Weihbischof Diez, die Angst und die Wirklichkeit

Lesezeit: ~ 7 Min.

Der Artikel „Weihbischof Diez weihte 3 Männer zu Diakonen – Das eigene Leben in den Dienst von Christi Barmherzigkeit stellen“ auf osthessen.news bietet einen Einblick in eine religiös verzerrte Weltanschauung und Selbsteinschätzung des Fuldaer Weihbischofes Prof. Dr. Karlheinz Diez, für den Angst eine wichtige Rolle spielt.

Wer hat euch denn berufen?

Schon in der Einleitung wird klar: Mit der Wirklichkeit nimmt es Herr Weihbischof Prof. Dr. Diez offenbar nicht so genau. Zumindest lassen das Aussagen wie diese vermuten:

„Ihr stellt euch heute mit eurem ganzen Leben in den Dienst Christi, in den Dienst seiner Barmherzigkeit. Er hat euch berufen, mitzuwirken am Aufbau des Reiches Gottes.“ Dies sagte der Fuldaer Weihbischof Prof. Dr. Karlheinz Diez am Samstag im Fuldaer Dom zu drei Kandidaten, die er zu Diakonen weihte.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: (pm) via osthessennews.de – „Das eigene Leben in den Dienst von Christi Barmherzigkeit stellen“, abgerufen am 23.07.2020)

Berufen nach HogwartsWie darf man sich eine solche Berufung vorstellen? Was unterscheidet eine solche Berufung von einer rein menschlichen Einbildung?

Wie könnte eine Frau glaubhaft beweisen, dass auch sie von eben diesem Gott zu höheren Weihediensten berufen wurde? Und wie könnte der Herr Weihbischof nachweisen, dass dem nicht so ist?

Es mag ja sein, dass sich Menschen selbst im 21. Jahrhundert noch berufen fühlen, zum Beispiel eine im Kern unmoralische und unmenschliche Ideologie wie die biblisch-Christliche zu verbreiten. Oder zu sonst irgendetwas anderem.

Aber Herr Prof. Dr. Diez behauptet hier ja, dass Christus (wer auch immer damit konkret gemeint sein soll) proaktiv, nämlich per Berufung diese drei Männer in sein Team geholt hätte.

In der irdischen Wirklichkeit wäre eine solche Berufung etwa vergleichbar mit einer Berufung zu einer Professur in Hogwarts: Rein fiktiv.

Mitwirken am Aufbau des Reich Gottes

Was Herr Diez mit „Reich Gottes“ konkret meint, ist dem Artikel nicht zu entnehmen. So kann man, zumindest als Außenstehender, hier nur Vermutungen anstellen, was es damit auf sich haben könnte:

Sollen jetzt erstmal alle Menschen katholisch werden?

Oder vielleicht eben gerade nicht, um den lieben Gott durch Nicht-Verehrung oder gar Verachtung und/oder Verhohnepiepelung wiedermal so in Rage zu bringen, dass er endlich den im Johannesevangelium detailliert beschriebenen fulminanten Weltuntergang samt „jüngstem Gericht“ starten möge? Als notwendige Voraussetzung für die versprochene „himmlische Herrlichkeit“, auf die sich ja alle Christen schon so lange so sehr, quasi wie verrückt freuen?

Oder bezeichnet das „Reich Gottes“ die Macht des Kirchenkonzernes, der sich den Aufbau dieses Reiches, das eigentlich ihr eigenes Reich ist zur Aufgabe gemacht hat?

Ich fände es interessant, mal von Herrn Diez, aber auch von den frisch gebackenen bzw. berufenen Diakonen und natürlich besonders auch von den gewöhnlichen Schäfchen zu erfahren, was sie sich jeweils konkret unter dem „Reich Gottes“ vorstellen, von dem Herr Diez hier spricht.

Angst: Ein Phänomen dieser Zeit?

