Gedanken zu: Gott nur genügt – Impuls von Stadtpfarrer Stefan Buß

Lesezeit: ~ 6 Min.

Gedanken zu: Impulse von Stadtpfarrer Stefan Buß: „Gott nur genügt“, veröffentlicht am 24.10.2020 von Osthessennews

Darum geht es

Stadtpfarrer Stefan Buß aus Fulda spricht mit seiner Interpretation einer Gebetszeile Menschen ohne Götterglaube die Fähigkeit für ein sinnerfülltes, glückliches und mitmenschliches Leben ab.

Als Theresa von Ávila (Kirchenleherin, 1515 bis 1582) starb, fand man in ihrem Brevier ein kleines, dreimal dreizeiliges Gedicht, das mit den Worten endet: „Sólo Dios basta – Gott nur genügt.“
Man kann diesen Text eigentlich nicht „erklä­ren“; er erschließt sich erst, wenn man es wie Teresa macht: wenn man mit ihm lebt.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Impulse von Stadtpfarrer Stefan Buß: „Gott nur genügt“, veröffentlicht am 24.10.2020 von Osthessennews)

Wenn sich ein Text erschließt – egal auf welchem Weg und nach welcher Zeit – dann müsste er sich ja auch irgendwie erklären lassen. Zumindest im Nachhinein. Falls nicht, ist das ein Indiz dafür, dass die Aussage des Textes so schwammig und nebulös ist, dass man alles Mögliche herauslesen oder genauer: hineininterpretieren kann.

Das kann man freilich mit künstlerischer Freiheit begründen: Manche Künstler verzichten ja bewusst auf eine Erklärung ihrer Kunstwerke. Um Raum für Interpretation zu lassen.

Problematisch wird es erst, wenn jemand kommt und behauptet, den einzigen Sinn erkannt zu haben. Und dann noch alle, die seine Auffassung nicht teilen, deswegen zu diskreditieren. Das wäre dann in etwa so unsinnig, wie wenn jemand sagen würde: „Meine Lieblingsfarbe ist gelb und alle, deren Lieblingsfarbe nicht gelb ist liegen falsch.“

Klassischer Bestätigungsfehler

Für sie wurden diese Zeilen im Brevier zu einem „Kern­wort“. Sie hat sich damit Mut gemacht, hat sich daran in Erinnerung gerufen, woher sie die Kraft bekommt, ihren Weg zu suchen und zu gehen.

Gott nur allein?„In Erinnerung rufen“ impliziert, dass es etwas gibt, an das man sich erinnern könnte. Sicher hatte die Kirchenlehrerin viele Erlebnisse, die sie als eindeutige Belege für göttliche Unterstützung deutete.

Anhänger anderer Gottheiten erinnern sich ebenfalls an solche, ganz reale Erlebnisse. Und halten diese Wahrnehmungen genauso für untrügliche Belege, dass es hier ihr jeweiliger Gott gut mit ihnen gemeint haben müsse. Für negative Erlebnisse gibt’s bei Bedarf das Konzept der göttlichen Prüfung oder zur Not die Unergründlichkeit göttlicher Wege.

Bei Licht betrachtet haben wir es hier mit einem klassischen chronischen Bestätigungsfehler zu tun: Alles Positive schreibe ich meinem Gott zu und bestätige mich damit immer wieder selbst im Glauben an diesen Gott. Mit Problemen und Leid prüft Gott meinen Glauben oder zeigt mir, dass ich ihn nicht ausreichend verehrt habe.

Ich Chef, du nix

Sie hat sich dadurch daran erinnert, was man gerade dann „vergessen hat, wenn man es braucht: dass Gott da ist, dass er den Weg weiß, wo ich keinen mehr sehe, dass er Atem hat, wo mir der Atem ausgeht, dass er der Meister ist, ich (nur) der Jünger, dass die Welt, selbst wenn sie aus den Angeln fiele, nicht aus seinen Händen fallen kann…“

Hier spiegelt sich die sehr menschliche Sehnsucht nach einer höheren Instanz, die es gut mit einem meint wider. Dazu kommt die typisch christliche Unterwürfigkeit  (er der Meister, ich (nur) der Jünger…), die Gott ja als Bedingung für die Erfüllung seines Heilsversprechens unmissverständlich voraussetzt.

Unglücklicherweise wurde die letzte, die am bekanntesten gewordene Zeile im Deutschen mit „Gott allein genügt“ übersetzt. Häufig ver­stand man dieses Kernwort dann so, als brauche der Mensch nur Gott, nichts weiter, oder gar als habe er sich allein um Gott zu sorgen und den Blick von allem Menschlichem und Geschöpfli­chem abzuwenden.

