Wahrheit – wahrscheinlich!… – Gedanken zu Nachgedacht… (218)

Lesezeit: ~ 5 Min.

Wahrheit – wahrscheinlich!… – Gedanken zu Nachgedacht… (218), Originalbeitrag verfasst von Christina Lander, veröffentlicht am 12.03.17 von Osthessennews

[…] Nicht nur in Religionen wird immer wieder die Wahrheitsfrage gestellt, sondern auch in unserem tagtäglichen Miteinander fragen wir uns: Wurde mir gerade die Wahrheit gesagt?

WahrheitIch würde den ersten Teil dieser Aussage präzisieren: Denn nicht in Religionen, sondern an Religionen wird immer wieder die Wahrheitsfrage gestellt. In Religionen werden Dinge als wahr behauptet, von denen sich redlicherweise nicht sagen lässt, ob sie wahr sind oder nicht.

Als Vorreiter ist hier die katholische Kirche zu nennen. Denn diese scheint sich der Wahrheit vieler ihrer Kernaussagen alles andere als sicher zu sein. Und deshalb erklärt sie diese Aussagen zum Dogma. Das bedeutet, sie legt fest, was ihre Anhänger für wahr zu halten haben. Und zwar ohne irgendeinen Beweis oder Beleg dafür zu verlangen.

Es sagt viel über den vermutlichen Wahrheitsgehalt von Behauptungen aus, wenn diese mit Hilfe von Dogmen gegen Infragestellen immunisiert werden müssen.

Denn natürlich fragen wir uns in unserem tagtäglichen Miteinander: Wurde mir gerade die Wahrheit gesagt? Denn nur, indem wir Behauptungen auf ihren Wahrheitsgehalt hin prüfen, können wir zu brauchbaren Erkenntnissen gelangen.

Wer nicht (hinter-)fragt, bleibt dumm

Das kritische Hinterfragen von Behauptungen ist die Grundlage einer rationalen Weltsicht. Also einer Sicht, die möglichst genau das widergibt, was tatsächlich auch so ist.

[…] „Sie werden die Wahrheit nie finden. Hören Sie auf mit diesem Idealismus und stellen Sie sich der Realität: Jeder Mensch konstruiert sich seine eigene Wahrheit und schildert sie so, wie er sie wahrnimmt.“

Hierzu ist zunächst einmal zu klären, was Wahrheit überhaupt bedeutet. Denn das ist erstmal gar nicht so ganz klar:

  • Dem Begriff Wahrheit werden verschiedene Bedeutungen zugeschrieben, wie Übereinstimmung mit der Wirklichkeit, einer Tatsache oder einem Sachverhalt, aber auch einer Absicht oder einem bestimmten Sinn bzw. einer normativ als richtig ausgezeichneten Auffassung („Truism“ oder Gemeinplatz) oder den eigenen Erkenntnissen, Erfahrungen und Überzeugungen (auch „Wahrhaftigkeit“). (Quelle: Wikipedia)

Mit Wahrheit kann also einerseits ein absoluter Wert gemeint sein. Dann wäre Wahrheit das, wie die Dinge tatsächlich sind. Und zwar unabhängig vom Betrachter. Die Philosophen sind sich nicht einig, ob es diese Wahrheit überhaupt geben kann und noch viel weniger darüber, ob sie ein Mensch jemals wird erkennen können. Dieser Wahrheitsbegriff beschreibt dann die Realität.

Oder aber Wahrheit ist das, was jemand für wahr hält. Dies kann aus vielen Gründen natürlich sehr stark von der Realität abweichen. Ich bezeichne diese subjektive Wahrheit, also das, was jemand für wahr hält, als dessen Wirklichkeit.