Dank Corona ist es für Herrn Diez nun ein Leichtes, in gewohnt katholischer Manier zunächst alle möglichen Ängste bei seinem Publikum zu triggern, um dann sein Glaubenskonstrukt als vermeintliches und idealerweise alleiniges Allheilmittel anbringen zu können:

[…] „Menschen haben häufig Angst. Angst vor Ungewissheit, Angst vor Unsicherheit, Angst vor Infektion, Angst vor Verwundbarkeit, Angst vor der Zukunft, Angst vor wirtschaftlichen Einschnitten. Angst ist ein Phänomen dieser Zeit.“

Der erste Teil dieser Feststellung ist trivial und der zweite Teil unsinnig. Weil Angst natürlich nicht nur ein Phänomen dieser Zeit ist, sondern sicher schon seit Beginn der Menschheitsgeschichte existiert.

Angst ist sehr gut erforscht. Die Entstehung lässt sich evolutionär erklären: Wer zu furchtlos war, lebte gefährlicher (und oft auch kürzer) als jemand, den seine Ängste davor abhielten, sich leichtsinnig zu verhalten.

Angst ist das Lebenselixier aller Heils- und Versicherungsverkäufer

Angst vor der Wirklichkeit?Verglichen mit den existentiellen Ängsten von Menschen, die täglich oder auch stündlich um ihr Überleben kämpfen, erscheinen die Ängste von Leuten, die in den wohlhabensten Industrienationen mit den weltweit höchsten Lebensstandards, bester medizinischer Versorgung und wirtschaftlicher Absicherung leben objektiv betrachtet vergleichsweise überschaubar.

Trotzdem, und auch das ist evolutionär erklärbar, erscheinen Menschen ihre eigenen Ängste immer gravierender und bedrohlicher als die Ängste von Fremden.

Sehr zur Freude von Heilsverkäufern wie Herrn Diez. Dessen Geschäftsmodell, ähnlich wie Versicherungsvertretern, auf Angst und Verunsicherung beruht.

Was hat der Herr Weihbischof nun also den vielfältigen Formen von  Angst entgegenzusetzen?

Gott umarmt uns mit der Wirklichkeit

Zunächst mal einen vorzüglich verschwurbelten Theodizee-Bewältigungsversuch:

Die Tatsache, in dieser epochalen Zeit zum Diakon geweiht zu werden, habe einen tiefen Sinn, denn „Gott umarmt uns mit der Wirklichkeit. Gott bestimmt die Umstände und Zeiten des Lebens.“

Zur Wirklichkeit gehört auch unvorstellbares, unerträgliches Leid in allen Variationen. Und damit umarmt uns Gott?

Wenn es ein Gott ist, der „die Umstände und Zeiten des Lebens“ bestimmt, dann „umarmt“ er „uns“ also willentlich auch mit Hungersnot, Beulenpest, Autoimmunerkrankungen, lebensbedrohlichen Viren, Bakterien, Parasiten, Tsunamis und Dürrekatastrophen?

Wie schafft man es als erwachsener, geistig gesunder und akademisch gebildeter Mensch, solche Vorstellungen im 21. Jahrhundert öffentlich zu vertreten?

Ein Gott, der trotz angeblicher Allmacht und damit ja zwangsläufig absichtlich eine Wirklichkeit erschaffen haben soll, in der empfindungsfähige Lebewesen Leid empfinden, wäre nicht allgütig, sondern ein Sadist. Wenn es ihn gäbe.

Herr Diez kennt den Willen seines unergründlichen Gottes – ganz genau

Für Prof. Dr. Diez scheint das allerdings kein Problem zu sein. Genausowenig wie seine Angewohnheit, immer mal ganz selbstverständlich Dinge zu behaupten, die bis zum Beweis des Gegenteils nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen:

„Er sendet Euch in diese Welt, die gerade so ist, wie sie ist.“ Denn Christus traue ihnen zu, mit den Herausforderungen umzugehen, weil er wolle, dass die so leidende Welt die Botschaft der Liebe, der Versöhnung und der Gerechtigkeit erfahre.

IndoktrinationWoher er das, was er hier vorgibt zu wissen wissen will, verrät der Weihbischof nicht. Er sagt auch nicht: „Ich glaube, dass…“ oder „Ich wünsche mir, dass…“ oder „Ich stelle mir vor, dass…“. Er behauptet es einfach. Als würde es sich dabei um Tatsachen handeln.