Diese Interpretation lässt sich biblisch sehr einfach belegen. Die anonymen Autoren lassen ihren biblischen Romanheld Jesus dazu auffordern, sich nicht um das Diesseits zu kümmern („Sehet die Vögel…“), keine Schätze auf Erden zu sammeln…

Paradebeispiel christlicher Arroganz und Ignoranz

Und jetzt liefert Stadtpfarrer Stefan Buß ein Paradebeispiel christlicher Arroganz und Ignoranz:

Das „solo“ aber meint: erst Gott reicht aus, um wirklich Erfüllung zu schenken; hätte ich alles, was das Leben bieten kann, aber die Gemeinschaft mit Gott nicht – es wäre alles flach, leer, ungenügend, wie ein „Nichts“.

Ge­rade die hier gemeinte Erkenntnis, dass erst Gott – also „Gott nur“ – dem Menschen entspricht, gibt allem Sinn und Wert, Tiefe und Größe: Die Liebe dieses Gottes und das Leben mit ihm ver­leihen den Dingen Schönheit, dem Nächsten Größe, der Freundschaft und Partnerschaft Tiefe und ewige Endlosigkeit…

Diese „Erkenntnis“ bedeutet umgekehrt: Einem Leben ohne Gott mangelt es an Sinn und Wert, Tiefe und Größe. Wer sich keine göttliche Liebe (oder die Liebe irgendeiner anderen Gottheit) einbildet, für den sind Dinge weniger schön, der Nächste weniger wert, Freundschaften und Partnerschaften weniger tief.

Die Nebelkerze „ewige Endlosigkeit“ möge sich Herr Buß selbst entzünden. Und darüber nachdenken, wie grotesk es ist, wenn ein zölibatär lebender Mann etwas von partnerschaftlicher Tiefe erzählt.

Nicht irgendein Sinn, sondern „Gott nur“

Meme Wahrheit suchenWenn ausgerechnet jemand, der noch mit einer absurden magisch-esoterischen Weltanschauung unterwegs ist meint, seine Gotteseinbildung sei nicht nur eine, sondern gar die einzige Sinn stiftende Sinnquelle, ohne die ein sinnerfülltes und mitmenschliches Leben nicht möglich sei, dann zeugt das von Ignoranz und Überheblichkeit. Er spricht damit Menschen, die seine Phantasievorstellungen nicht teilen die Fähigkeit ab, ein sinnerfülltes und mitmenschliches Leben zu führen.

…und dann wundern sie sich, wie jemand nur darauf kommen kann, sie zu kritisieren, wenn sie solche Statements veröffentlichen.

Gottlos glücklich!

Herr Buß, aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen versichern, dass es sehr gut möglich ist, ein glückliches, erfüllendes, sinnvolles Leben zu führen, die Schönheit der Dinge zu genießen, Mitmenschen mitmenschlich zu behandeln und „tiefe“ Beziehungen zu führen, ohne dafür Ihre oder irgendwelche anderen Gottesphantasien teilen zu müssen.

Es ist am Menschen selbst, seinem Leben einen Sinn zu geben. Obwohl ich persönlich Götterglaube aus guten Gründen nicht für Sinn stiftend, sondern für und- bzw. sogar widersinnig halte, würde ich mir nie anmaßen, Ihnen deswegen Ihre Fähigkeit für ein sinnerfülltes Leben abzusprechen. Nur weil für Sie Voraussetzung dafür die Einbildung einer Liebe eines imaginären magischen Himmelswesens ist.

Auf der Suche nach dem Sinn

Quelle: Netzfund
Quelle: Netzfund

Die Sinnsuche ist eine höchst individuelle, ganz persönliche Angelegenheit. Der erst dort Grenzen gesetzt sind, wo gleichberechtigte Interessen Anderer dadurch verletzt werden. Wenn etwa der biblische Abraham seinen Sinn darin sieht, seinen Sohn zu töten, um ihn seinem Gott zu opfern, weil der ihn damit beauftragt hatte, dann ist die Grenze der freien Entfaltung erreicht.

Ansonsten mögen Sie Ihren persönlichen Lebenssinn suchen und hoffentlich auch finden, wie und wo immer es Ihnen beliebt, Herr Buß.

Zu behaupten, ein bestimmter Sinn sei nicht nur einer unter beliebig vielen anderen, sondern gar der einzige – also „Gott nur“ – das ist meiner Meinung nach an christlicher Arroganz und Ignoranz allerdings kaum zu überbieten.

Ich fände es interessant zu erfahren, ob Ihnen diese Perspektive Ihrer Verkündigung bei der Veröffentlichung bewusst war, Herr Buß. Falls nicht: Was sagen Sie dazu, jetzt, wo Sie diese Dimension Ihrer Aussagen kennengelernt haben?

Nachtrag: Gemeint sind doch nur gläubige Christen!

