöhne vorkommen.
Voll verschlackt
Gott will dein Leben von allen Wunden heilen und von allen Schlacken befreien. Er weiß, wer du eigentlich bist; er weiß, was dir fehlt, und will dein Leben vollenden. Er selbst will dein ewiges Glück sein.
Solange der Begriff „Gott“ nicht eindeutig und schlüssig definiert ist, ist jede Aussage über angebliche Absichten und Willensbekundungen von Göttern blanker Unsinn. Selbst wenn sie vom Stadtpfarrer aus Fulda stammt.
Sobald man unplausible und unbeweisbare Behauptungen als wahr anerkennt, müsste man konsequenterweise jeden beliebigen Schmarren für wahr oder zumindest für plausibel halten. Der menschlichen Phantasie sind, auch und gerade in Bezug auf Götter, keine Grenzen gesetzt.
Falsche Annahmen überdauern manchmal erstaunlich lange, und zwar nicht nur im religiösen Kontext: So glauben zum Beispiel bis heute noch Menschen an die „Entschlackungslehre“ oder an eine Wirksamkeit von Homöopathie, die über einen Placebo-Effekt hinaus geht. Aber das nur am Rande.
Ein Gott, der zwar willig und in der Lage ist, irgendwelches Leid empfindungsfähiger Lebewesen zu mindern oder gar aufzuheben ist irrelevant, solange er sich exakt so verhält, als gäbe es ihn nicht. Da können der und Seinesgleichen angeblich wollen was auch immer sie wollen. Es ist deren Problem und spielt in der irdischen Wirklichkeit außerhalb menschlicher Einbildung und Imagination einfach keine Rolle, was Phantasiewesen angeblich wollen oder nicht wollen.
Ewiges Glück – ansonsten ewige Dauerfolter
Da es hier ja um die Gottesvorstellung aus der biblisch-christlichen Mythologie geht, ist diese Aussage zudem blanker Hohn:
Denn sie verschweigt, dass dieser Gott, dem ja ach so sehr am „ewigen Glück“ von Menschen gelegen sein soll gleichzeitig alle Menschen mit zeitlich unbegrenzter Dauerfolter durch physische und psychische Höllenqualen bei vollem Bewusstsein bedroht, die nicht möchten, dass ausgerechnet dieser Gott ihr ewiges Glück ist.
Raus aus der Wirklichkeit, rein in die Phantasiewelt
Das Leben liegt noch vor dir – auch im Tod.
Es ist mir unbegreiflich, wie man Menschen, die im 21. Jahrhundert in einem nordwesteuropäischen Industriestaat mit Schulpflicht aufgewachsen sind dazu bringen kann, so etwas tatsächlich für wahr, plausibel oder zumindest für glaub-würdig zu halten.
Und doch gibt es sie (noch), wie der Leserbrief von Christof Cramer aus Schweinfurt belegt.
Selbst wenn man die Frage nach Plausibilität außer Acht lässt, kann ich nicht nachvollziehen, was an der gut begründbaren Annahme, dass jegliches und somit auch das eigene Leben mit dem Tod endet so unerträglich sein soll, dass Menschen bereit sind, Dinge zu glauben, die sie selbst ziemlich sicher für völlig absurde Hirngespinste halten würden, wenn sie nicht zufällig in das christliche Glaubenssystem hineingeboren worden wären.
Natürlich bin nicht ich der Maßstab, wenn es um eine Bewertung von Glaubensgewissheiten anderer Leute geht. Egal wie albern, kindisch, naiv, offensichtlich falsch, spinnert, überheblich, ignorant, schafsdämlich und absurd diese mir auch erscheinen mögen.
Anders als der liebe Gott der Christen setze ich mich für Gedanken- und damit auch für Glaubensfreiheit ein. Solange diese auch Freiheit von Glauben beinhaltet und ich nicht die Verbreitung dieser Hirngespinste mitfinanzieren muss, was leider nach wie vor der Fall ist. Und natürlich, solange der vermeintlich göttliche Plan oder die vermeintliche göttliche Vergebung Gläubige nicht dazu bringt, die Interessen Dritter (genauer: Zweiter) zu verletzen.
Over and out
Sehr wohl erlaube ich mir aber eine Einschätzung der hier aufgestellten Behauptung an sich.
Und hier wird es Zeit, wieder einmal dem geschätzten Gunkl das Wort zu überlassen:
Glaubst du das?
Der Herr Jesus spricht jeden und jede von uns – wie einst Martha von Bethanien – ganz persönlich an: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt … Glaubst du das?“ (Joh 11,25-26)
Nö, glaube ich nicht.
Ich glaube nicht, dass die vom Christentum aus der griechischen Mythologie übernommene und leicht modifizierte Jenseitsvorstellung etwas anderes ist als ein menschliches Phantasieprodukt. Geschaffen aus Unwissenheit, Angst und hoffnungsvoller Illusion. Und immer zu bestimmten, sehr irdischen Zwecken.
Sollten sich unter der geschätzten Leserschaft Christen befinden, seien diese (und natürlich auch alle anderen Interessierten) herzlich eingeladen, sich diese Frage anhand der Aussagen im eigentlich komplett zu glaubenden Glaubensbekenntnis im AWQ.DE Glaubensbekenntnis-Selbsttest (mal wieder oder vielleicht zum ersten Mal) selbst zu beantworten.