Die Kirche hätte viele Jahrhunderte lang alle Macht gehabt, die Welt liebevoller und gerechter zu machen. Das Gegenteil war der Fall.

Erst nachdem ihr durch Aufklärung und Entmachtung im Rahmen der Säkularisierung nichts mehr anderes übrig blieb, begann sie damit, sich als Friedensbewegung zu verkleiden.

Auf das Wesentliche konzentrieren

Die Kirche müsse sich auch heute auf das Wesentliche konzentrieren: die Vermittlung der Botschaft vom Reich Gottes, von der Erlösung und Liebe.

Gerade ohne nähere Infos, was hier konkret gemeint sein soll, kann und sollte man Reichs-Errichtungs-Bestrebungen äußerst kritisch betrachten.

Wie gerade schon geschrieben, müsste zunächst mal definiert sein, was mit „Reich Gottes“ konkret gemeint sein soll. Wenn die Kirche die Vermittlung der Botschaft vom Reich Gottes für ihre wesentliche Aufgabe hält, dann erstaunt es umso mehr, wie diffus, vage und vor allem unterschiedlich die Aussagen ausfallen, was es damit eigentlich auf sich haben soll.

Eine Erlösung kann nur den Menschen als wesentlich erscheinen, die sich für erlösungsbedürftig (und natürlich auch erlösbar) halten. Für Menschen, die die Erbsünde für ein von Menschen erdachtes, besonders perfides Gängelungs- und Unterdrückungskonzept halten, ist eine göttliche Erlösung völlig irrelevant. Gleiches gilt natürlich auch für eine ethische und rechtliche Bewertung.

Und was die Liebe angeht: Wenn im christlichen Kontext von Liebe die Rede ist, dann bezieht sich dies immer auch auf die angebliche Liebe des biblischen Provinizalgottes, die in Wirklichkeit aber den Tatbestand der Nötigung (Mk 16,16) erfüllt.

Also des Gottes, der die Inszenierung einer vorübergehenden Todesfolterung seines unehelichen Sohnes zu seiner eigenen Versöhnung für den größten Liebesbeweis seinen Anhängern gegenüber hält.

Wenn die Kirche tatsächlich die hier genannten Aufgaben als ihre wesentliche Herausforderung betrachtet, dann möge sie spätestens jetzt gefälligst sofort damit aufhören, diese Ziele unter Ausnützung millionenschwerer staatlicher Alimentierung und beispielloser Sonderprivilegierung zu verfolgen.

Glaube braucht Furcht

[…] Jesus aber sage, dass man sich nicht fürchten solle.

Jesus, also der biblische Romanheld, von dem hier ja die Rede sein dürfte (denn auf den beziehen sich ja die biblischen Mythen und Legenden) „sagte“ auch, dass alle, die nicht bereit sind, seinen Gott (der er ja zu einem Drittel auch selbst sein soll) anzuerkennen und sich ihm zu unterwerfen, dereinst zeitlich unbegrenzt mit physischen und psychischen Höllenqualen bei vollem Bewusstsein dafür bestraft würden.

Vom Feuerofen ist da die Rede, in den die Glaubensfreien und Andersgeläubigen in göttlichem Auftrag zwecks Dauerfolter geworfen werden. Auf diesem Versprechen beruht die Beschwichtigung: Nur wer glaubt, braucht sich nicht zu fürchten.

Wäre es nicht ein Zeichen von christlicher Nächstenliebe, gerade auch diese Seite des biblisch-christlichen Glaubenskonstruktes zu erwähnen? Zumal das dem Ansinnen, das Reich dieses Gottes zu errichten ja nochmal ordentlich Nachdruck verleihen könnte. Zumindest hatte das in früheren Zeiten immer hervorragend funktioniert…

Gott vs. Vodka

So könnten Diakone, Priester, Männer und Frauen der Kirche die Angst in diesen Zeiten ein Stück neu verorten, sie kleiner machen, indem sie den Menschen sagten: „Gott weiß darum, wie es dir geht, er kennt deine innersten Gefühle. Nichts auf dieser Welt passiert ohne das Wissen Gottes, er hält diese Welt und uns in seinen Händen und er kennt auch schon die Lösung.“

VodkaDiese Beschwichtigung verliert nichts an ihrer Aussagekraft, Sinnhaftigkeit und Plausibilität, wenn man hier „Gott“ zum Beispiel durch „Eine Flasche Vodka“ ersetzt.

