Für unsere Kinder – das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 7 Min.

Für unsere Kinder – das Wort zum Wort zum Sonntag, gesprochen von Annette Behnken (ev.), veröffentlicht am 29.9.2018 von ARD/daserste.de

In ihrer heutigen TV-Verkündigung versucht Frau Behnken offenbar von den Aspekten abzulenken, die im Zusammenhang mit dem Ergebnis der Studie über den sexuellen Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche eine wichtige Rolle spielen:

Zum Einen die strukturell-institutionellen Gegebenheiten, die sexuellen Missbrauch hauptsächlich von Kindern durch Kirchenangestellte über viele Jahrzehnte, vermutlich eher über viele Jahrhunderte hinweg systemisch ermöglichten und begünstigten. Und zum Anderen den Umgang der zuständigen klerikalen Führungsebene mit diesem Skandal:

  • Die katholischen Bischöfe reagieren mit routinierter Reue und Scham auf die Studie über sexuellen Missbrauch in ihrer Kirche. Wahre Aufklärung aber verweigern sie. (Quelle: zeit.de: Kommentar von Raoul Löbbert: Sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche: Kein Bischof tritt zurück)

Erstmal verallgemeinern…

Und so gilt es bei Frau Behnken im „Wort zum Sonntag“, erstmal zu verallgemeinern:

Sexueller Missbrauch ist eine Gewalttat. Nichts anderes. Es ist Gewalt, die dem Opfer körperliches und seelisches Leid in einem unbeschreiblichen Ausmaß zufügt. Und es sind vor allem zwei Dinge, die sexualisierte Gewalt begünstigen. Ein starkes Machtgefälle und ein gestörtes Verhältnis zur eigenen Sexualität. Das geht hervor aus der Studie, die die katholische Kirche in dieser Woche veröffenticht hat, um Missbrauch in ihrer Institution aufzuarbeiten.*

Sexueller Missbrauch ist nicht nur eine Gewalttat. Sondern auch immer eine Straftat. Ein Fall für Staatsanwaltschaft und Gerichte.

Für sexuelle Handlungen an Kindern unter 14 Jahren sieht unser Gesetz eine Freiheitsstrafe von bis zu 10 Jahren vor:

  • §176: Sexueller Missbrauch von Kindern
    (1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.
    (Quelle: dejure.org)

Aufklärung – oder Relativierung?

In Deutschland werden Kinder und Jugendliche in Kirchen, Sportvereinen, Schulen und vor allem: in Familien sexuell missbraucht. Allein da: mindestens dreizehneinhalbtausend Mal pro Jahr.

Einerseits halte ich es natürlich ebenfalls für sehr wichtig, dass dieses Thema als gesamtgesellschaftliches Problem ins öffentliche Bewusstsein gebracht wird. Andererseits sehe ich hier aber auch einen Versuch, den Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche zu relativieren:

Eine nackte Zahl, die den Schmerz der Betroffenen nicht auszudrücken vermag. Aber jeder und jede einzelne Betroffene hat erlebt, dass eine Person des Vertrauens, Eltern, Lehrer, Priester, Pastoren oder Trainer ihnen körperlichen und seelischen Schmerz zugefügt haben, sie absoluter Ohnmacht ausgesetzt und totalen Vertrauensbruch begangen haben.

So schlimm und natürlich auch strafrelevant jeder einzelne Missbrauchsfall zweifellos ist: Die Feststellung, dass jeder Missbrauch, egal von wem begangen den Opfern Schmerz und Leid zufügt, ist trivial. Auf die Aspekte, die den Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche von anderen Fällen unterscheiden, geht Frau Behnken an dieser Stelle nicht ein.

Vom Leid erreichen und berühren lassen

Durch diese Verallgemeinerung beziehen sich die nun folgenden Vorschläge nicht explizit auf den kirchlichen Missbrauchsskandal:

An der Seite der Opfer stehen. Das heist zuerst: Sie ansehen, ihnen zuhören. Wahrnehmen und wahrhaben, was ihnen geschehen ist. Den Raum geben, ungeschönt sagen zu können, was ihnen angetan wurde. Raum zur Klage und Anklage. Und uns von dem, was sie erzählen, erreichen und berühren lassen.

