Fundstück der Woche: Freie Wähler werben mit Hinrichtungsdarstellung

Lesezeit: ~ 3 Min.

Auf einem Wahlplakat zur Landtagswahl in Bayern verspricht der Freie Wähler-Vertreter Gerald Pittner „Gleiche Chancen für ganz Bayern.“

Als Hintergrundmotiv hat sich Bayerns – nach eigener Einschätzung – starke Mitte für die auf dem Kreuzberg zur Schau gestellte Todesfolterungsszene entschieden:

Freie Wähler Plakat
Wahlplakat Gerald Pittner, Freie Wähler

Was hat sich die Wählervereinigung Freie Wähler wohl dabei gedacht?

Nächstenliebe - (c) Jacques Tilly
Nächstenliebe – (c) Jacques Tilly

Soll die Kreuzigungsgruppe vielleicht „Bayerns starke Mitte“ symbolisieren? Gott mit uns? Deus lo vult?

Möglicherweise handelt es sich einfach nur um ein Missverständnis. Denn nicht nur in der Politik kommt es ja immer wieder vor, dass Leute irrtümlich meinen, die Werte, auf denen eine offene und freie Gesellschaft basiert, seien christliche Werte.

Dass so gut wie alle unserer heutigen Werte gegen den erbitterten Widerstand der Kirche erkämpft werden mussten, ignorieren diese Leute für gewöhnlich.

Und halten stattdessen immernoch die Legende von der christlichen Moral für wahr. Sogar die, die mit Kirche und Glaube an sich nichts mehr oder nur noch wenig am Hut haben.

Machen Sie Ihre Kreuze lieber bei uns…

Natürlich könnte es auch sein, dass man sich von den dargestellten Kreuzen erhofft, der CSU einige Wähler abjagen zu können. Denn für die sind Kreuze ja quasi vorgeschrieben. „Machen Sie Ihre Kreuze lieber bei uns…“

Herr Pittner scheint sogar noch frömmer zu sein als CSU-Söder mit seinem Kreuzhängungserlass. Auf der Webseite abgeordnetenwatch.de lehnt Pittner das Aufhängen von Kreuzen in bayerischen Behörden ab; nur da, wo es „eine Aussage setzt“, befürwortet er eine privilegierte Belästigung der Öffentlichkeit mit Kreuzen:

  • Deutschland und Bayern sind in ihrer Tradition, Staatsverständnis und gesellschaftlichen Entwicklung christlich geprägt. Dennoch ist das Kreuz ein Religionszeichen und sollte nicht für vordergründige Symbolpolitik missbraucht werden. Dort, wo es eine Aussage setzt ja (z.B. Sitzungssäle), sonst nein! (Quelle: Zitat Gerald Pittner auf abgeordnetenwatch.de)

Welche Aussage das eigentlich konkret sein soll und was in einem zur Neutralität verpflichteten Säkularstaat religiöse Symbole überhaupt in einem Sitzungssaal zu suchen haben, verrät Herr Pittner nicht.

Kreuze bei Bedarf lieber mal weglassen

Es entbehrt nicht einer gewissen Komik: Der Freie Wähler Gerald Pittner spricht sich gegen die Instrumentalisierung christlicher Symbole aus, nutzt aber selbst die Darstellung von Kreuzen, um seine Heimatverbundenheit (oder was auch immer) zur Schau zur stellen.

Nicht nur auf Wahlplakaten, sondern auch auf seiner Facebook-Seite und bei Wahlveranstaltungen des Freie Wähler-Kandidaten wimmelt es nur so vor Kreuzen:

Kreuze pflastern seinen Weg...
Kreuze pflastern seinen Weg…

Zur Illustrierung seiner Meme verwendet Herr Pittner interessanterweise zwei verschiedene Vorlagen: Mit Kreuzigung und ohne.

Pittner mit und ohne Kreuze
Pittner mit Kreuzen –  und ohne…**

Dass es nicht nur heuchlerisch, sondern geradezu lächerlich wäre, sich einerseits gegen Kreuze in jeder Behörde auszusprechen und ein modernes Bayern zu fordern und andererseits aber selbst dort mit Kreuzen für die archaische, unmenschliche und absurde Mythologie eines primitiven Wüstenvolkes zu werben, wo es opportun erscheint,  scheint ihm (oder seiner Werbeagentur) jedenfalls dann doch noch aufgefallen zu sein.