Auf meine Nachfrage erklärte mir Pfarrer Buß, dass mit seiner Aussage ja nur gläubige Christen gemeint seien. Demzufolge sei also deren Leben „flach, leer, ungenügend, wie ein ‚Nichts'“, wenn sie auf die biblisch vorgegebene, magisch-esoterische Wirklichkeitserweiterung verzichten würden.

Leider hatte er seine Videobotschaft nicht explizit an Christen adressiert. Sie war nicht etwa auf einer Kirchenwebseite, sondern in einem lokalen Online-Nachrichtenportal erschienen.

Dass sich mangels eines entsprechenden Hinweises auch Nicht-Christen angesprochen fühlen könnten, war Herrn Stadtpfarrer Buß offenbar nicht in den Sinn gekommen.

Viel besser wird es durch diese Relativierung allerdings auch nicht. Zumindest für Christen.

Denn bei Licht betrachtet lautet die Message für sie: Du musst an unseren Gott glauben. Tust du es nicht, ist dein Leben flach, leer, ungenügend, wie ein ‚Nichts‘.

Nun könnte man natürlich einwenden: Na und, selber schuld. Es zwingt dich ja niemand, dir von einem Milliardenkonzern irgendeinen Quatsch-Sinn für dein Leben aufzwingen zu lassen.

Solange wir es mit Erwachsenen zu tun haben, ist das Thema damit erledigt.

Ergänzung: Eine aufmerksame Stammleserin hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass in diesem Fall darauf hinzuweisen ist, dass diese Verkündigung auch dann zu kritisieren ist, wenn sie gezielt an erwachsene Christen gerichtet gewesen wäre.

Denn was macht es mit Menschen, wenn sie sich einbilden, ihr Leben sei „ein Nichts“ ohne Gottesfiktionen? Sowohl für sich selbst, aber besonders auch in Bezug auf ihren Umgang mit Menschen, die ihre Glaubensüberzeugungen nicht teilen?

Perfide Psychotricks – emotionale Erpressung

Quelle: Netzfund
Quelle: Netzfund

Anders sieht es aus, wenn christliche Eltern oder Berufschristen Kindern diese gefährliche und Menschen verachtende Ideologie vorleben und eintrichtern.

So wird durch eine absurde Fiktion gezielt eine emotionale Abhängigkeit geschaffen, die so stark wirken kann, dass es manchen Menschen ein Leben lang nicht gelingt, sich wieder davon zu befreien.

Das Schadenspotential, das solche perfiden und unmenschlichen Psychotricks mit sich bringen, hat schon für unvorstellbar viel ganz reales Leid gesorgt.

Dennoch scheint es auch heute noch für den Erhalt der Kirche unverzichtbar zu sein, Menschen emotional zu erpressen. Heute meist in unverfänglich erscheinende Worte verpackt. Oder eben so unmissverständlich wie von Herrn Stadtpfarrer Stefan Buß formuliert:

hätte ich alles, was das Leben bieten kann, aber die Gemeinschaft mit Gott nicht – es wäre alles flach, leer, ungenügend, wie ein „Nichts“.

Wie schon bei der in der Bibel beschriebenen göttlichen Liebe handelt es sich auch hier keineswegs um ein optionales Angebot an Sinn Suchende. Sondern um eine klassische Nötigung.

An Verkündigungen wie dieser wird einmal mehr deutlich, warum es auch heute noch wichtig ist, Menschen wie Herrn Buß für solche Aussagen zu kritisieren und zur Rede zu stellen. Unabhängig davon, ob wir es dabei mit klerikaler Arroganz oder Ignoranz zu tun haben.

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2 Gedanken zu „Gedanken zu: Gott nur genügt – Impuls von Stadtpfarrer Stefan Buß“

  1. >>Herr Buß, aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen versichern, dass es sehr gut möglich ist, ein glückliches, erfüllendes, sinnvolles Leben zu führen, die Schönheit der Dinge zu genießen, Mitmenschen mitmenschlich zu behandeln und “tiefe” Beziehungen zu führen, ohne dafür Ihre oder irgendwelche anderen Gottesphantasien teilen zu müssen.<<
    Dem ist wirklich nichts, aber auch rein gar nichts hinzu zufügen!
    Es ist doch wirklich bemitleidenswert, wenn Menschen erst Sinn in ihrem Leben sehen, wenn sie ihre Erfüllung im Glauben eines imaginären Himmelswesen finden und ihm mehrmals täglich für das oder dieses zu danken, oder es aufforden, das, oder dies zu tun, oder zu lassen!
    Einfach nur armselig!

    Antworten
  2. Aber Christen leberwurstig beleidigt und überheblich als arrogant, ignorant und perfid zu bezeichnen zeichnet den nicht an imaginärer Gottesfiktion leidenden Ungläubigen als edlen, aufgeschlossenen, offenen Realisten aus?
    Dann ist deine Lieblingsfarbe halt nicht gelb, sondern grün – na und?

    Antworten

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