Ich halte es für ein Armutszeugnis, wenn eigens und vorrangig darauf hingewiesen werden muss, dass man sich vom Leid der Opfer berühren lassen müsse. Das emotionale Befinden der Täter, oder auch derer, die durch ihre Mitgliedschaft diese Institution unterstützen, spielt hierfür eine untergeordnete Rolle; ehrlich vorgetragene Reue wirkt sich bestenfalls auf das Strafmaß aus.

Der Schmerz kann niemandem abgenommen werden. Aber wir können ihn ernstnehmen und mitaushalten. Ich glaube, das ist das erste und die Grundlage für alles Weitere.

Die Grundlage für alles Weitere ist eine wirklich konsequente Aufklärung und vor allem Strafverfolgung. Und zwar nicht durch die klerikale Paralleljustiz. Sondern durch ein weltliches Gericht.

Ob Frau Behnken das mit „Raum zur Klage und Anklage“ meint, halte ich für fraglich.

Begegnung auf Augenhöhe

Und dieses Weitere ist: Prävention. Also das zu ändern, was solche Übergriffe begünstigt. Und das heisst, wir müssen die Machtgefälle aufbrechen, die solchen Machtmissbrauch ermöglichen. Zwischen Amtsträgern und Untergebenen, Männern und Frauen, Erwachsenen und Kindern. Damit Begegnung auf Augenhöhe stattfinden kann, wo eine dem anderen in die Augen guckt und mitkriegt, was los ist.

Das ist grundsätzlich sicher richtig. Nur ist das Sache der jeweiligen Institutionen, dies zu tun. Was die katholische Kirche betrifft: Hier ist wahrlich nicht zu erkennen, dass die verantwortliche deutsche Bischofskonferenz aufrichtiges Interesse an einer objektiven Aufklärung hat. Die Bischöfe belassen es dabei, sich zu schämen. Und wahrscheinlich noch ihren lieben Gott um Vergebung zu bitten.

Geradezu zynisch klingt in diesem Zusammenhang die Aussage von Kardinal Marx, dass eine weitere Aufklärung „vielleicht auch mit staatlicher Hilfe“ erfolgen könne, was er „gar nicht ausschließen“ wolle.

Freiwillig, also ohne entsprechenden Druck von außen wird die katholische Kirche ihre undemokratisch-patriarchialischen Strukturen, durch die sie offenbar selbst nicht durchblickt (die Kirche kann nicht mal sagen, wie viele Priester zu bestimmten Zeiten für sie tätig waren) niemals „aufbrechen.“

Tatsächlich wirksame Mittel hierfür könnten und sollten zum Beispiel die Streichung der mit nichts mehr zu rechtfertigenden Sonderprivilegierung und milliardenschweren staatlichen Alimentierung sein. Auch die Frage, inwieweit die katholische Kirche noch Träger von Kinder- und Jugendeinrichtungen sein kann, sollte rechtlich geklärt werden.

Der Systemfehler ist nicht behoben

Raoul Löbbert konstatiert im oben bereits erwähnten ZEIT-Artikel:

  • Nachdem die Studie nun bei der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) in Fulda vorgestellt wurde, steht fest: Der Befreiungsschlag blieb aus. Der Systemfehler ist nicht behoben. (Quelle: zeit.de)

Und so bleibt es wohl auch diesmal beim bereits sattsam bekannten Manöver: Alles zugeben, was sich nicht länger vertuschen lässt, ein bisschen Scham zur Schau stellen und dann abwarten und hoffen, dass alles schon verjährt ist.