Und so fehlen – wohl kaum zufällig – u. a. im Modernisierungs-Meme die Kreuze.

Chancengleichheit im Zeichen des Kreuzes

Oder bezieht sich die Darstellung der drei Männer, die gerade auf brutalste Art und Weise am Kreuz zu Tode gefoltert werden auf die versprochene Chancengleichheit in ganz Bayern? „…und jeder nur ein Kreuz?“

Besonders paradox erscheint die Kombination des Symboles des Christentums mit dem Spruch „Gleiche Chancen in ganz Bayern.“

Ist es doch gerade die katholische Kirche, die ihrerseits Menschen eben nicht die gleichen Chancen einräumt. Mit fadenscheiniger Begründung und nicht nur in ganz Bayern. Zum Beispiel mit ihrem eigenen Arbeitsrecht:

Besondere Regeln für Angestellte der katholischen Kirche

  • Streiks sind verboten. Arbeitskampfmaßnahmen, „die die andere Seite zu überwältigen suchen“, seien mit den Werten der Kirche unvereinbar (Bischofskonferenz). Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen die Arbeitsverträge partnerschaftlich und gleichberechtigt aushandeln.
  • Betriebs- oder Personalräte gibt es in kirchlichen Einrichtungen nicht. Stattdessen sind die Angestellten in sogenannten „Mitarbeitervertretungen“ an Betriebsentscheidungen beteiligt.
  • Die Loyalitätspflichten der kirchlichen Mitarbeiter gehen weiter als in weltlichen Betrieben. Ein Loyalitätsverstoß wäre, wenn Mitarbeiter aus der Kirche austreten oder sich öffentlich etwa für Abtreibung aussprechen. Von den Angestellten wird erwartet, dass sie die Vorstellungen der Kirche akzeptieren – auch in ihrer persönlichen Lebensführung.
    (Quelle und weitere Infos: Keine Abtreibung, keine zweite Heirat, keine wilde Ehe: So absurd sind die Regeln für Angestellte der Kirche, Artikel von Lukas Kissel auf bento.de)

Aber damit nicht genug: Die Kirche meint bis heute, sich in die Lebenswirklichkeit nicht nur ihrer Angestellten, sondern aller Menschen einmischen zu dürfen.

Zu diesem Zweck unterhält die Kirche ein beispielloses Lobbynetzwerk. Begründet wird dieser Anspruch mit archaischer biblisch-christlicher Mythologie. Auf Betreiben der Kirche werden heute noch die Persönlichkeitsrechte aller Menschen beschnitten. Und zwar schon vor der Geburt und bis nach dem Tod. Das ist quasi das Gegenteil von „modern.“ Und ein skandalöser Zustand für einen säkularen Rechtsstaat.

Religiöser Blinder Fleck

Herr Pittner, können Sie sich wenigstens ansatzweise vorstellen, wie grotesk dieses Freie Wähler-Plakat auf Menschen wirkt, deren Wahrnehmung nicht religiös vernebelt ist? Oder zumindest so abgestumpft, dass sie in einer Kreuzigung nicht das sehen, was eine Kreuzigung nun mal ist: Ein Akt unvorstellbar brutaler, menschenverachtender Gewalt? Und zwar völlig unabhängig davon, welche Auferstehungsmythen eine Glaubenslehre hineininterpretiert?

Wie würden Sie eine beliebige Partei oder sonstige Gruppe einschätzen, deren Vertreter mit der Abbildung einer Todesfolterung für sich werben? Und die Ihnen dann vielleicht erklären, dass diese Hinrichtung eine besondere Bedeutung für sie habe? Oder ihre Heimat symbolisiere?

Und wie passen Ihr Wahlplakat und ihr fallweises Weglassen der Kreuze zu Ihrer Aussage, Kreuze sollten nicht für Symbolpolitik verwendet werden?

*Foto: Freie Wähler-Wahlplakat von Gerald Pittner zur Landtagswahl in Bayern 2018
**Quelle der Screenshots: Facebook-Seite https://www.facebook.com/fwgeraldpittner

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