Wahrheit in der Wissenschaft

In der Wissenschaft spricht man statt von Wahrheiten eher von Theorien. Denn alles, was für wahr gehalten wird, könnte ja vielleicht doch ganz anders sein. Es geht dabei also nicht um Wahrheiten, sondern um Wahrscheinlichkeiten: Wie wahrscheinlich ist etwas tatsächlich so, wie es uns zu sein erscheint?

Natürlich wäre es für den Alltag sehr hinderlich, wenn man ständig alles in Frage stellen würde. Ich muss nicht jedes Mal neu darüber nachdenken, ob ein Ball tatsächlich zu Boden oder vielleicht doch mal Richtung Himmel fällt, wenn ich ihn fallen lasse. Uns steht eine ganze Kiste an Werkzeugen zur Verfügung, mit denen wir untersuchen können, wie plausibel etwas ist. Diese Werkzeuge stelle ich im 1. Teil der Serie „Erkenntnis“ vor.

[…] Aber was ist, wenn wir womöglich immer nur auf unsere Wahrheit pochen und nur schwer davon abkehren? Wenn wir betriebsblind für andere Sichtweisen, Wahrheiten werden?

Hier geht es also offensichtlich um die subjektive, persönliche, individuelle Wahrheit. Also um das, was jemand für wahr hält. Wie gerade schon angedeutet, ist das die Wahrheit, die für uns relevant ist. Auch wenn sie natürlich nur ein Abbild der Realität darstellt und mit dieser nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit übereinstimmen kann.

Betriebsblind? Augen auf!

Die wirkungsvollste Möglichkeit, sich vor „Betriebsblindheit“ zu schützen, ist es, die Augen offenzuhalten. Oder genauer: Konsequent die Werkzeuge des rationalen Denkens anzuwenden, wenn es darum geht, den Wahrheitsgehalt einer Aussage zu überprüfen. Und das gilt natürlich nicht nur für Behauptungen Anderer, sondern genauso auch für die eigenen Ansichten und Überzeugungen.

Besonders (selbst-)kritisch sollte man sein, wenn es um so grundlegende Dinge wie die eigene Weltsicht geht: Was halte ich für wahr und warum? Worauf basieren meine Gewissheiten? Halten meine Überzeugungen einer Untersuchung mit den Werkzeugen des rationalen Denkens stand?

In wieweit stimmt meine Wahrheit mit der natürlichen Wirklichkeit überein? (Anmerkung: Die natürliche Wirklichkeit ist die, in der Dinge wiederholbar beobachtet, gemessen und in Zusammenhang gebracht werden können.)

Sapere aude! – Wage es, weise zu sein!

Wenn religiös gläubige Menschen beginnen, ihre Glaubensgewissheiten rational anzugehen, bleiben ihnen nur zwei Möglichkeiten: Entweder, sie entlarven ihre religiösen Glaubensgrundlagen als unhaltbare Hirngespinste. Oder sie ziehen rechtzeitig die „Notbremse“, um ihre Glaubensgewissheiten vor dieser Entlarvung zu schützen. Ohne diesen Denkverzicht ist es für ansonsten aufgeklärt und rational denkende Menschen nicht möglich, an Glaubensinhalten festzuhalten.

Mit anderen Worten: Etwas im religiösen Sinne zu glauben, also es womöglich sogar wider besseres Wissen für wahr zu halten, kann natürlich Teil der persönlichen, individuellen Wirklichkeitsgestaltung sein. Schwierig wird es erst, wenn diese persönlich zusammengebaute Wunschwirklichkeit auf die natürliche, irdische Wirklichkeit trifft und zwischen beiden Wirklichkeiten gravierende Unterschiede bestehen.

Wer zum Beispiel an das Wirken eines Gottes glaubt und gleichzeitig aber kein einziges Ereignis belegbar mit diesem Gott in einen ursächlichen Zusammenhang bringen kann, der hat ein Problem, sobald er diesem Widerspruch ehrlich auf den Grund geht.