Wenn auch nur ein einziger Priester nicht auf das obskure Millieu des heiligen Schweigens und Vertuschens hätte vertrauen können, hätte schon Leid verhindert werden können. Genauso wäre jedes Kind, das nicht dem Zugriff von Priestern ausgesetzt worden wäre, zumindest vor diesen Verbrechen verschont geblieben.

Jetzt muss auch noch Jesus ran…

Natürlich darf im „Wort zum Sonntag“ der Rückgriff auf die biblische Mythologie nicht fehlen:

Wie provokant muss es gewesen sein, als Jesus auf die widersinnige Frage seiner Jünger, wer von ihnen denn der Größte im Himmelreich sein wird, ein Kind in die Mitte holt. Mit dem Verweis auf dieses Kind hat er jeglichem Machtmissbrauch eine entschiedene Absage erteilt.

Wie praktisch immer, wenn biblische Legenden ins Spiel gebracht werden, ist auch der Verweis auf diese Bibelstelle problematisch. Ein übergriffiger katholischer Priester kann sich (und seinem Opfer) problemlos einreden, er tue einem Kind am Ende sogar noch etwas Gutes, wenn er ihm dabei hilft, sich selbst zu erniedrigen. Denn so geht’s im zitierten Text weiter:

  • Wer nun sich selbst erniedrigt und wird wie dieses Kind, der ist der Größte im Himmelreich. (Mt 18,4 LUT)

Dass menschliches Leid nach christlichem Verständnis durchaus etwas Gutes, Frommes sein kann, wissen wir nicht erst seit den diesbezüglichen Aussagen und Handlungen von Mutter Teresa. Die als „Todesengel von Kalkutta“ menschliches Leiden zur frommen christlichen Tugend erhoben hatte.

…wo es am tiefsten ist

Die Konsequenz, die der biblische Romanheld Jesus Christus in der selben biblischen Legende denen androht, die „einen dieser Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt“, verschweigt Frau Behnken wohlwissentlich:

  • Wer aber einen dieser Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre es besser, dass ein Mühlstein um seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, wo es am tiefsten ist. (Mt 18, 6 LUT)

Denn die Todesstrafe ist zumindest hierzulande heute abgeschafft.

Das „Böse“ bezeichnet in der Bibel übrigens nicht einen Machtmissbrauch, wie man die Darstellung von Frau Behnken interpretieren könnte. Sondern den Un- oder Andersglauben. Denn der liebe Gott ist nach eigenem Bekunden ein eifersüchtiger Gott.

Der aktuelle Vorstandsvorsitzende des Kirchenkonzerns hat übrigens gerade empfohlen, im Oktober täglich einen Rosenkranz gegen das Böse zu beten. Kein Witz. Der glaubt das vermutlich selber. Damit meint er nicht etwa die Sexualstraftäter in seinem Betrieb. Sondern den Teufel, der seiner Meinung nach dafür gesorgt hatte, dass der Missbrauchsskandal ans Licht gekommen war.

Dass sich mit der Bibel auch quasi jeder beliebige Machtmissbrauch problemlos „rechtfertigen“ lässt, belegt eindrucksvoll die rund 1000jährige Kriminalgeschichte des Christentums. Da bedient man sich dann einfach anderer Textstellen. Zum Beispiel dieser:

  • Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet. Darum: Wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Anordnung; die ihr aber widerstreben, werden ihr Urteil empfangen. (Röm 13, 1-2 LUT)

Kein Mensch weiß, wieviel Leid Menschen allein nur wegen dieser Bibelstelle schon aushalten mussten.

Kinder zu Mut und Mitgefühl befähigen

Also: Wir müssen unsere Kinder stärken, zu Mut und Mitgefühl befähigen. Dass sie nein sagen können. Ihren eigenen Wert und ihre Würde und den Wert und die Würde anderer fühlen können. Und ich bin mir sicher: wenn solche Kinder erwachsen werden, machen sie Machtspiele nicht mehr mit. Ich bin mir auch sicher: Das ist die beste Prävention gegen sexualisierte Gewalt: Mut und Empathie.