Es geht darum, in diesen Krisenzeiten ganz nahe bei den Menschen zu sein, ihre Angst zu verstehen, ihnen Hoffnung und Trost aus der Botschaft des Lebens zu bringen. „Krisenzeiten bringen immer Verunsicherung mit sich; ich erlebe das im Moment selbst sehr stark im Bischofshaus: Es kommen Anfragen, Menschen suchen nach Trost, nach Orientierung, nach Beruhigung und Festigkeit. Geben wir sie ihnen aus der Kraft des Glaubens! Nutzen wir die Chance dieser Krise, die Welt ein Stück zu verändern“, so der Weihbischof.

Der Frage, inwieweit Religion tatsächlich etwas zur Krisenbewältigung beizutragen hat, sind die Kollegen vom Ketzerpodcast in diesem Segment nachgegangen.

Im Angebot: Eine bestenfalls hoffnungsvoll erscheinende Illusion

Natürlich ist grundsätzlich nichts daran auszusetzen, wenn Menschen für andere Menschen mit Sorgen, Ängsten und Nöten da sind. Und wer sich mit seinen Ängsten an Berufschristen wendet, der kann ja auch schwerlich etwas anderes erwarten als eine bestenfalls hoffnungsvoll erscheinende Illusion.

Die Chance, die Herr Diez hier offenbar wittert, dürfte wohl in erster Linie darin bestehen, dass viele Menschen umso empfänglicher für solche Illusionen werden, je verängstigter und verunsicherter sie sich fühlen.

Da spielt es dann für sie kaum noch eine Rolle, dass sie ihre Hoffnung auf eine rein menschliche Fiktion setzen. Selbst wenn ihnen insgeheim bewusst ist, dass kein einziger Gott jemals nachweislich irgendwie in Erscheinung getreten ist, kann es ja auch schon gut tun, wenn einem jemand nur mal zugehört hat.

Was hilft wirklich gegen Angst?

Ob sie dann tatsächlich funktionierende Lösungsvorschläge und realistische Perspektiven aufgezeigt bekommen oder eben nur ein bisschen absurde, in salbungsvolle, ansonsten aber inhaltsleere theologische Rhetorik verpackte Bronzezeit-Mythologie, ist für sie dann meist zweitrangig.

Wer feststellt, dass Ängste die eigene Lebensqualität beeinträchtigen und eine Besserung nicht in Sicht ist, ist sicher besser beraten, statt religiöser „Seelsorge“ professionelle Hilfe zu suchen und in Anspruch zu nehmen.

Wie das dann im konkreten Fall aussehen kann, ist natürlich eine sehr individuelle Angelegenheit: Viele Fachgebiete wie zum Beispiel Psychologie und Soziologie mit all ihren verschiedenen Methoden können hier erwiesenermaßen funktionierende Strategien anbieten, um Angst besser oder ganz in den Griff zu bekommen. Götter werden dazu nicht gebraucht.

Statt einer Realitätsflucht in religiöse Fiktionen sind bei Angst generell Maßnahmen besser geeignet, die von den irdischen natürlichen Gegebenheiten und nicht von einer um religiöse Esoterik erweiterten Scheinwirklichkeit ausgehen.

 

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1 Gedanke zu „Weihbischof Diez, die Angst und die Wirklichkeit“

  1. Dummheit, Angst, Satan und Seuchen;

    Die besten Freunde, die die Kirche je hatte und diese bis heute am laufen halten!

    Ohne Panikmache und frühkindliche Indoktrination würde es diesen Verein schon lange nicht mehr geben.

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