Der bislang für wahr gehaltene Gott könnte bestenfalls noch eine Hypothese sein. Und das ist für religiös Gläubige meist nicht sehr befriedigend. Deshalb halten sie oft lieber Dinge für wahr, die ihrer Wunschvorstellung entsprechen. Und diese bestätigen, selbst wenn sie augenscheinlich nicht wahr sind.

Unangenehm: Die kognitive Dissonanz

Dieses Unbehagen, das entsteht, wenn sich zwischen der eigenen (Wunsch-)Vorstellung und der natürlichen Wirklichkeit tiefe Gräben auftun, ist eine Folge der so genannten „kognitiven Dissonanz.“ Da Menschen sinnvollerweise dazu neigen, unschöne Gefühle zu vermeiden, gehen Gläubige schon allein deshalb einer kritischen Prüfung ihrer Glaubensgewissheiten meist aus dem Weg.

Und schließlich haben sie ja meist von Kind an beigebracht bekommen, dass sie umso frommer und tugendhafter sind, je bereitwilliger sie Dinge für wahr halten, die augenscheinlich nicht wahr sind. Oder genauer: Nicht mal ansatzweise plausibel. Und noch genauer: Die nicht mal als schlechte Hypothese taugen. Weil einfach alles dagegen, aber nur die eigene Wunschvorstellung dafür spricht. Und trotzdem kann die eigene Wunschvorstellung mitunter stärker wiegen als die so genannte intellektuelle Redlichkeit. Damit ist Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit sich selbst gegenüber gemeint.

Viele Menschen sind tatsächlich, wenn Sie sich einmal die Wahrheit in ihrem Leben konstruiert haben, so fest, dass sie weder links noch rechts schauen.

Stimmt leider. Solche Menschen lehnen es dann meist auch kategorisch ab, sich mit anderen Ansichten überhaupt nur zu befassen. Diskussionsangebote und selbst nur Fragen blocken sie nicht selten kategorisch ab. Weil sie darin ihre eigene Wunsch-Wirklichkeit gefährdet sehen.

Ergebnisoffen statt dogmatisch

Viel sinnvoller, angenehmer und vor allem ergiebiger ist ein ergebnisoffener Standpunkt. Wenn ich mir klar mache, dass alle meine Erkenntnisse nur meinen aktuellen, begrenzten Erkenntnisstand und dieser wiederum nur Wahrscheinlichkeiten darstellt, dann habe ich kein Problem damit, meine Überzeugungen und Sichtweisen immer wieder kritisch zu hinterfragen.

Und – das ist das besonders Wichtige – bei Bedarf auch meine Gewissheiten in hohem Bogen über Bord zu werfen, wenn sie sich als falsch herausstellen sollten. Was ich für wahr halte, halte ich bis zum Beweis des Gegenteils für wahr. Und nicht „unabänderlich und ewiglich“, wie es zum Beispiel dogmatische Religionen von ihren Anhängern verlangen.

Doch ich denke, dass es vermessen ist, zu glauben, man habe den Apfel der Erkenntnis in den Händen.

Das denke ich auch. Mir sind alle, die von sich behaupten, im Besitz einer ewigen, übergeordneten Wahrheit zu sein, äußerst suspekt. Besonders die, die sich dabei auf eine Mythen- und Legendensammlung aus der Bronzezeit und aus dem Vormittelalter berufen. Und auf ihre subjektive Empfindungen.

Es gibt in unserer Sprache ein schönes Wort, das uns vielleicht klar macht, dass wir nie ganz die Wahrheit wissen können. Das Wort „wahr-scheinlich“ sagt uns: Es scheint vielleicht nur so, dass es wahr ist. Aber vielleicht ist es auch ganz anders.

Finden Sie es raus! Wenden Sie die Werkzeuge des rationalen Denkens auf Ihre Glaubensgewissheiten an. Nehmen Sie sich alle Zeit, die Sie brauchen.

Sapere aude! Viel Erfolg!

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag.
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