Demzufolge liegt es am mangelnden kindlichen Mut, Mit- und Selbstwertgefühl, wenn Kinder Opfer von Missbrauchstätern werden? Natürlich ist es auch wichtig, Kinder zu starken Persönlichkeiten zu erziehen. Genauso wichtig ist es, Kindern beizubringen, dass die vermeintliche Macht von Priestern nur auf absurder religiöser Fiktion beruht. Deshalb müssen wir unsere Kinder stärken, rational und vernünftig zu denken.

Gerade die katholische Lehre ist wie geschaffen dafür, Menschen durch direkte oder indirekte Androhung von Bestrafung, also durch Angst zu unterdrücken. Was vielen Eltern, die ihre Kinder nicht vor kirchlichem Einfluss bewahren, nicht bewusst zu sein scheint. Wo der Jugendpfarrer doch so schön Gitarre spielt…

Wenn Kinder erwachsen werden, kommen sie als Opfer für Kindesmissbrauch nicht mehr in Frage. Wichtig ist es, dass, Kinder im Kindesalter stark zu machen.

1x um den heißen Brei geredet

30.9.: Int. Blasphemy Day
30. September: Int. Blasphemy Day**

Was in Frau Behnkens Verkündigung komplett fehlt, ist – sicher nicht zufällig – genau das, was bisher auch kirchlicherseits komplett fehlt: Die ehrliche Bereitschaft, die Straftaten nach geltendem Recht objektiv aufzuarbeiten und die Täter durch ein weltliches Gericht verurteilen zu lassen. So, wie das bei allen anderen angezeigten Missbrauchsfällen auch der Fall ist.

Mit hochrotem Kopf vorgetragene Bestürzung und drei Ave Maria mögen vielleicht für das katholische Beichtritual zur eigenen Gewissenserleichterung ausreichend sein. Für Missbrauchsverbrechen keinesfalls. Bleibt abzuwarten, ob der katholische Klerus vielleicht doch noch die längst überfälligen Konsequenzen zieht.

Und abzuwarten bleibt auch das Ergebnis diverser Anzeigen gegen verschiedene Bischöfe, die sich durch Vertuschung zumindest mitschuldig gemacht haben.

Bis jetzt ist jedenfalls noch kein einziger Bischof wegen des Missbrauchsskandals zurückgetreten. Von einer bischöflichen Selbstanzeige ist mir ebenfalls bislang nichts bekannt.

Das Bekanntwerden von tausenden Kindesmissbrauchsfällen durch katholische Kirchendiener weltweit ist ein weiterer von unzähligen Belegen dafür, dass der christliche Glaube Menschen nicht davon abhalten kann, schlimmste Verbrechen zu begehen. Nicht mal die Menschen, die sich dazu berufen fühlen, diese Lehre hauptberuflich zu verbreiten.

Alle Infos zum Kirchenaustritt: kirchenaustritt.de

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag „Für unsere Kinder.“
**Der 30. September ist Internationale Tag der Blasphemie. Meme: quadrasophics.com

  • Der Internationale Tag der Blasphemie, auch bekannt als Internationaler Tag der Blasphemie-Rechte, informiert Einzelpersonen und Gruppen über Blasphemie-Gesetze und verteidigt die Meinungsfreiheit, insbesondere die offene Kritik an der Religion, die in vielen Ländern kriminalisiert wird. Es wurde 2009 vom Center for Inquiry gegründet. Ein Student kontaktierte das Center for Inquiry in Amherst, New York, um die Idee vorzustellen, die das CFI dann unterstützte. Ronald Lindsay, Präsident und CEO des Center for Inquiry, sagte in Bezug auf den Blasphemie-Tag: „Wir denken, dass religiöse Überzeugungen genauso untersucht und kritisiert werden sollten wie politische Überzeugungen, aber wir haben ein Tabuthema Religion“, in einem Interview mit CNN. (Quelle: Wikipedia, übersetzt mit www.DeepL.com/Translator)

 

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