Glaube bedarf ständiger Selbstvergewisserung
Das ist der Glaube, der Christen in diesem Monat des Totengedenkens bestärkt.
Es ist nicht der Glaube, der die Christen bestärkt.
Vielmehr sind es die Christen selbst, die sich selbst in ihrem Aberglauben immer wieder bestärken müssen. Damit sie das wohlig-kuschelige Gefühl, wegen ihres (so gut wie nie selbst erworbenen) christlichen Glaubens zu den „Richtigen“ zu gehören und allen anderen dadurch moralisch überlegen zu sein nicht aufgeben müssen.
Und weil sie dann nicht selbst nachdenken zu müssen – zum Beispiel über die ganz banale Endlichkeit, Bedeutsamkeit, Unbedeutsamkeit und Einmaligkeit ihres eigenen Daseins.
Abschied vom Jenseitsglauben
Der christliche Jenseitsglaube scheint inzwischen für immer mehr Theologen ein Überbleibsel naiver Volksfrömmigkeit, zumindest aber ein für ihr Glaubensverständnis irrelevantes Gedankenkonstrukt zu sein.
Und trotzdem kann man es offenbar auch als Professor fertigbringen, daran festzuhalten:
- „Gläubige Jenseitsbestreiter sind unter den Theologen in großer Zahl zu finden. Ich führe eine Liste, ich bin selber noch nicht auf dieser Liste, aber die Liste wird ständig länger. Es bekennen sich derzeit immer mehr evangelische wie katholische Theologen zu dem Satz, dass es, wie Rilke sagte, kein Jenseitswarten und kein Schauen nach drüben gibt.„
(Quelle: Bernhard Lang, emeritierter Professor für Altes Testament und Religionswissenschaften via deutschlandfunkkultur.de: Jenseitsglaube in verschiedenen Kulturen – Himmel, Hölle oder Paradies?)
Das Zitat unter der Überschrift „Voll verschlackt“ oder der Leserbrief klingen- höflich ausgedrückt- „voll verstrahlt“… Woher wissen die das? Wenn sie sagen würden, ich stelle mir das so vor oder ich würde mir wünschen, wäre nichts dagegen einzuwenden. Aber diese Behauptungen als Fakten hinzustellen grenzt an Verschwörungstheorien, die etwas über die Fehler und Wünsche ihrer Autoren sagen.
Gunkl entlarvt das zu Glaubende scharfzüngig. Ihn zu erleben ist immer wieder eine Freude!
Wenn selbst Theologen den Jenseitsglauben, auf dem das ganze Bauwerk errichtet ist, mit klarem Menschenverstand für fragwürdig halten…!
Im Interview unterscheidet Lang zwischen seinem Unglauben an die Jenseitsvorstellungen seiner Religion, der sich logischerweise vom Verstand ableitet und einem Glauben, der auf einem vagen Gefühl und der Tradition basiert, was er in die Nähe der- von den Kirchen doch so verpönten- Esoterik bringt. Na, das sind doch mal klare Aussagen…
Danke fürs gute Recherchieren und für die interessanten Links.
Frage an den Jenseitsexperten Pfarrer Buß: Gelten seine Ausführungen auch für die hinterhältigen Gestaltwandler-Reptiloiden, die schon vor Jahrhunderten die (diesseitige) Weltherrschaft angetreten haben?
Warum schweigt er zu dieser brennenden Frage?
Tja, in diesem Zusammenhang tauchen noch viele weitere Fragen auf, die man sich da stellen könnte und auf die wir noch niemals eine sinnvolle Antwort von Berufschristen erhalten haben, zum Beispiel: Wie siehts mit den Menschen aus, die vor Jesus gelebt haben? Ab welchem evolutionärem Stadium werden Menschen „erlöst“? Homo sapiens oder auch schon früher, zB Homo erectus oder Neandertaliensis? Wie siehts mit Leuten aus, die zeitlebens niemals von diesem Gott auch nur gehört haben? Wenn Jesus, wie sie ja behaupten, sie schon am Kreuz erlöst hat: Hat die „Erlösung“ dann schon stattgefunden oder kommt das erst noch? Was macht die Jenseitsphantasie der biblisch-christlichen Mythologie plausibler/glaubwürdiger als alle anderen Jenseitsfiktionen? Zusatzfrage für Katholiken: Verbringen Menschen ihre „Ewigkeit“ in dem physischen und psychischen Zustand zum Zeitpunkt ihres Todes oder wann wird das geistige und fleischliche Backup für die Ewigkeit erstellt?
Und die spannendste Frage: Wie um alles in der Welt kann man sowas auch nur ansatzweise für wahr halten? Und für so bedeutsam, dass es einem wert ist, dafür seine Vernunft, seinen Verstand und seine intellektuelle Redlichkeit in die Tonne zu kloppen? – Questions without answers…
Ha – wenn es eine Hölle geben sollte: AWQ wird dort für immer braten! 😇
… und ich kenne noch viele andere interessante und liebenswürdige Personen, die es auch gerne warm haben und die Anwesenheit von AWQ et al. schätzen würden.
Wir werden einen Heidenspaß haben … und Buß ruft dann die Polizei wegen des Lärms … 😎
Nachbar: „Jetzt mach diesen Heidenlärm aus!!!“
Ich: „OK dann gibts halt christlichen Death-Metal.“
Anspieltip: Detritus / Perpetual Defiance
Hoffe ich komm nicht zu spät zur Party….
WELCOME TO HELL (Venom)
Lets rock!!!